Giftgemisch in Kölner Hochhaus
Mitten in Köln soll ein Mann an einer Bio-Waffe gebastelt haben. Sicherheitskräfte fanden in seiner Wohnung das gefährliche Gift Rizin. Angeblich ist der Verdächtige Kämpfer der Terrormiliz IS.
VON GREGOR MAYNTZ, THOMAS REISENER UND MARKUS WERNING Wer ist der Verdächtige? Sief Allah H. lebt mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in einem Mehrfamilienhaus in Köln-Chorweiler. Nach Angaben der Ermittler ist er 29 Jahre alt und tunesischer Staatsangehöriger. In Ermittlerkreisen hieß es gestern, H. sei Ende 2016 nach Deutschland eingereist. Der Generalbundesanwalt wollte das gestern nicht bestätigen. Was ist Stand der Ermittlungen? Der Tunesier soll vorsätzlich eine biologische Waffe hergestellt haben. Die erforderlichen Materialien habe er sich ab Mitte Mai beschafft, sagte ein Sprecher der Generalbundesanwaltschaft. Zum Beispiel habe er bei einem Internethändler 1000 Rizinussamen und eine elektrische Kaffeemühle erworben. Anfang Juni habe Sief Allah H. angefangen, aus den Materialien das Gift herzustellen. Was war der Bomben-Plan? Sief Allah H. soll sich die notwendigen Materialien für eine Rizin-Bombe bestellt haben und dabei einer Anleitung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gefolgt sein. Das berichtet das Magazin „Spiegel“. Der Generalbundesanwalt erklärt dazu, dass der 29-Jährige möglicherweise eine „schwere staatsgefährdende Gewalttat“vorbereitet habe. Es handle sich aber um einen Anfangsverdacht. Ob der Tunesier einen islamistisch motivierten Anschlag begehen wollte, sei „nicht abschließend geklärt“. Anhaltspunkte für eine „konkretisierte Anschlagplanung“gebe es bisher nicht. Laut „Focus“stufen die Sicherheitsbehörden den Tunesier als Kämpfer der Terrormiliz IS ein. Wie flog der Bomben-Plan auf? Der 29-Jährige soll zunächst unauffällig in Deutschland gelebt ha- ben. Die Sicherheitsbehörden hätten aber einen Hinweis aus den USA erhalten, schreibt die „Bild“-Zeitung. Demnach soll der US-Geheimdienst CIA die Online-Einkäufe des Kölners bemerkt haben. Sief Allah H. sei dann observiert worden. Herbert Reul (CDU) rechtfertigte diese Strategie gegenüber unserer Redaktion so: „Es muss in solchen Situationen immer wieder abgewogen werden, ob man noch abwarten kann, um mehr Erkenntnisse zu sammeln oder ob man Gefahr abwenden und schnell handeln muss.“ Wie erfolgte der Zugriff? Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), HansGeorg Maaßen, bestätigte auf Nachfrage unserer Redaktion die aktive Rolle des BfV im Vorfeld der Festnahme. Das Bundesamt sei ersten Hinweisen, dass ein tunesischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Köln potenziell hochgifte Substanzen zu bestellen versucht habe, mit hoher Priorität nachgegangen. Maaßen: „Nachdem es gelungen ist, die Informationen zu verdichten, zu konkretisieren und einer bestimm- ten Person und Wohnadresse zuzuordnen, konnten wir den Fall in dieser Woche an die Polizeibehörden übergeben.“
Spezialkräfte durchsuchten daraufhin in Schutzanzügen und mit Atemschutzmasken die Wohnung der Familie in Köln-Chorweiler. Dabei fanden sie das Rizin. Der Bundesgerichtshof erließ Haftbefehl. „Die Folgen eines Anschlags, der mit Hilfe der in derWohnung aufgefundenen und von dem tatverdächtigen Islamisten bestellten Substanzen hätte begangen werden können, sind derzeit nicht absehbar“, betonte Maaßen. Wie gefährlich ist Rizin? Es wird aus dem Samen des Wunderbaumes gewonnen und ist„eine extrem giftige Substanz“, sagt der Toxikologe Fritz Sörgel von der Universität Duisburg-Essen. Eine geringe Dosis könne schon innerhalb von 48 bis 72 Stunden tödlich sein. Betroffene würden an Organversagen sterben. Das Gift könne über die Luft verbreitet werden, aber auch ins Essen gemischt oder direkt ins Blut gespritzt werden. 1000 Samen können ausreichen, um zum Beispiel eine Menschenmenge in einem größeren Raum anzugreifen und ernsthaft zu verletzen. Die ersten Symptome einer Rizin-Vergiftung (Übelkeit, Fieber, Bauchschmerzen) sind unspezifisch und kaum von anderen Erkrankungen zu unterscheiden. Gab es schon Rizin-Anschläge? Vor einigenWochen waren in Frankreich zwei Brüder festgenommen worden. Die Männer ägyptischer Herkunft sollen laut französischem Innenministerium einen Anschlag entweder mit Sprengstoff oder mit Rizin vorbereitet haben. Toxikologe Sörgel erinnert auch an den Fall von Georgi Markow. Der bulgarische Journalist wurde 1978 in London mit Rizin vergiftet, indem ihm mit einem Regenschirm in dieWade gestochen wurde – die Spitze des Regenschirms war zuvor mit dem Gift präpariert worden. Was sagt die Politik? NRW-Innenminister Herbert Reul sagte unserer Redaktion: „Ich bin ungeheuer froh, dass Bundesbehörden, Landesbehörden, Verfassungsschutz und Polizei so gut zusammengearbeitet haben und Informationen weitergegeben wurden.“Die Kölner Polizei habe „klug, professionell, aber auch schnell gehandelt“.