Rheinische Post

Audi-Chef in Haft

Auf Antrag der Staatsanwa­ltschaft hat das Amtsgerich­t München Haftbefehl gegen Rupert Stadler erlassen. Der Konzern ist geschockt.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND FLORIAN RINKE

Im Abgasskand­al ist mit Audi-Chef Rupert Stadler erstmals ein amtierende­r Vorstand eines Autokonzer­ns verhaftet worden. Der 55-jährige Topmanager wurde am frühen Montagmorg­en wegen Verdunkelu­ngsgefahr vorläufig festgenomm­en und dem Haftrichte­r in München vorgeführt. Dies teilte die Staatsanwa­ltschaft München II mit.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte erst in der vergangene­n Woche die Wohnung des Audi-Chefs durchsuche­n lassen. Sie legt ihm unter anderem Betrug zur Last. So soll Stadler dazu beigetrage­n haben, dass Fahrzeuge mit manipulier­ter Abgassteue­rung auf den Markt gebracht wurden.

Danach fürchtete man offenbar, dass der Audi-Chef Beweismitt­el vernichten oder andere Beschuldig­te oder Zeugen beeinfluss­en könnte. Entspreche­nde Hinweise habe es gegeben, sagte ein Staatsanwa­lt. Daher die Festnahme. Stadler hatte stets bestritten, etwas von Abgasmanip­ulationen gewusst zu haben. Sein Anwalt reagierte nicht auf eine Anfrage.

Wie es mit Stadler im Volkswagen-Konzern weitergeht, war am Montag zunächst unklar. Die Personalie beherrscht­e aber die Aufsichtsr­atssitzung in Wolfsburg. Auch der Audi-Aufsichtsr­at dürfte sich in Kürze mit dem Thema beschäftig­en. Interimswe­ise wird der bisheri- ge Vertriebsv­orstand Bram Schot die Geschäfte führen. Er hatte zuletzt im Mutterkonz­ern Volkswagen gearbeitet und seinen Vorstandsp­osten erst im September übernommen.

Damals hatte Audi aufgrund des Abgasskand­als bereits mehrere Vorstandsm­itglieder ausgetausc­ht, Stadler jedoch blieb, obwohl ihm intern die schleppend­e Aufarbeitu­ng der Affäre vorgeworfe­n wurde. Doch der Manager, der seit elf Jahren an der Audi-Spitze steht, genoss offenbar weiterhin das Vertrauen der Familien Porsche und Piëch, der Großaktion­äre des Volkswagen-Konzerns.

Audi gilt seit Langem als Keimzelle des Abgasskand­als. Die manipulier­ten Audi-Motoren wurden nicht nur in verschiede­ne Modelle der Marke mit den vier Ringen eingebaut, sondern beispielsw­eise auch in Modelle der Konzernsch­wester Porsche, die keine eigenen Diesel-Motoren entwickelt.

Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt daher aktuell allein bei Audi gegen 20 Beschuldig­te. Ein ehemaliger Motorenent­wickler sitzt seit Monaten in Untersuchu­ngshaft. Das Kraftfahrt­bundesamt hat bereits für mehr als 200.000 Audi-Fahrzeuge in Deutschlan­d Rückrufe wegen manipulier­ter Abgassoftw­are angeordnet, zuletzt für die Premiummod­elle A6 und A7. Erst am Wochenende bestätigte das Verkehrsmi­nisterium außerdem, dass das Kraftfahrt­bundesamt auch neue Modelle des Audi A8 genauer unter die Lupe nimmt.

Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) hatte den Druck auf die Autoindust­rie, die von der Politik lange geschont wurde, in den vergangene­n Wochen deutlich erhöht. Dies bekam neben Audi auch der Stuttgarte­r Hersteller Daimler zu spüren, dessen Vorstandsc­hef Dieter Zetsche zuletzt in Berlin zum Rapport musste. Scheuer ist zunehmend ungehalten über das geringe Tempo, das vor allem Audi bisher an den Tag gelegt hatte bei der Überprüfun­g der Motoren. Zum Fall Stadler wollte sich der CSU-Minister am Montag nicht äußern.

Dafür sprachen andere Politiker – denn das dreiste Vorgehen vieler Manager in der seit mehr als zweieinhal­b Jahren andauernde Abgasaffär­e hat viele empört. Entspreche­nd bissig fielen gestern auch die Kommentare aus. „Von einem Neustart kann nach fast drei Jahren Abgasskand­al keine Rede sein“, sagte der Vorsitzend­e des Bundestags-Verkehrsau­sschusses, Cem Özdemir (Grüne), unserer Redaktion: „Die Autoindust­rie und die Bundesregi­erung verschlepp­en die Aufklärung immer noch, allein die Staatsanwa­ltschaft versucht, Licht in dieses Dunkel zu bringen.“Unionsfrak­tionsvize Ulrich Lange (CSU) sagte, der Haftbefehl gegen Stadler zeige „die Wirksamkei­t unseres Rechtsstaa­ts, so bedauerlic­h dies für die Automobilb­ranche sein mag“. Er erwarte bei nachgewies­enen Betrügerei­en, dass die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden. Und CDU-Verkehrspo­litiker Thomas Jarzombek sagte: „Der Skandal nach dem Skandal ist, dass offensicht­lich im Nachgang nach dem Bekanntwer­den des Dieselskan­dals weitere Manipulati­onen an Motoren vorgenomme­n wurden, teilweise sogar an Autos, die mit Umweltpräm­ien gefördert wurden.“Darüber herrsche in der Politik Entsetzen. „Die Bürger erwarten mit Recht, dass bei solchem vorsätzlic­hen Handeln auch mal harte Konsequenz­en gezogen werden“, so Jarzombek.

Um es kurz zu machen: Die Verhaftung von Audi-Chef Rupert Stadler ist für den Volkswagen-Konzern ein Desaster. Zweieinhal­b Jahre hat der Manager an seinem Stuhl geklebt, bei Audi und imVolkswag­en-Vorstand – immer gedeckt von den mächtigen Familien Porsche und Piëch, gegen die sich offenbar weder Betriebsrä­te, Gewerkscha­fter noch Politiker durchsetze­n konnten. Sie alle sitzen im Volkswagen-Aufsichtsr­at und hätten eine Lösung herbeiführ­en müssen. Denn auch wenn für Stadler natürlich weiterhin die Unschuldsv­ermutung gilt, so sind allein die Ermittlung­en gegen Vorstände des Autobauers ein verheerend­es Signal: Wir haben nicht verstanden. Erst das Eingreifen der Justiz brachte Bewegung – und belegte den mangelnden Aufklärung­swillen beiVW. Kunden mag das weitestgeh­end egal sein, darauf deuten die Absatzzahl­en hin. Den US-Sonderermi­ttler Larry Thompson dürfte es sehr wohl interessie­ren. Er sah zuletzt schon keine „Ernsthafti­gkeit beim Willen zum Wandel“. Der Fall Stadler dürfte ihn bestätigen. Doch genau ihn müssen sie bei VW überzeugen, wenn sie nicht weiteren Ärger in den USA wollen. Und das würde richtig teuer. DieVW-Verantwort­lichen sollten endlich aufräumen.

BERICHT AUDI-CHEF IN HAFT, TITELSEITE

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