CDU und CSU vermeiden vorerst Bruch
Der Fortbestand von CDU und CSU als Fraktionsgemeinschaft im Bundestag ist zumindest für die kommenden 14 Tage gesichert. So lange hat die CSU Kanzlerin Angela Merkel eingeräumt, bilaterale Abkommen in Europa – etwa mit Italien und Griechenland – zu schließen, damit diese Länder künftig jene Flüchtlinge zurücknehmen, die in ihren Ländern registriert wurden.
„Es gibt keinen Automatismus“, betonte Merkel mit Blick auf die weiteren Maßnahmen der Deutschen nach dem EU-Gipfel. Die CSU ist fest entschlossen, spätestens ab Anfang Juli alle Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert worden sind. Merkel wie- derum betonte, sie wolle nach dem EU-Gipfel das weitere Vorgehen zuerst mit der CDU und dann mit der CSU beraten. Seehofer kündigte an, die Zurückweisungen aller in einem anderen Land der EU registrierten Flüchtlinge jetzt schon vorzubereiten.
Zum Druck, den die CSU ausübt, sagte die Kanzlerin: „Ich sehe mich angespornt, noch intensiver für eine Lösung mit europäischen Partnern zu arbeiten.“Aber auch sie ließ gegenüber der CSU ihre Muskeln spielen: „Wenn die Maßnahme in Kraft gesetzt würde, dann würde ich sagen, ist das eine Frage der Richtlinienkompetenz.“Soll heißen:Wenn Seehofer in Sachen Zurückweisungen tatsächlich einen Alleingang wagen sollte, kann sie ihn entlassen.
Bereits in der Nacht zum Dienstag oder im Laufe des Tages sollte eine weitere Stufe von Zurückweisungen scharfgestellt werden. Alle Flüchtlinge, die schon ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen haben und das Land mit einer Wiedereinreisesperre verlassen mussten, sollen tatsächlich am Grenzübertritt gehindert werden. Eine entsprechende Anweisung wollte Seehofer laut seiner Ankündigung unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Berlin der Bundespolizei übermitteln. Bislang werden nur alle bei Grenzkontrollen festgestellten illegal Einreisenden wieder zurückgewiesen, die keine Papiere dabei haben und keinen Asylwunsch äußern. Das sind rund 1000 im Monat.
Als „rechtswidriges Verhalten“kritisierte Pro-Asyl-Chef Günter Burkhardt die Anweisung von Seehofer. „Auch wenn jemand eine Einreisesperre wegen eines bereits abge- lehnten Asylverfahrens hat, muss der Fall noch einmal vom Bundesamt bewertet werden“, sagte Burkhardt unserer Redaktion. Schließlich könne jemand, der etwa aus Afghanistan komme, nach Monaten neue Asylgründe haben. Pro Asyl befürchtet, dass es an der Grenze„vermehrt zu Kontrollen nach Hautfarbe“komme.
Die SPD will vor dem EU-Gipfel noch mit CDU und CSU über die Migrationspolitik beraten. Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles verlangte eine Sitzung des Koalitionsausschusses, um über andere Wege zur Lösung des Konflikts zu sprechen. Seehofer kündigte an, in den nächsten Tagen den Masterplan der Union wie der SPD und dann der Öffentlichkeit vorzustellen.
Der große Knall zwischen CDU und CSU konnte abgewendet werden. Die Parteien haben getan, was in der Politik eigentlich normal ist: Sie sind sich ein Stück entgegengekommen. Für eine so kleine Bewegung in einer politischen Sachfrage muss man keine historische Krise provozieren. Der Kompromiss wird aber nicht von Dauer sein.
Nur wenn es der Kanzlerin gelingt, eine Reihe von süd- und südosteuropäischen Ländern dazu zu bewegen, die bei ihnen registrierten Flüchtlinge im Fall von Zurückweisungen an der deutschen Grenze zurückzunehmen, kann der Streit zwischen CDU und CSU befriedet werden. Die Chancen, dass ihr solche Abkommen glücken und für Deutschland bezahlbar bleiben, sind nicht gut. Die Zwei-Wochen-Frist ist nur eine Atempause: Die Fehde zwischen CDU und CSU wird sich fortsetzen – so oder so. Selbst wenn Merkel mit dem Druck im Rücken, dass die Flüchtlingsfrage die deutsche Regierung sprengen könnte, die Abkommen schließen kann, bleibt die Entfremdung der Schwesterparteien. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der nächste Streit entzündet.
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