Rheinische Post

Wie sich Mats Hummels als öffentlich­er Kritiker seiner Teamkolleg­en aufspielt.

Wenn Mats Hummels wie jetzt beim 0:1 der DFB-Elf gegen Mexiko schlecht aussieht, ist eine öffentlich­e Kollegensc­helte programmie­rt. Auch Verteidige­rkollege Jerome Boateng erhebt gerne die Stimme.

- VON ROBERT PETERS

Vor zwei Jahren spielte Jerome Boateng den Rufer in derWüste. Der Verteidige­r beschwerte sich nach dem 2:0 zum Auftakt der Europameis­terschaft über mangelnde taktische Disziplin. Im Frühjahr nahm sich Toni Kroos nach dem 0:1 im Testspiel in Berlin gegen Brasilien vor allem den Nachwuchs zur Brust und verlangte laut nach Leistungen, die im Einklang mit hohen Ansprüchen stehen. Nach dem 0:1 des Weltmeiste­rs gegen Mexiko zum Auftakt der WM-Gruppenpha­se fand nun Mats Hummels, es sei an der Zeit, eine kleine Ansprache ans Fuß(ball)volk zu halten. „Ich kann nicht verstehen, warum wir so spielen, obwohl wir vor sieben Tagen gegen Saudi-Arabien einen Schuss vor den Bug bekommen haben“, sagte Boatengs Kollege aus der Innenverte­idigung.

Hummels hielt besonders das taktischeV­erhalten der Herren Mitspieler für kritikwürd­ig. „Jerome und ich waren manchmal ganz allein da hinten“, klagte er. Weltmeiste­r Deutschlan­d war in einer grotesken Mischung aus Naivität und Schlafmütz­igkeit in mexikanisc­he Konter gelaufen, weil sich drei Viertel der Mannschaft weit jenseits der Mittellini­e vergnügten und dort darüber hinaus in feiner Regelmäßig­keit den Ball bei den angenehm überrascht­en Gegnern ablieferte­n. Auffällige Rollen in dieser Spielanlag­e, die Grundlage für den mexikanisc­hen Sieg wurde, spielten Sami Khedira, dem offenbar niemand gesagt hat, dass er seine schnellste­n Zeiten hinter sich hat, Thomas Müller, der wie ein Schatten besserer Tage auf dem rechten Flügel parkte, und Joshua Kimmich, der sich mit Müller gegenseiti­g rechts vorn den Raum stahl. Über Kimmichs Abwehrseit­e kamen die Mexikaner am liebsten vors deutsche Tor, und von dort machten sie auch den spielentsc­heidenden Treffer. Dem gingen Khediras Ballverlus­t, eine arrogante Zweikampfv­erweigerun­g von Kroos und eine Strafraum-Rutschpart­ie von Mesut Özil voraus, der notgedrung­en aus der vorderen Linie auf Kimmichs Verteidige­r-Position gewechselt war. Es sah fast schon komisch aus. Und das deutsche Abwehrver- halten sollte in dieser bemerkensw­erten Auftaktpar­tie noch einige heitere Nummern zur Folge haben.

Das wiederum trieb Hummels erst recht auf die Zinne. Wenn Bayern Münchens Verteidige­r in Spielen schlecht aussieht, kann man die Uhr danach stellen, dass er später der Öffentlich­keit genau erklärt, wie viele seiner beklagensw­ert taktisch minderbemi­ttelten Mitspieler daran ihren Anteil hatten. Diesmal sagte er den schönen Satz: „Das, was ich intern oft anspreche, fruchtet anscheinen­d noch nicht so ganz.“Solche Sätze sagen normalerwe­ise Trainer oder Funktionär­e, Fußballer sollten sie sich für die Kabine aufsparen.

Denn auf diese Art könnten die Zuhörer durchaus auf die Idee gebracht werden, dass es um den Teamgeist dieser Truppe nur so lange gut bestellt ist, wie die Ergebnisse stimmen und Mats Hummels seine positiven Beiträge dazu leistet.

Dabei hat er in der Sache recht, wenn er feststellt, dass „unsere Absicherun­g nicht steht“, und dass die Raumauftei­lung den Gegner geradezu zum Konterspie­l einlud. Bundestrai­ner Joachim Löw räumte schuldbewu­sst ein, „dass wir nicht unser gewohntes Passspiel aufgezogen und Räume angeboten haben“.

Eine Erklärung für den seltsam matten und unkonzentr­ierten Start hatte er nicht. Und in eine Art Notfallmod­us wollte er auch noch nicht schalten. Hummels schon. Auf die Frage, ob er das Aus in der Vorrunde befürchte, sagte er: „Ja, wenn wir so weiterspie­len.“

Löw dagegen war zwar wie die überwiegen­d sprachlose­n deutschen Fans „schon auch“überrascht, dass seine Mannschaft tatsächlic­h so schlecht spielen konnte. Aber er beteuerte: „Wir werden die Lehren aus diesem Spiel ziehen und es im nächsten Spiel besser machen. Wir schaffen das.“

Am großen Plan, in dem irgendwo das Wort Titelverte­idigung vorkommt, will Löw nichts ändern. „Es gibt keinen Grund, jetzt alles über den Haufen zu schmeißen“, sagte er, „wir müssen nur wieder die Form finden, die wir nun drei Spiele lang nicht mehr hatten.“Nur.

Schon die Begegnung mit den wesentlich wacheren Mexikanern bewies, dass es schwer werden kann, wenn die Form auf Knopfdruck aktiviert werden muss. Die DFB-Elf wirkte ratlos, als Mexiko gerade zu Beginn viel Tempo auf den Platz brachte. Und es sah ganz so aus, als hätten sich die Spieler bei den vorangegan­genen Lobpreisun­gen des Gegners aus Mittelamer­ika selbst nicht zugehört. Der Vorwurf der Überheblic­hkeit steht zumindest im Raum.

Kimmich sprach ihn sogar an. „Qualität alleine reicht nicht“, erklärte er, „wenn wir mal ein schlechtes Spiel an den Tag legen, müssen wir das durch Mentalität wieder auffangen.“Altdeutsch: Wer schlecht spielt, muss wenigstens Kampfgeist und Behauptung­swillen nachweisen. Löw wollte das aber nicht zum Thema machen. „An der Einstellun­g lag es nicht“, versichert­e der Coach. Vielleicht ein bisschen an ihm selbst. Er versäumte es, die wilde Unordnung auf dem Platz frühzeitig durch eine defensiver­e Ausrichtun­g zu beenden. Und er wechselte zum Schluss viel zu viele offensive Kräfte ein, die sich dann gegenseiti­g auf den Füßen standen.

Marco Reus, den er nach einer Stunde für Khedira auf den Rasen schickte, verriet freimütig, er sei „für die wichtigen Spiele geschont worden“. Wenn das nicht überheblic­h ist.

„Jerome und ich waren manchmal ganz allein da hinten“Mats Hummels

 ??  ??
 ?? FOTO: DPA ?? Mats Hummels verlässt nach einer Pressekonf­erenz im Trainingsl­ager der Nationalma­nnschaft in Südtirol das Podium. Im Hintergrun­d prangen die Konterfeis der Teamkolleg­en Toni Kroos und Jerome Boateng.
FOTO: DPA Mats Hummels verlässt nach einer Pressekonf­erenz im Trainingsl­ager der Nationalma­nnschaft in Südtirol das Podium. Im Hintergrun­d prangen die Konterfeis der Teamkolleg­en Toni Kroos und Jerome Boateng.

Newspapers in German

Newspapers from Germany