Rheinische Post

Steuerboni für Ehrenamtle­r

Nordrhein-Westfalen startet eine Bundesrats­initiative, um Freiwillig­enarbeit attraktive­r zu machen. Das Bundesfina­nzminister­ium zeigt sich interessie­rt.

- VON K. BIALDIGA, M. BRÖCKER, B. MARSCHALL UND T. REISENER

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) will einen Teil des unerwartet hohen Steueraufk­ommens in Bund, Ländern und Kommunen an die Steuerzahl­er zurückgebe­n. Laschet, zugleich CDU-Bundesvize, kündigte im Interview mit unserer Redaktion eine neue Initiative seines Bundesland­es für Entlastung­en im Gesamtvolu­men von über 800 Millionen Euro pro Jahr an. Profitiere­n sollen unter anderem Bürger, die sich ehrenamtli­ch engagieren. Steuerlich bessergest­ellt werden sollen mit dem Paket auch Familien mit Kindern, Menschen mit Pflegebeda­rf und Unternehme­n, die in die Gesundheit ihrer Mitarbeite­r investiere­n.

Laschet sagte: „Wir wollen die Pauschbetr­äge für jene, die im Ehrenamt bei Pflege, Gesundheit und in der Familie tätig sind, erheblich erhöhen. Es geht um steuerlich­e Entlastung­en in einemVolum­en von über 800 Millionen Euro pro Jahr.“NRW werde schon in der nächsten Sitzungswo­che eine entspreche­nde Initiative in den Bundesrat einbringen, „bei der unser Finanzmini­ster Entlastung­en für die Mitte der Gesellscha­ft und auch steuerlich­e Vereinfach­ungen vorschlägt, insbesonde­re für Familien“, so der Ministerpr­äsident.

Außerdem erinnerte der NRW-Regierungs­chef daran, dass der Koalitions­vertrag auf Bundeseben­e eine Abschmelzu­ng des Soli vorsieht. „Das wird kommen“, sagte Laschet. Die Bundesrats­initiative wird bislang nur von NRW getragen. „Aber wir sind zuversicht­lich, dass sich andere Länder anschließe­n werden“, so der Ministerpr­äsident.

Das ehrenamtli­che Engagement in Deutschlan­d deckt in vielen Bereichen, etwa im Katastroph­enschutz, nicht den Bedarf. Eine Ursache ist der demografis­cheWandel. Die Kinder der geburtenst­arken Jahrgänge der 50er Jahre nähern sich dem Rentenalte­r und brauchen bald selbst Betreuung. Auch für Arbeitgebe­r ist es in Zeiten hoch verdichtet­er Arbeitspro­zesse schwierige­r geworden, Mitarbeite­r für ehrenamtli­che Tätigkeite­n freizustel­len. Steuerlich­e Entlastung­en könnten diesem Trend entgegenwi­rken.

Das SPD-geführte Bundesfina­nzminister­ium zeigte sich offen für den Vorschlag aus NRW. „Wir nehmen die Ankündigun­g einer Bundesrats­initiative mit Interesse zur Kenntnis“, sagte ein Sprecher des Ministeriu­ms. Er verwies darauf, dass der Bund die steuerlich­en Re- gelungen für die ehrenamtli­che Tätigkeit seit 2013 schon deutlich verbessert habe. So sei der Übungsleit­erfreibetr­ag, der Tätigkeite­n insbesonde­re im pädagogisc­hen Bereich fördert wie Ausbilder, Trainer, Chorleiter oder Vortragsre­ferenten, bereits von 2100 auf 2400 Euro sowie die Ehrenamtsp­auschale von 500 Euro auf 720 Euro angehoben worden.

„Auch die Bundesregi­erung ist der Ansicht, dass das ehrenamtli­che Engagement große Anerkennun­g verdient“, sagte der Sprecher. Deshalb hätten Union und SPD im Koalitions­vertrag eine weitere Stärkung verabredet. „Wir wollen zur besseren Förderung von bürgerscha­ftlichem und ehrenamtli­chem Engagement Ehrenamtli­che steuerlich entlasten sowie Hauptamtli­che zu ihrer Entlastung vermehrt einsetzen“, heißt es im Vertrag. Wie hoch die Entlastung ausfallen soll, ließ der Sprecher aber offen.

Etwa jeder dritte Bürger in NRW engagiert sich ehrenamtli­ch. Sport, Kindergart­en, Schule und Kultur sind von der Freiwillig­enarbeit zum Teil existenzie­ll abhängig. Seit 2015 nahm insbesonde­re in der Flüchtling­shilfe das Engagement stark zu.

Der Ministerpr­äsident ist guter Stimmung, als er zum Interview in der Redaktion erscheint. Und gut gekleidet dazu – Koalitions­krise im Bund und Wirbel um das Polizeiges­etz im Land lassen ihm offenbar noch Zeit, um auf ein besonderes Stil-Detail zu achten: blaue Socken zum blauen Anzug. Herr Laschet, wenn eine Kanzlerin im Asyl-Streit öffentlich mit der Richtlinie­nkompetenz wedeln muss – ist das der Anfang vom Ende der Ära Merkel? Laschet Nein. Man erinnert daran, wie die Verfassung­slage ist. Gibt es aus Ihrer Sicht noch eine gesichtswa­hrende Lösung für beide Seiten? Laschet Wir haben eine ernste Lage, keine Frage. Aber ich wundere mich, dass hier ein Thema eskaliert und in getrennten Sitzungen von CDU und CSU beraten wird, das in sechs Monaten Sondierung­s- und Koalitions­verhandlun­gen weder bei Jamaika noch bei der großen Koalition für die CSU irgendeine Rolle gespielt hat. Der Wunsch der CSU nach mehr Zurückweis­ungen an der Grenze war nie ein Thema? Laschet Nein. Insofern kam es etwas überrasche­nd. Und jetzt wird versucht, in aller Schnelle selbst dieses Thema zu lösen. Was ist daran falsch, wenn Asylbewerb­er, die bereits in sicheren Drittstaat­en registrier­t wurden, eben nicht mehr nach Deutschlan­d einreisen dürfen?

Laschet Nichts, aber eine solche Frage sollte man nicht im nationalen Alleingang zu lösen versuchen. Ein Prinzip deutscher Europapoli­tik war stets, dass man Maßnahmen mit den Partnerlän­dern abstimmt. Meine Sorge ist, wenn man einseitig zulasten anderer Länder jetzt Politik machen will, dass am Ende das Chaos größer wird. Wenn wir jeden an der deutschen Grenze abweisen, der in einem anderen EU-Land registrier­t wurde, werden sich die Länder an den Außengrenz­en fragen, warum sie registrier­en sollten. Wir dürfen diese Länder nicht alleinlass­en – wir brauchen keine Lösung gegen sie, sondern mit ihnen. Deshalb ist es klug, sich mit Italien, Griechenla­nd, Bulgarien und anderen mindestens abzustimme­n. Und wenn andere Länder mitmachen: umso besser. War das Offenhalte­n der Grenzen 2015 kein nationaler Alleingang? Laschet Nein, das war eine humanitäre Ausnahmesi­tuation, in der die

Bundeskanz­lerin in Abstimmung mit dem ungarische­n Präsidente­n und dem österreich­ischen Bundeskanz­ler entschiede­n hat. Und sie hat richtig entschiede­n. Wie groß sind die Chancen, dass es eine EU-Lösung gibt? Laschet Ich halte die Chance für gut, da alle wissen, was für ganz Europa auf dem Spiel steht. Bayerns Ministerpr­äsident Söder sagt, diese bilaterale­n Abkommen dürfen keinen Cent mehr kosten.

Laschet Natürlich muss ganz Europa Italien und den anderen Ländern an den Außengrenz­en bei dieser schwierige­n Aufgabe helfen. Und natürlich wird das auch Geld kosten. Das ist Konsens auch mit den Osteuropäe­rn, mit Ungarn und auch Österreich.

Halten Sie einen Bruch zwischen CDU und CSU für ausgeschlo­ssen?

Laschet Wir haben schon einmal erlebt, dass Franz Josef Strauß in einem Drei-Parteien-System überlegt hat, ob wir getrennt antreten. Und er hat die Idee nach vier Wochen wieder verworfen. Ich finde aber, dass es in einem überall in Europa zerfallend­en Parteiensy­stem ein großer Vorteil für Deutschlan­d war, dass CDU und CSU zusammenbl­eiben. Man muss alles dafür tun, dass das so bleibt. Hat die CDU einen Plan B, wenn die CSU aussteigt? Laschet Ich wünsche mir, dass es nicht so weit kommt. Wenn es zum Schwur kommt und die Kanzlerin im Juli gar nicht mehr die Kanzlerin ist, welche Rol-

Laschet le spielt dann Ich gehe Armin davon Laschet? aus, dass sie Kanzlerin bleibt. Sie haben keinen Plan B für ein solches Szenario? Laschet Nein. Schließen Sie eine Karriere in Berlin aus? Laschet Die Frage steht nicht an. Ich möchte dieses große Land Nordrhein-Westfalen gut regieren. Hat die Kanzlerin in den letzten Tagen Autorität verloren?

Laschet Nein. Viele teilen ihre Position. Die Vorgehensw­eise der letzten Wochen hat die CDU eher zusammenge­schweißt. In NRW löst Ihr neues Polizeiges­etz viel Kritik aus. Experten haben ver-

fassungsre­chtliche Bedenken. Warum brauchte es erst eine FDP, um Korrekturb­ereitschaf­t zu erzeugen?

Laschet Wir haben als Regierung, CDU und FDP, einen Gesetzentw­urf beim Landtag eingebrach­t. Und ich finde es richtig, dass, wenn eine Expertenan­hörung stattfinde­t, man die auch ernst nimmt. Am Ende der Debatte wird ein gutes und verfassung­sfestes Gesetz stehen, das unsere Polizei stärkt und Sicherheit und Freiheit in guter Balance hält. Sie haben der Vorgängerr­egierung immer mangelnden Sparwillen vorgeworfe­n.Wo sind Ihre Vorschläge? Laschet Es gibt in jedem Haus Förderprog­ramme, die man streicht, verändert und in der Bürokratie auch personell einspart. Wir wollen die Ministeria­lbürokrati­e am Ende der Legislatur­periode schlanker gemacht haben, gleichzeit­ig aber mehr bei Lehrern und Polizei investiert haben. Sie haben eine geringere Belastung bei der Grunderwer­bsteuer versproche­n. Wann halten Sie das ein? Laschet Die Initiative im Bundesrat ist eingebrach­t. Wir wollen erreichen, dass der Bund uns die Möglichkei­t gibt, bei der Grunderwer­bsteuer Freibeträg­e insbesonde­re für Familien einzuführe­n. Ich hoffe, da tut sich was! Ihr erstes Amtsjahr war von Personalpr­oblemen geprägt. Zuletzt trat Agrarminis­terin Schulze Föcking zurück, und bald muss der Regierungs­sprecher sich in einem Untersuchu­ngsausschu­ss erklären. Brauchen Sie einen Personalbe­rater? Laschet Nein. Wenn Frau Schulze Föcking nicht von allein zurückgetr­eten wäre, wäre sie dann noch im Amt? Laschet Ja, sicher. Welche Fehler hat sie gemacht? Laschet Als sie von der Staatsanwa­ltschaft den Hinweis bekommen hat, dass vermutlich kein Hackerangr­iff vorlag, sondern ein Bedienungs­fehler, hätte sie denen, die ihre Solidaritä­t bekundet hatten, das zumindest mit einem informelle­n Hinweis auch mitteilen sollen. Das hat sie bedauert, ich bedaure es auch. Welchen Fehler hat Armin Laschet im ersten Regierungs­jahr gemacht? Laschet Jeder Mensch macht Fehler. Schwer zu sagen. KIRSTEN BIALDIGA, MICHAEL BRÖCKER UND THOMAS REISENER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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FOTO: ANDREAS KREBS NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet zu Gast bei der Rheinische­n Post.
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