Der seltsame Fall des Oliver Ongaro
Der Fiftyfifty-Streetworker soll eine OSD-Mitarbeiterin verletzt haben. Die Angelegenheit beschäftigt nicht nur die Justiz, sondern auch die Politik. Was wir wissen und was nicht.
Der Fiftyfifty-Streetworker soll eine OSD-Mitarbeiterin geschlagen haben. Die Angelegenheit beschäftigt nicht nur die Justiz, sondern auch die Politik.
Am 8. November wollte der Ordnungs- und Servicedienst (OSD) am Carlsplatz einen Wohnungslosen verwarnen, weil er mit dem Rad durch die Fußgängerzone gefahren war. Die Situation eskalierte – und hat nun auch ein politisches Nachspiel.
Was passierte am Carlsplatz? Das versuchen Staatsanwaltschaft und Polizei zu ermitteln. Fest steht: Der Wohnungslose sollte ein Bußgeld von 15 Euro zahlen. Oliver Ongaro, als Fiftyfifty-Streetworker und Polit-Aktivist bekannt, schaltete sich ein. Die Lage schaukelte sich hoch, am Ende gab es ein Gerangel. Ongaro und eine Mitarbeiterin des OSD zeigten sich gegenseitig wegen Körperverletzung an. Die Staatsanwaltschaft kam nach Angaben der Behörde zu der Bewertung, dass die Vorwürfe gegen Ongaro glaubwürdiger sind, unter anderem, weil die OSD-Mitarbeiterin eine Verletzung ärztlich dokumentieren ließ. Gegen Ongaro wurde Anklage erhoben, das Verfahren gegen die Frau vorläufig eingestellt. Die Ermittlungen laufen aber noch. Fiftyfifty teilte gestern mit, es hätten sich weitere Zeugen gemeldet, die Ongaros Version bestätigen. Der Streetworker bestreitet eine Gewaltanwendung.
Was geschah danach? Rund zwei Wochen nach dem Vorfall gab es ein Klärungsgespräch, zu dem Ordnungsdezernent Christian Zaum eingeladen hatte. Der Hintergrund ist, dass das Verhältnis zwischen der Hilfsorganisation und dem Sicherheitsdienst schon vorher angespannt war. Fiftyfifty wirft dem OSD ein zu hartes Vorgehen gegen Wohnungslose vor, die OSD-Mitarbeiter weisen die Vorwürfe zurück. Zugleich ist Fiftyfifty als wichtige Unterstützung für Wohnungslose anerkannt. Bei dem Treffen vereinbarte man einige Verbesserungen in der Zusammenarbeit. Was auch noch passierte: Neben der Mitarbeiterin erstatte die Stadt als Arbeitgeber Anzeige gegen Ongaro. Dies ist üblich bei Übergriffen im Amt und soll das öffentliche Interesse zeigen. Durch die zusätzliche Anzeige ist das Verfahren zudem nicht mehr zu stoppen – selbst wenn die Mitarbeiterin ihre Anzeige zurückziehen würde („Offizialdelikt“)
Was tat Geisel? Der Prozess gegen Ongaro wurde auf Ende Juni terminiert, später platzte der Termin, weil noch Aussagen ausgewertet werden sollen. Rund zwei Wochen vor der Verhandlung wurde Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) aktiv und ließ seinen Rechtsdezernenten Zaum ein Gespräch mit der Mitarbeiterin führen. Dabei ließ er sie auch fragen, ob sie die Anzeige zurückziehen will. Unklar ist, warum er sich überhaupt einschalte- te. Möglicherweise wurde er von Vertretern von Fiftyfifty angesprochen – die gut vernetzte Organisation trommelt für ihren Streetworker. Ongaro sagt, Geisel habe ihn ebenfalls gefragt, ob man nicht lieber einen Täter-Opfer-Ausgleich anstreben soll. Strittig ist auch, was sich Geisel erhoffte: Das Verfahren war nicht mehr zu stoppen. Wie sein Sprecher Dieter Schneider gestern sagte, hätte Geisel es begrüßt, „wenn im direkten Gespräch Genugtuung erzielt werden könnte“. Denn es handele sich beim OSD um einen wichtigen Teil der Stadtverwaltung und bei Fiftyfifty um einen wichtigen Partner. Daher habe Geisel auch ein weiteres Gespräch mit der Organisation erbeten. „Der OB legt Wert auf die Feststellung, dass er das Vorgehen der städtischen Mitarbeiterin selbstverständlich respektiert“, sagt Schneider. Ein neuer Prozesstermin steht noch nicht fest.
Warum könnte Geisels Vorgehen ein Problem sein? Die Mitarbeiter der Stadt werden immer häufiger ein Opfer von Angriffen, viele haben Angst. Das Ordnungsamt, zu dem der OSD gehört, ist von Beleidigungen und Gewalt besonders betroffen. Die Stadt hat gerade Gegenmaßnahmen mit den MItarbeitern vereinbart. Die CDU kritisiert, das Vorgehen im Fall Ongaro konterkariere die Bemühungen. Der OB erwecke den Eindruck, er wolle „den Schutz eines Streetworkers höher bewerten als den einer Mitarbeiterin der Verwaltung“, so Fraktionschef Rüdiger Gutt. „Wir haben Zweifel, ob Sie sich tatsächlich vor Ihre Mitarbeiter stellen“, schreibt Gutt an Geisel in einer Anfrage, die am Donnerstag im Rat beantwortet wird. Vom Personalrat kommt hingegen Rückendeckung. „Gewalt gegen Beschäftigte der Stadt ist grundsätzlich zu verurteilen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende Stefan Wittstock. Der Mitarbeitervertreter will den Fall nicht kommentieren, lobt aber die jüngsten Vereinbarungen mit der Stadtspitze. „Wir haben bislang den Eindruck, dass diese Schritte auch eine Priorität des OB sind.“