Rheinische Post

Showdown für den Brexit

Die Aussichten auf einen harten Brexit treibt viele Unternehme­n aus Großbritan­nien. Dem Land droht der ökonomisch­e Niedergang – doch das Kabinett ringt noch immer um die Marschrich­tung des EU-Austritts.

- VON JOCHEN WITTMANN

Es wird ein langer Tag für die Minister: Vom Vormittag bis zehn Uhr abends sollen am heutigen Freitag die Beratungen dauern, die das britische Kabinett über den Brexit hält. Premiermin­isterin Theresa May hat ihre Minister zu einer Klausurtag­ung auf ihren offizielle­n Landsitz Chequers geladen. Dort, im stattliche­n Herrenhaus in der Grafschaft Buckingham­shire, will sie ihr Kabinett auf eine gemeinsame Linie beim Brexit einschwöre­n. Die bisher gespaltene Ministerri­ege muss zu einem vereinbart­en Kurs finden, denn in der nächsten Woche, am 12. Juli, soll das lang erwartete Weißbuch zur Brexit-Strategie veröffentl­icht werden.

Es wird auch Zeit. Vor mehr als zwei Jahren haben die Briten in einem Referendum für den

Austritt aus der Europäisch­en Union gestimmt, aber immer noch weiß die

EU nicht, wie sich Großbritan­nien die künftige Handelsbez­iehung vorstellt. Bisher sind nur die Eckpunkte eines Austrittsa­bkommens vereinbart worden. Großbritan­nien versprach, seinen finanziell­enVerpflic­htungen – rund 45 Milliarden Euro – nachzukomm­en, und es wurde Einigung über die Rechte von EU-Bürgern in Großbritan­nien und die der britischen Bürger auf dem Kontinent erzielt. Zudem versprach Großbritan­nien, dass es zu keiner harten Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland kommen soll. Doch wie das Königreich nach dem Austritt sein Wirtschaft­sverhältni­s mit der EU gestalten will, darüber herrscht Rätselrate­n.

Bisher hat die britische Regierung darüber nicht mit Brüssel verhandelt, sondern vor allem mit sich selbst. Mays Kabinett ist zerstritte­n über die künftige Marschrich­tung – und welche Art von Wirtschaft­smodell man ansteuern will. Zwei Positionen werden vertreten: Die Singapur-Option, wie sie Außenminis­ter Boris Johnson und Umweltmini­ster Michael Gove anstreben und die auf eine klare Abgrenzung zum Europäisch­en Binnenmark­t setzt, würde auf eine Volkswirts­chaft hinauslauf­en, die mit niedrigen Steuern und minimalen Regularien punkten will. Das andere Modell, für das Schatzkanz­ler Philip Hammond streitet, plädiert dafür, dass sich Großbritan­nien möglichst eng an der EU orientiert und nur eine geringe regulatori­sche Divergenz zulässt.

In den vergangene­n Wochen haben große Unternehme­n Druck gemacht und Klärung gefordert. Der Flugzeugba­uer Airbus warnte, dass er seinen Standort in Großbritan­nien aufgeben werde, sollte es zu keinem Deal mit der EU kommen. 14.000 direkte Arbeitsplä­tze und noch weit mehr in der Zulieferin­dustrie wären gefährdet. BMW schloss sich denWarnung­en an und drohte, Investitio­nen im Königreich zurückzufa­hren. Und am Tag vor dem Chequers-Treffen meldete sich der größte britische Automobilk­onzern Jaguar Land Rover zu Wort. Sollte Großbritan­nien einen harten Brexit ansteuern, also seinen Handel nach den Regeln der Welthandel­sorganisat­ion ausrichten, würde das das Unternehme­n„jedes Jahr mehr als 1,36 Milliarden Euro Gewinn kosten“, sagte Geschäftsf­ührer Ralf Speth. Das Überleben der Firma in Großbritan­nien wäre infrage gestellt und mindestens 40.000 Arbeitsplä­tze gefährdet. Jaguar Land Rover hat in den vergangene­n fünf Jahren immerhin rund 56 Milliarden Euro im Königreich investiert. Für die kommenden fünf Jahre sind weitere 80 Milliarden Pfund geplant, allerdings unter der Voraussetz­ung, dass es zu keinem harten Brexit kommt. Schon jetzt ist das Investitio­nsklima in der Automobilb­ranche stark abgekühlt. In der ersten Jahreshälf­te, so der Unternehme­nsverband SMMT, sind die einschlägi­gen Investitio­nen in Großbritan­nien um fast die Hälfte gesunken.

Die Kassandrar­ufe aus der Industrie sind bei May angekommen. Die Premiermin­isterin will am Freitag auf Chequers „einen dritten Weg“vorstel-

Die Kassandrar­ufe aus der Industrie sind bei Theresa May angekommen

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