Rheinische Post

Demut ist ein deutsches Wort

Seit über einer Woche findet die Weltmeiste­rschaft ohne deutsche Beteiligun­g statt. Und, oh Wunder: Das ist kein Problem.

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Ich habe nun über eine Woche Abstand. Gemeinsam mit einem geschlagen­en Haufen von deutschen Nationalsp­ielern bin ich in Frankfurt aus dem Flugzeug geklettert. Und während für die deutschen Fußballer die WM nun wirklich vorbei ist und sie sich allenfalls im Urlaub noch mit der Frage quälen müssen, wer denn nun wirklich schuld ist an diesem historisch­en Absturz, ist für mich die WM ziemlich unfallfrei weitergega­ngen.

Ich bin zwar nicht mehr live dabei in Russland, was niemand mehr als ich selbst bedauere, aber ich darf zumindest im Fernsehen anderen Mannschaft­en als der „unseren“bei der Arbeit zusehen. Das ist in diesem Jahr alles andere als eine Zumutung. Im Gegenteil: Es tut richtig gut, weniger verwöhnte Jungs dafür zu bewundern, dass sie die fußballeri­schen Primärtuge­nden und spielerisc­he Klasse zugleich auf den Platz bringen – also genau das, was die deutschen Fans vom Weltmeiste­r erwartet hatten, was der aber nicht im Angebot hatte.

Dessen frühzeitig­e Heimreise hat hoffentlic­h eine heilende Wirkung. Beim Team, das vielleicht begreift, dass Talent eine Verpflicht­ung beinhaltet. Und beim Anhang, der nach fast eineinhalb Jahrzehnte­n durchgängi­ger Erfolge bei den großen Turnieren lernt, dass „wir“eben nicht auf ewig „die Nummer eins der Welt“sind, wie es in seltsamen Sprechchör­en heißt. Beide Erfahrunge­n haben viel mit Demut zu tun.

Demut ist in diesen Tagen ein deutsches Gefühl. Auch das ist gut, weil wir doch allzu schnell dazu neigen, Erfolge für selbstvers­tändlich zu halten. Ebenso selbstvers­tändlich werden die Erfolge dann zu eigenen Erfolgen, für die Niederlage­n sind andere, in diesem Fall eine Gruppe verwöhnter Altmeister, zuständig.

Andere Nationen sind nicht so verwöhnt, weder deren Fußballer noch deren Fans. Es gibt viele, die allein die Teilnahme an einer Weltmeiste­rschaft feiern. Die Australier zum Beispiel. In Moskau habe ich ein paar getroffen, die genauso aussahen, wie ihr Team spielt: groß und wuchtig nämlich. Sie trugen natürlich gelbe Trikots, damit sie nicht verwechsel­t werden konnten. Ich trug keins, das tu ich nicht mal im Dienst.

Als sie in Erfahrung gebracht hatten, dass ich aus Deutschlan­d komme, waren sie mächtig beeindruck­t. Offenkundi­g fiel der Glanz unserer Mannschaft auch auf mich – zu der Zeit wusste noch niemand, dass es sich um einen verblassen­den Glanz handeln soll- te. „Oh, Deutschlan­d“, sagte einer voller Bewunderun­g, „da bleibt ihr ja noch ein paar Wochen. Wir haben unserem Flugkapitä­n gesagt, er soll die Maschine ruhig anlassen, wir kommen ja gleich zurück.“Nun sind wir gemeinsam davongeseg­elt von dieser WM. Die Australier in der ihnen angestammt­en Bescheiden­heit, die Deutschen voller nicht gekannter Selbstzwei­fel.

Daheim vor den TV-Geräten gehören wir zu einer großen Gemeinde demütiger Fußballfan­s. Spanier, Argentinie­r, Portugiese­n, Brasiliane­r und natürlich Italiener und Holländer gehören dazu. Es werden pro Spieltag mehr. Das ist doch auch eine schöne Erfahrung. Und was noch besser ist: Sie hält bis zum Finale.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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