Hochdruck in der Tonhalle
Der Städtische Musikverein feierte mit 436 Sängern und Musikern aus Düsseldorf, Köln und Bonn 200. Geburtstag.
Adam Fischers Haydn-Mahler-Zyklus hat schon viele erhellende Momente beschert. Fischers Grundeinsicht, Haydn wie Mahler zu spielen und Mahler wie Haydn führte zur wohltuenden Schwulst-Abrüstung Mahlers und zur Erhöhung der Fallhöhe für den oft viel zu harmlos genommenen Haydn. Und die Gemeinsamkeiten – ironischer Witz und ein Hang zur Musik der Straße – kamen in der Gegenüberstellung umso klarer zum Vorschein.
Doch nun ist ein Punkt erreicht in diesem Langzeitprojekt, an dem sich der Eindruck aufdrängt, dass die Herren Tonsetzer wohl doch zwei sehr weit voneinander entfernte Planeten bewohnen. Wobei Intendant Michael Becker mit seinen einführenden Worten treffend beschwor, was die bevorstehende Kombination von Haydns „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“mit Mahlers 8. Symphonie noch eint: Beide Werke sind frei von jeder Ironie.
Dennoch könnte der Kontrast kaum größer sein zwischen Haydns intimer Passionsmusik und Mahlers monströser Symphonie, die nach der Uraufführung den Titel „Symphonie der Tausend“verpasst bekam. Zumal Fischer die Dramaturgie des Kontrasts noch theatralisch zuspitzt, indem er Haydns Karfreitagsmusik im abgedunkelten Saal musizieren lässt. Nur die Stern-Lämpchen funkeln durch die Metallhaut der Tonhallenkuppel und sorgen für sakraleWeihe. Da sind die Hundertschaften der Chöre schon längst einmarschiert und haben nicht nur die Plätze hinter dem Orchester, sondern auch die seitlichen Ränge geflutet.
Auch die riesige Orchesterbesetzung, für die angebaut werden muss, hat bereits Platz genommen. Wie gewohnt nimmt Fischer Haydn schlank, gestisch gespannt und präzise. Die Kammerbesetzung formuliert lebhaft und mit fabelhaft homogener Tongebung. Man wünschte sich mehr davon.
Doch dann blendet triumphal das Saallicht auf und allein die Luftbewegung durch die sich erhebenden Chöre ist ein erstes Klangereignis, das beklommen macht. 436 Mitwirkende zählt das Unternehmen. Und das sind für die akustischen Gegebenheiten der Tonhalle mindestens 150 zu viel.
Aber vielleicht liegt es ja am Sitzplatz? Hinten ins Parkett jedenfalls stürzt der erste Teil auf den Pfingst-Hymnus „Veni, creator spiritus“als kaum strukturierte, massive Klangwand aus dröhnendem Dau- er-Fortissimo mit stark dominierendem Orchester. Da ein großer Teil der beteiligten Chöre – neben dem Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf sind das der Philharmonische Chor Bonn, die Kartäuserkantorei Köln (herausragend!) und der Clara-Schumann-Jugendchor – aus Platzgründen auf den Emporen hinter Adam Fischer platziert sind, ist der Kontakt heikel. So wackeln manche Einsätze und fliegen anfangs die Tempi zwischen Podium und Rängen auseinander, weil Teile der Hundertschaften einfach nicht mitkommen. Und die Chorsoprane intonieren in den hohen Lagen teils flach und wenig zupackend. Auch auf dem Podium erzeugt die drangvolle Enge mehr Hochdruck als Differenzierung. Zumal die acht Gesangssolisten hinter dem Orches-
ter stehen und über das Orchester oft gar nicht durchdringen. Es liegt nicht an Fischer, der so energisch um Differenzierung ringt wie immer. Der Saal ist einfach zu klein für die Klangmassen, sie stoßen an, bevor sie sich organisch entfalten könnten.
Gottlob entspannt sich die Lage im zweiten Teil, den Mahler der Schluss-Szene aus Goethes „Faust II“widmet. Mit sinkendem Erregungspegel wird es anschaulicher, poetischer. Nun gelingen dem Riesen-Kollektiv betörende Misch-Klänge, raunende Piani, die kein Kammerchor jemals hinbekommt, und nun stimmt auch die Intonation. Im Orchester imponieren makellose Bläsersoli, die Streicher klingen seidig und befreit vom Druck. Das Ganze gewinnt Tiefenschärfe, Kontur und Atmosphäre. Und aus der famos, aber zu leicht besetzten Solistenschar kristallisiert sich der seraphisch leuchtende Sopran von Polina Pastirchak mit hinreißenden Legati heraus. Großer Jubel für eine sportive Gesamtleistung.