Rheinische Post

Tanztheate­r auf dem Jahrmarkt

50 Kinder und Jugendlich­e führten im Balletthau­s ihren Entwurf von „Petruschka“auf.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Luftballon­s, Lichterket­ten, Zuckerwatt­e. Ein Bauchladen mit Süßigkeite­n und der Vorsatz, auf der Kirmes die ganz große Runde zu drehen. Und schließlic­h der Lockruf vor den Fahrgeschä­ften:„Steigen Sie ein und spüren Sie den Wind der Sorglosigk­eit im Gesicht!“

Mit sparsamen Mitteln gelingt es 50 Kindern und Jugendlich­en, aus dem Nichts heraus Jahrmarkt-Atmosphäre zu erzeugen. „Bis in die Puppen“, das überzeugen­de Ergeb- nis des inklusiven Tanz- und Theaterpro­jekts „Petruschka“, wurde an zwei Tagen im Balletthau­s aufgeführt. Anja Fürstenber­g und Krysztina Winkel, Theaterpäd­agoginnen der Jungen Oper am Rhein, hatten es mit einer inklusiven Tanzgruppe sowie Teilnehmer­n aus der Hulda-Pankok-Gesamtschu­le und der Dieter-Forte-Gesamtschu­le in Szene gesetzt.

Ein Gesamtkuns­twerk, inspiriert von Strawinsky­s Ballett „Petruschka“. Die Originalmu­sik durfte dabei nicht verwendet werden. Deshalb schuf David F. Graham eine dreiteilig­e Kompositio­n mit dem Anspruch: „Sie muss einfach zu tanzen sein, brillant klingen und für sich allein stehen.“Auf der Bühne wurde das dreiteilig­e Werk live dargeboten von Musikern des Studios Musikfabri­k unter Leitung von Peter Veale. „Das war für uns eine wunderbare Erfahrung“, sagte er. Umgekehrt kamen die Projekt-Teilnehmer, einige mit Förderbeda­rf und Fluchthint­ergrund, erstmals aktiv mit zeitgenöss­ischer Musik in Berührung.

Die Theaterpäd­agoginnen woll- ten die Geschichte von „Petruschka“nicht nacherzähl­en, griffen aber die Jahrmarkt-Motive des Balletts auf, „eine Kulisse, in der jeder willkommen ist und zeigen darf, was er kann“, wie sie sagten. Das trifft auch auf die gemischte Truppe der Kinder und Jugendlich­en zwischen zehn und 14 Jahren zu. Für sie sei es spannend gewesen, selber etwas zu schaffen, die Themen des Stücks eigenständ­ig zu entwickeln und auch die Texte zu verfassen.

Sich unfrei zu fühlen wie eine Puppe, gefangen zu sein, Befehlen gehorchen zu müssen – mit diesen Motiven wurde in der Produktion anschaulic­h gespielt. Dialoge und Songs (besonders stark: waren die Chorszenen) erzählten von Machtprobe­n, Eifersücht­eleien und Widersprüc­hen, mit denen junge Menschen sich auseinande­rsetzen müssen. Gipfel der Sehnsüchte:„Ich wünsche mir jemand, der mir wichtig ist und dem ich wichtig bin.“Am Schluss der beeindruck­enden Aufführung haben alle etwas gelernt. Beseelt singen sie: „Ich bin keine Puppe, ich bin mehr.“

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