Rheinische Post

Die Schattense­ite des Mitleids

Unsere Anteilnahm­e am Schicksal der thailändis­chen Kinder und ihrer Rettung ist groß. Warum aber berührt uns die alltäglich­e Tragödie der schiff brüchigen Flüchtling­e im Mittelmeer zunehmend weniger?

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Diese „mitleidlos­e“Linke! Da ist die halbe Welt heilfroh über die glückliche Rettung der jungen thailändis­chen Fußballer samt Trainer, da gießt Sahra Wagenknech­t gleich wieder Essig in den Wein unseres Freudenfes­tes. So schön es sei, dass wir am Schicksal dieser Kinder Anteil nähmen, „so traurig ist es, mit welcher Gleichgült­igkeit Europa den toten Kindern auf dem Mittelmeer begegnet“, ließ sie verlauten.

Sonderlich populär sind solche Statements an Tagen emotionale­r Beanspruch­ung nicht. Allerdings lässt sich Wagenknech­ts Einwurf so leicht nicht beiseite schieben. Denn hinter ihrer moralisch willkürlic­hen Aufrechnun­g zwischen diesen und jenen Opfern, steht zumindest die Frage, warum wir in Thailand jene Empathie zeigen, die wir für die inzwischen alltäglich­en Tragödien im Mittelmeer vermissen lassen.

Zumal es nicht immer so war. Noch vor drei Jahren galt unsere Anteilnahm­e ausnahmslo­s allen Flüchtling­en. Doch die sogenannte­Willkommen­skultur verlor ihre Breitenwir­kung, als die Zahl der Schutzsuch­enden wuchs und die Folgen der Flucht auch unsere Lebenswirk­lichkeit berührte. Noch einmal stieg die Betroffenh­eit mit dem Foto des ertrunken syrischen Jungen Aylan Kurdi. Nur drei Jahre wurde er alt. Und wie sein kleiner Körper mit den angelegten Armen an den Ufern von Lesbos lag — wie das Strandgut einer hässlichen­Welt —, musste das unsere Gemüter erregen.

Das Bild ist eine Ikone unschuldig­en Leidens geworden. Bis der chinesisch­e Künstler AiWeiwei sich an einen Strand in gleicher Haltung legte, sich dabei zwar nicht als Opfer stilisiert­e, aber uns mit der Frage konfrontie­rte, warum unser Mitleid offenbar nur in besonderen und ausschnitt­haften Momenten aktiviert wird, während das ebenfalls große

Leid ringsum mit der Routine des Bedauerns bedacht wird.

Sahra Wagenknech­t und Ai Weiwei haben im Grunde das Glei- che getan: Sie fragen nach den Gründen unserer Empathie und danach, was dieses Mitleiden überhaupt bedeutet.

Es gibt Mechanisme­n, die ein Mitleiden befördern. Das kann die nationale Zugehörigk­eit sein („auch Deutsche unter den Opfern“), oft ist es die Möglichkei­t, sich mit den Opfern identifizi­eren zu können, manchmal sind es die besonderen Umstände.

Im aktuellen Fall: Fußballspi­elende Jungs kennt jeder und Höhlen wie jene in Tham-Luang eröffnen den Kosmos unserer Phantasie von Schutzsuch­e und dunklem Geheimnis, verborgene­n

Welten. Hinzu kommen der immense technische Aufwand der Rettung (mit Hilfe aus Deutschlan­d), die Lebenszeic­hen der eingeschlo­ssenen Kinder, der selbstlose Einsatz der Taucher. Das alles klingt viel zu analytisch, vor allem herzlos. Denn natürlich wird nahezu jeder vom Schicksal der thailändis­chen Jungen berührt.

Mitgefühl ist eine große Kulturleis­tung. Denn die Fähigkeit des Menschen, sich in andere hineinvers­etzen und mit ihnen mitleiden zu können, macht Solidaritä­t und Gemeinscha­ft möglich. Em- pathie ist die innige Schwester der Parteinahm­e. Sie ist eine hohe Form von Selbstlosi­gkeit, weil der andere für eine überschaub­are Zeit zum empfundene­n Ich werden kann: Ich versuche, ein anderer zu sein, zumindest: wie ein anderer zu fühlen. Vor diesem Hintergrun­d ist Mitgefühl die Annahme, wie der Leidende möglicherw­eise denken und fühlen könnte. Am Anfang jeder Empathie steht eine Projektion.

Unsere Fähigkeit zur Empathie ist aus vielen wichtigen Gründen gesellscha­ftlich sanktionie­rt. Der, der mitfühlt, ist ein guter Mensch. Die etwas gemeine Frage dazu aber lautet: Wem hilft unser Mitgefühl tatsächlic­h, vor allem in Situatione­n, in denen unsere Anteilnahm­e nicht in eine konkrete Handlung und Hilfe münden kann? Wem also nützt unsere Empathie und emotionale Aufmerksam­keit bei Unglücken wie jetzt in Thailand? Ein ganz guter Hinweis gibt dazu unsere Sprache. So sagen wir eher selten: Dieser Mensch dort ist mitfühlend.Weit geläufiger ist unsere Redewendun­g: Er zeigt Mitgefühl.

Empathie ist also oft etwas, das dargestell­t wird. Eine Darstellun­g, die nicht im stillen Kämmerlein des eigenen Gefühlshau­shaltes gepflegt, sondern die nach außen getragen und in diesem Sinne kommunizie­rt wird. Soziologen sprechen dann von der dunklen Seite der Empathie.

Unser Mitleid rettet kein einziges Menschenle­ben. Und dennoch ist es hilfreich: Empathie ist erst einmal gut für denjenigen, der Empathie empfindet, sagt der Kognitions­wissenscha­ftler Fritz Breithaupt. Und dann gibt es Wissenscha­ftler wie den kanadische­n Psychologe­n Paul Bloom, der gleich ein ganzes Buch gegen das Mitfühlen geschriebe­n hat und davor regelrecht warnt, sich auf irgendwelc­he Empathie-Gefühle zu verlassen, will man tatsächlic­h moralisch handeln. „Die Vernunft soll uns leiten, um ein gezieltes und möglichst konkretes Hilfeverha­lten anderen Leuten anbieten zu können.“

Das sind schon hohe intellektu­elle Anforderun­gen an unseren Lebensvoll­zug. Denn niemand ist ausschließ­lich vernunftge­steuert; die Emotion bleibt ein wichtiger Handlungsi­mpuls. Das Gefühl des Mitleidens kann extrem stark sein. Das hat nicht selten zur Folge, dass es auch extrem kurzlebig und darum auch selten stark genug ist, etwa Vorurteile abzubauen. Der jubilieren­de Empfang der Flüchtling­e auf dem Münchner Hauptbahnh­of vermochte nicht, die Haltung vieler Menschen gegenüber Ausländern grundlegen­d zu ändern.

Empathie ist eine wertvolle Fähigkeit. Nur darf sie sich nicht im reinen Mitgefühl erschöpfen. Mitleid ist eine Hoffnung, den anderen tiefer zu verstehen. Es ist darum immer erst der Anfang von vielem.

Mitgefühl ist eine große Kulturleis­tung. Denn die Fähigkeit des Menschen, mitleiden zu können, macht Gemeinscha­ft möglich

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FOTO: DPA Auf völlig überfüllte­n Booten versuchen immer wieder Flüchtling­e, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen.
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