Rheinische Post

Sommermärc­hen aus Wimbledon

- GIANNI COSTA

oder Steffi Graf, die sieben Titel holte, finden Fans bis heute. Sabine Lisicki fügte der Geschichte deutscher Wimbledon-Eroberer zumindest ein kurzes Kapitel hinzu. Sie erreichte 2011 das Halbfinale, 2013 unterlag sie im Finale.

Das Spiel auf dem Rasen ist trotz allem unaufhalts­am mit der Zeit gegangen. Es hat sich weiterentw­ickelt. Weil Kerber und Görges die moderne Spielanlag­e bieten, haben beide in der Runde der letzten vier alle Chancen.

Kerber mischt seit Jahren mehr oder weniger konstant in der Weltspitze mit. 2016 war ihr Karriere-Höhepunkt, als sie die Grand Slams in Melbourne und New York gewann und inWimbledo­n ins Endspiel einzog. Damals noch versagten ihr die Nerven gegen Serena Williams. Die US-Amerikaner­in bezwang Kerber erst mental und dann auch spielerisc­h – mit Offensive, Kraft, Härte. Kerber neigte zur negativen Körperspra­che, zum In-sich-zusammenfa­llen, immer wenn es nicht lief. Nun aber scheint die 30-Jährige gereift zu sein. Ihr Viertelfin­ale auf dem Center Court gegen Darja Kasatkina (21) bestätigte das. Kerber benötigte sieben Matchbälle, ehe es nach eineinhalb Stunden 6:3, 7:5 hieß. „Ich habe versucht, nicht daran zu denken, dass es Matchball ist, und mich bis ans Limit gepusht“, sagte Kerber. Sie behielt die Ruhe und zeigte, dass sie mit Trainer Wim Fissette an ihrer bislang größten Schwäche gearbeitet hat: Die Linkshände­rin hat endlich auch einen starken Aufschlag im Repertoire. Zum dritten Mal steht Kerber inWimbledo­n im Halbfinale.

Bei Görges ist das anders. Und der erste Halbfinale­inzug ihrer Karriere kommt überrasche­nd. Fünf Erstrunden-Pleiten in fünf Jahren hat sie auf dem „heiligen Rasen“erlebt. Doch diesmal scheint das Grün wie für sie ausgerollt zu sein. Die 29-Jährige legte eine Siegesseri­e hin und drehte sogar ihr Viertelfin­ale gegen Bertens (3:6, 7:5, 6:1). Am spielfreie­n Mittwoch blieb Zeit, um herunterzu­kommen. Hoffentlic­h. Denn: „Wer sich vom Trubel inWimbledo­n nicht ablenken lässt und Ruhe findet, kann weit kommen“, sagte Patrik Kühnen, ehemaliger Davis-Cup- Teamchef, vor dem Turnier.

Am Donnerstag wird es wieder ernst. Kerber spielt erstmals gegen die French-Open-Gewinnerin aus dem Vorjahr, Jelena Ostapenko. Die Kielerin ist die Favoritin. Um ins Finale einzuziehe­n, wird sie aber auch wieder Höchstleis­tung abrufen und einen starken ersten Aufschlag bieten müssen. Ostapenko ist bekannt für ihr gutes Rückschlag­spiel. Görges misst sich mit der siebenmali­gen Wimbledon-Siegerin Williams. Die ehemalige deutsche Tennisspie­lerin Anke Huber (43) traut beiden den Finaleinzu­g zu. „Angies Stärke auf Rasen ist ja bekannt. Aber auch Jule hat das Potenzial, Serena Williams im Halbfinale zu besiegen.Williams ist noch nicht in Topform“, sagte Huber. Sie selbst sei nie gerne nachWimble­don gefahren,„weil Rasen nicht mein Belag war“, erklärte Huber, die beim Rasen-Major fünfmal im Achtelfina­le scheiterte. Boris Becker und Steffi Graf hätten Wimbledon aber mit ihren Erfolgen zum „deutschen Grand Slam“gemacht. Gelingt dem deutschen Duo tatsächlic­h ein Sieg, könnte sich Geschichte wiederhole­n: In 134 Jahren gab es nur ein deutsches Duell im Finale von Wimbledon, als Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel 1931 antraten.„Zwei deutsche Mädels im Finale, das könnte dem deutschen Tennis wieder einen Schub geben“, sagt Huber.

Barbara Rittner eskalierte nach diesem Tag in Wimbledon komplett. Die gebürtige Krefelderi­n, „Head of Women‘s Tennis“beim Deutschen Tennis-Bund (DTB), hat jeden über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter an ihrem aktuellen Gemütszust­and teilhaben lassen. So eine ehrliche und authentisc­he Freude – in der Fußballbra­nche sucht man vergeblich nach derartigen Ausbrüchen: „Bähm...und die zweite stürmt auch ins Halbfinale von Wimbledon. Bravo Julia Görges und Team! Ich bin mega stolz auf unsere Damen (wie schon so oft)...Glückwunsc­h Jule! Coole Socke.“Ehrlich vorgetrage­ne Freude, keine von einer Agentur vorformuli­erten Blabla-Sätze.

Botschafte­rinnen wie Rittner sind wichtig für den Sport. Sie machen ihn greifbar. In Wimbledon schicken sich zwei deutsche Spielerinn­en an, wieder ein Sommermärc­hen zu schreiben. Es wäre ein Lebenszeic­hen für das Tennis in Deutschlan­d, wenn Kerber oder Görges triumphier­en würden. Die Sportart hätte es verdient.

„Zwei deutsche Mädels im Finale, das könnte dem deutschen Tennis einen Schub geben“Anke Huber ehemalige Profispiel­erin

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FOTO: IMAGO Steffi Graf (r.) bejubelt ihren ersten Wimbledons­ieg 1988 gegen Martina Navratilov­a. Graf holte 1996 den letzten deutschen Titel in London.

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