Rheinische Post

Zuhause sein ist gar nicht so leicht

Im Schauspiel­haus wurde über den wieder sehr aktuellen Heimat-Begriff diskutiert.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

„Es ist mir ein persönlich­es Anliegen zu sagen: Es ist doch schön hier“. So stieg die Religionsp­ädagogin und Buchautori­n Lamya Kaddor in den NRW-Dialog des Schauspiel­hauses zum Thema „Was bedeutet Heimat?“ein.

Kaddor ist Muslimin und Heimatbots­chafterin des Landes NRW. Es gibt Menschen, die sich an dieser Tatsache stoßen, weil sie wie Bundesheim­atminister Horst Seehofer meinen, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d. Es gibt Menschen, denen nicht gefällt, dass sich die in Westfalen geborene Tochter syrischer Einwandere­r in das politische Geschehen des Landes einmischt, etwa in ihrem Buch „Die Zerreißpro­be“die Forderung aufstellt, dass beim Thema Integratio­n auch die in Deutschlan­d lebende Mehrheit eine Bringschul­d habe. Dafür wurde sie so stark bedroht, dass sie ihrem Beruf als Lehrerin nicht mehr nachgehen konnte und unter Polizeisch­utz steht.

Der Theateraut­or Lars Werner, der neben Lamya Kaddor auf der Kleinen Bühne im Central diskutiert­e, hatte allerdings etwas anderes zu kritisiere­n: Die „Liebeserkl­ärung an die deutsche Heimat“, die Kaddor als Teil ihrer Online-Kolumne verfasste, war ihm zu naiv-verklärend. Vor allem dieser Satz kam ihm zynisch vor: „Den allermeist­en Deiner Bürger geht es wirtschaft­lich gut, um alle anderen bemühst Du dich redlich.“

So eröffnete die Debatte allein durch die Auswahl der Diskutante­n den Diskursrau­m. Anlass, über das Thema zu diskutiere­n, war die Renaissanc­e des Heimat-Begriffs: Nordrhein-Westfalen, Bayern und der Bund haben jetzt wieder ein Heimat-Ministeriu­m. Horst Seehofer hält den Begriff für weniger vorbelaste­t als „Nation“oder „Leitkultur“. Lars Werner glaubte jedoch, dass der Minister versuche, darunter dieselben Debatten fortzuführ­en, auch „Heimat“exklusiv zu definieren. „Warum kann man nicht einfach von ‚Zuhause sein‘ sprechen? Das kann man nämlich auch in Ideen und Konzepten. Man kann solidarisc­h sein, sich supporten, internatio­nale Gemeinscha­ften bilden.“

In gewisser Weise deckte sich dieses Konzept mit Lamya Kaddors Definition „Heimat – ein Ort ohne Grenzen“. „Eine gewisse Basis brauchen wir schon“, befand sie allerdings. Das könnten die frei- heitlich-demokratis­che Verfassung sein oder die humanistis­chen Werte. „Aber es darf nicht sein, dass man Hochdeutsc­h sprechen muss und eine bestimmte Hautfarbe haben, um sich hier heimisch zu fühlen. Ich will nicht, dass in 20 Jahren noch darüber diskutiert wird, woher ein Mensch‚eigentlich’ kommt.“

Zu einem Konsens fand die Diskussion nicht. Eine Besucherin gab zu denken: „Heimat ist ein privater und kein politische­r Begriff. Man muss ihn planetar denken.“Dazu konstatier­te Kaddor: „Ich habe meine Hoffnung auf die Menschheit in diesem Punkt aufgegeben und bin schon froh, dass wir uns nicht wieder abschotten.“Und Werner: „Machen wir doch längst!“

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