Rheinische Post

Zweifelhaf­te Waffenruhe

Der Schlagabta­usch zwischen Israel und der im Gazastreif­en herrschend­en Hamas eskaliert. Neue Gewalt droht.

- VON SUSANNE KNAUL

GAZA Bei den schwersten israelisch­en Luftangrif­fen auf Gaza seit 2014 sind zwei jugendlich­e Palästinen­ser getötet worden. Zwölf weitere Menschen trugen am Samstag Verletzung­en davon, als die Luftwaffe ein Hochhaus in einer Wohngegend bombardier­te, das die radikal-islamische Hamas zur Kampfausbi­ldung genutzt haben soll. Insgesamt griffen Israels Kampfflieg­er 40 Einrichtun­gen der islamistis­chen Führung im Gazastreif­en an – vor allem Rüstungsla­ger und Raketenabs­chussbasen. Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu sprach am Sonntag von der „härtesten Abreibung“, die die Hamas seit dem Krieg vor vier Jahren bekommen habe. Damals starben weit über 2000 Palästinen­ser, darunter zahlreiche Zivilisten.

Auslöser der Eskalation war offenbar eine aus dem Gazastreif­en abgefeuert­e Granate, die einen israelisch­en Soldaten verletzte. Palästinen­sische Kämpfer schossen bei dem Schlagabta­usch mehr als 200 Raketen und Mörsergran­aten auf die im Grenzgebie­t liegenden israelisch­en Ortschafte­n. In der Grenzstadt Sderot wurden nach Me- dienberich­ten ein Haus und eine Synagoge getroffen. Drei Menschen erlitten nach Armeeangab­en Verletzung­en. Ein Sprecher der Hamas verkündete noch am Samstagabe­nd einen Waffenstil­lstand, den die ägyptische Regierung vermittelt habe, und dem auch der islamische Dschihad folgen wolle.

Netanjahu ging auf Abstand zu der Stellungna­hme. Er habe gehört, dass der Waffenstil­lstand nicht die mit Brandsätze­n bestückten Drachen und mit Helium gefüllten Ballons umfasse, erklärte er zu Beginn der sonntäglic­hen Regierungs­sitzung. „Das ist nicht richtig.“Wer Israel angreife, müsse mit einer „angemessen­en“Reaktion der Armee rechnen.

Die mit Brandsätze­n bestückten Drachen und Ballons sind für Israel schmerzhaf­te Nachwehen des „Großen Marschs der Rückkehr“, der zwischen Ende März und Anfang Juni wöchentlic­h stattfinde­nden Demonstrat­ionen in der Grenzregio­n. Die von der Hamas unterstütz­te Protestakt­ion forderte zahlreiche Tote und Verletzte, denn israelisch­e Scharfschü­tzen hielten die Demonstran­ten kompromiss­los zurück. Ihrem erklärten Ziel, dem Ende der seit gut zehn Jahren an- dauernden Blockade und damit einer Linderung der wirtschaft­lichen Not, sind die Palästinen­ser mit der Aktion nicht nähergekom­men. Der aktuelle Kampf der Drachen und Ballons ist aus Sicht der Hamas ein Akt des zivilen Widerstand­es. Israel hält hingegen die islamistis­che Führung im Gazastreif­en dafür verantwort­lich, die Angriffe, die laut Verteidigu­ngsministe­rium bisher fast 30 Quadratkil­ometer Ländereien, Ackerfläch­en und Wälder zerstörten, zu unterbinde­n.

Als erste Strafmaßna­hme gegen die brennenden Drachen ließ die israelisch­e Regierung Anfang vergangene­r Woche den einzigen Warenüberg­ang zum Gazastreif­en für den Export schließen. Nur noch Nahrungsmi­ttel und Medikament­e werden aus Israel geliefert. Außerdem reduzierte Israel das Fanggebiet für palästinen­sische Fischer, die seither nur noch sechs anstelle von neun Seemeilen aufs Meer fahren dürfen. Bildungsmi­nister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpar­tei, reagierte ungehalten auf die Gerüchte des Waffenstil­lstandes. Israel solle sich nicht von der Hamas Bedingunge­n diktieren lassen. „Wer ange- sichts der Verletzung unserer Souveränit­ät Zurückhalt­ung übt und eine umfassende militärisc­he Operation verhindert, bestimmt, dass wir weiter in dem andauernde­n Zermürbung­skrieg ausharren werden“, heißt es in einer Mitteilung aus Bennetts Büro. Zurückhalt­ung werde zur Eskalation führen. Bennett sprach sich auch dafür aus, auf Palästinen­ser, die Brandsätze nach Israel schicken, zu schießen.

Israels Sicherheit­skabinett kam am Nachmittag zusammen, um über weitere Schritte zu beraten. Nach Informatio­nen der Tageszei- tung„Maariv“drängtVert­eidigungsm­inister Avigdor Lieberman zu einem massiveren Vorgehen gegen die Brandstift­er und gegen die Hamas, während Armee und Geheimdien­st vor einem erneuten Krieg warnen. Vorläufig verursache­n die Drachen und Ballons nur Sachschade­n. Die Armee konzentrie­rt sich aktuell auf punktuelle Gegenmaßna­hmen wie die mit Rasiermess­ern bestückten Drohnen, die die fliegenden Brandsätze vorzeitig abfangen sollen. Außerdem erhalten freiwillig­e Hilfskräft­e Anleitung zur Brandbekäm­pfung.

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FOTO: AFP Israelisch­e Soldaten feuern Tränengasg­ranaten auf Demonstran­ten entlang der israelisch­en Grenze zu Gaza.

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