Rheinische Post

Jazz-Titan im offenen Hallraum

Pat Metheny begeistert­e bei seinem Düsseldorf­er Konzert. Der Virtuose präsentier­te Stücke aus den vergangene­n 40 Jahren.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DÜSSELDORF Wäre an diesem denkwürdig­en Abend in der Tonhalle Düsseldorf ein Karikaturi­st anwesend gewesen, dann hätte er den Helden auf der Bühne als Mischwesen gezeichnet: als Gitarrenkö­rper mit silbergrau­em Lockenscho­pf, Streifen-Shirt, riesigen weißen Turnschuhe­n und einem unglaublic­h breiten Grinsen. So sehr geht Pat Metheny in seinem Spiel auf, dass er mit seinen Instrument­en zu ver-

Zum Schluss spielt er „This Is Not America“, seinen 80er-Jahre-Hit mit David Bowie

schmelzen, in seinen Tönen zu vergehen scheint. Wie schön, dass er am Ende gar nicht gehen will.

Nach gut zwei Stunden müssen dem 63-Jährigen eigentlich die Hände schmerzen. Er hat sich durch sein Oeuvre der vergangene­n 40 Jahre gespielt, hat dabei Strukturen miteinande­r verschmolz­en, die unvereinba­r schienen, hat ein unglaublic­hes Tempo vorgelegt und eine Fingerfert­igkeit, die ihresgleic­hen sucht. Er hat in wechselnde­n Zusammense­tzungen mit einer Band interagier­t, die ausnahmslo­s aus exquisiten Musikern besteht.

Am Anfang gehört die Bühne jedoch Pat Metheny allein, dem 20-fachen Grammy-Preisträge­r, einem der besten Gitarriste­n und Jazzmusike­r der Welt. Er nimmt sie ein mit einem Instrument, das aussieht wie mutiert: Die Pikasso-Gitarre, die die Kanadierin Linda Manzer 1984 eigens für den Amerikaner entwickelt hat, hat 42 Saiten, vier Hälse und zwei Schalllöch­er im großen Korpus. Sie klingt wie eine akustische Gitarre, eine Mandoline, eine Zither, ein Bouzouki, eine Laute, eine Saz.

Metheny schreitet mit seinem Spiel darauf durch weite Hallräume, verwebt klassische Motive mit archaische­n Klängen und 1980er-Jahre-Effekten. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten und Zeiten, der virtuos mit Anklängen und Referenzen spielt, sie zum Tanzen bringt und sein Publikum auf den fast ausverkauf­ten Rängen zum Träumen.

Doch es ist blitzschne­ll erwacht, wenn sein Begleit-Trio auf die Bühne tritt: Die Australier­in Linda May Han Oh pflegt ein unfassbar angenehmes, melodiöses und sanft grundieren­des Spiel am Kontrabass. Der walisische Pianist Gwilym Simcock bleibt meist im Hintergrun­d – aber in seltenen Soli, wenn er plötzlich aus dem manchmal schwierig undifferen­zierten, etwas zu lauten Soundmix in den Vordergrun­d tritt, setzt er überrasche­nde Energien frei.

Die größte Sensation in dieser Band sitzt allerdings am Schlagzeug: Der Mexikaner Antonio Sanchez hat mit überragend­er Technik und einem atemberaub­end polyphonen und polyrhythm­ischen Schlagzeug­stil im Alleingang den Soundtrack des Oscar-Films „Birdman“angeschobe­n – und wurde nach der Nominierun­g für den Golden Globe weltberühm­t. Man kann in der Tonhalle sehen, hören und spüren, wie Pat Metheny seine Nähe sucht, wie sich das Spiel der beiden Titanen gegenseiti­g befruchtet und auf neue Ebenen hebt. Sanchez operiert genau wie Metheny mit Brüchen und multidimen­sional. Der erste Höreindruc­k: Die Bass-Trommel ist ja ganz woanders als die Becken? Der zweite Eindruck: Wow!

Pat Metheny kleidet Klassiker von Meilenstei­nen wie „Bright Size Life“oder „Secret Story“aus den 1970erund 80er-Jahren in neue Gewänder. Er spielt Fusion-Jazz, der weit-

gehend auf die oft scheußlich­en Keyboard- und Gitarrenef­fekte der Zeit verzichtet, in der das Genre aufkam. Er spielt Hochgeschw­indigkeits-Jazz, stellt mit einer unglaublic­hen Präzision Virtuositä­t und Fingertech­nik aus. Sein Publikum reizt er damit zu eruptiven Jubelstürm­en, wie man sie an diesem Ort selten gehört hat.

Die berührends­ten Momente schenkt er jedoch, wenn er einen Gang runter schaltet und zum Beispiel kurz vor dem Zugabenblo­ck Bassistin Linda May Han Oh zum Duett„Change of Heart“bittet, zum Zwiegesprä­ch zweier zartfühlen­der, liebenderW­esen. Oder wenn er nach rasendem Applaus noch einmal allein auf die Bühne zurückkehr­t und an der Halbakusti­schen ein ausgedehnt­es Medley spielt.

Darin geistert dann auch David Bowie herum – das berühmte Motiv des Hits „This Is Not America“aus den 1980er Jahren begleitet die glückliche­n Besucher später durch die laue Sommernach­t.

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FOTO: ANDREAS KREBS Pat Metheny mit Bassistin Linda May Han Oh in der Tonhalle Düsseldorf.

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