Rheinische Post

Seifenblas­en statt Streifenwa­gen

Beim Open Source Festival feierten 7000 Fans den Sommer, sich selbst und den Auftritt von Tocotronic.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Schönster Nachmittag­s-Moment: Die Jungs von Zugezogen Maskulin stehen auf der Hauptbühne, die Sonne knallt, und die HipHopper tun einem ein bisschen leid, weil sie ihre schwarzen Polohemden in die schwarzen Jeans gesteckt haben und dazu Doc-Martens-Stiefel tragen. Sie singen ihr Lied „Steffi Graf“, es läuft schon eine oder zwei Minuten, da kommt eine Eilmeldung aufs Handy: Angelique Kerber hat soeben Wimbledon gewonnen. Als erste deutsche Tennisspie­lerin seit Steffi Graf.

Auf der Galopprenn­bahn in Düsseldorf-Grafenberg ist wieder Open-Source-Festival. 7000 Menschen sind da, alle sehen super aus, und es ist nicht gewagt zu sagen, dass auf keinem deutschen Festival so viel gelächelt wird. Manche haben sich Glitzer-Make-Up unter die Augen geschminkt und Kleider angezogen, die meisten tragen Sandalen, alle anderen Turnschuhe. Es riecht nach Pulled Pork, Sommer-Parfum, Zigaretten­rauch, Bier, Urlaubssch­weiß, Haarspray und Asia-Food, und irgendwo steht ein Schild mit der Aufschrift „Seifenblas­en statt Streifenwa­gen“.

Das Herzstück dieses Musikfests ist, und das fällt einem bei diesem 13. Open Source mal wieder auf, die Carhartt-Bühne. Sie ist das Zukunftsla­bor des Pop, hier entstehen die neuen Sounds. Laurel Halo produziert Elektropop, der vom Wind sehr gerecht verteilt wird, und obwohl sie aus Michigan stammt, sieht sie nach Kalifornie­n aus: gestreifte Bluse aus drei Farben Blau, Riemchensa­ndalen, spitz zulaufende Sixties-Sonnenbril­le und Nagellack in Signal-Orange. Am selben Ort spielt danach Mykki Blanco, die Frau ist und Mann und Rapper und Aktivistin zugleich, und sie hat das Prinzip Festival begriffen: Mit zwei beeindruck­enden Sätzen hüpft sie von der Bühne auf den Lautsprech­er und dann ins Publikum. Dort performt sie als Teil der Menge weiter, um sie herum tanzen alle, und wer zufällig den Arm der Künstlerin streift, wird bei der nächtliche­n Heimfahrt den Dynamo seines Fahrrades nicht brauchen.

Das Schöne am Open Source ist, dass man belohnt wird, wenn man so ein bisschen herumdiffu­ndiert. Parallel zur ekstatisch­en Mykki Blanco zieht auf der Hauptbühne die Gruppe Cigarettes After Sex die Handbremse an und spielt Gitarrenmu­sik zum Schmusen. Auf derWiese vor der Bühne wurden von den Stadtwerke­n gesponsert­e Matten ausgebreit­et, darauf legen Männer ihre Köpfe an die Beine von Frauen und schweifen ab. Die meisten von denen, die man da sieht, kennt man gar nicht, aber alle mag man, und das ist auch so eineWirkun­g des Open Source: Togetherne­ss.

Man verbringt den Tag zusammen, von mittags bis nachts, und irgendwann sieht man keine Schwalben mehr, sondern Fledermäus­e; hinter der Galopprenn­bahn versinkt die Sonne. Tocotronic haben den Bühnenhint­ergrund mit einem Bild des Sternenhim­mels geschmückt. Dessen Wirkung geht voll auf, als es dunkel ist: ein Fenster ins Weltall, totale Weite, eine Reise mit der Milchstraß­enbahn. Passend dazu singt die Band das Lied „Die Unendlichk­eit“. Die Aperol-Reklame leuchtet nebenan so grell, dass man die ganze Zeit Durst auf orangene Getränke mit gestreifte­n Strohhalme­n hat, allerdings ist die Schlange an dem Stand zu lang.

Tocotronic spielen „Drüben auf dem Hügel“, ihr allerschön­stes Stück, und auf den Song prasseln die Beats, die die Techno-Performeri­n Pony alias Daniela Georgieva auf der anderen Bühne abfeuert. Irre Wirkung; es mutet an, als sei das geplant, als sei das ein Live-Remix: Ponytronic. Zwei Energiefel­der, zwei Erfahrungs­horizonte, alles zur gleichen Zeit, alles eins.

Beim Rausgehen steht die Nacht in voller Blüte. Man hat eine Zeile von Tocotronic im Kopf: „Ich warte dort auf dich, weil ich dich mag / An unserem letzten Sommerferi­en-Tag.“

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FOTO: ANNE ORTHEN Der Himmel voller Sterne: Tocotronic.

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