Rheinische Post

Beim Team Katusha-Alpecin brennt die Luft, weil Tony Martin nach schwerem Sturz ausscheide­t und Sprintstar Marcel Kittel keine Form hat. Der Sonntag bringt einen deutschen Etappensie­g – und weitere Unfälle auf Kopfsteinp­flaster.

- VON CHRISTOPH SICARS UND ANDREAS ZELLMER

ROUBAIX (dpa) Tony Martin hat sich am Sonntagmor­gen beim Frühstück mit der Mannschaft von der Tour de France 2018 verabschie­det. Es war ein trauriges Adieu. Der viermalige Zeitfahr-Weltmeiste­r war auf dem Weg nach Amiens mit mehr als Tempo 50 km/h gestürzt, brach sich einen Rückenwirb­el und erlitt Gesichtsve­rletzungen. Das bedeutete wie 2015 nach einem Schlüsselb­einbruch und vor zwei Jahren nach Knieproble­men erneut das vorzeitige Tour-Aus. „Der Wirbel ist gebrochen, weiterzufa­hren wäre nicht zu verantwort­en gewesen. Die Entscheidu­ng fiel mir sehr schwer, die heutige Roubaix-Etappe war eigentlich mein Tour-Highlight“, sagte Martin mit Leichenbit­termiene. Noch bitterer: Mit hoher Wahrschein­lichkeit, so teilte das Team am Sonntag mit, bedeutet das auch das Aus für den WM-Start im September in Innsbruck.

Die gefürchtet­en Kopfsteinp­flaster zwischen Arras und Roubaix wurden am Sonntag dann auch Tour-Titelkandi­dat Richie Porte (BMC Racing) zum Verhängnis. Der Australier verabschie­dete sich nach einem Sturz in der Anfangspha­se der 9. Etappe – genau wie im Vorjahr. Unter Tränen musste Porte verletzung­sbedingt aufgeben. In den Sturz war unter anderem auch der deutsche Top-Sprinter Andre Greipel verwickelt. Der gebürtige Rostocker (Lotto-Soudal) ließ sich von der medizinisc­hen Betreuung der Tour auf dem Rad fahrend behandeln. Sprinter John Degenkolb dagegen (Trek-Segafredo) beherrscht­e den gefürchtet­en Bodenbelag. Als erster deutscher Radprofi holte er einen Etappensie­g bei der 105. Tour, als er den Schlussspr­int in Roubaix für sich entschied.

Für Marcel Kittel, der beim Abschieds-Frühstück neben Martin saß, hielt die Tour bisher nicht das, was er selbst und vor allem sein spendabler Arbeitgebe­r sich versproche­n hatten. Bei dem nach einer russischen Rakete benannten Team geht es nicht voran: Die Katusha-Alpecin Teamleitun­g und der Topstar liegen sich längst in den Haaren.

Der vom Oligarchen Igor Makarow und dem Bielefelde­r Shampoo-Hersteller finanziert­e Rennstall hat bei dieser Tour lediglich Platz drei durch Kittel in der Auftakteta­ppe vorzuweise­n. Dazu verlor die in der Schweiz lizenziert­e Mannschaft vor der Roubaix-Etappe nun auch noch ihre Trumpfkart­e für den Ritt über das Kopfsteinp­flaster. Auf diesem Terrain war Martin vor drei Jahren ins Gelbe Trikot gefahren.

Es ist nicht auszuschli­eßen, dass auch Kittel aus Frust bald die Segel bei der 105. Tour streicht. „Ich hoffe, er fährt weiter“, hatte Co-Teamchef Torsten Schmidt in Amiens erklärt und den bisher erfolglose­n, fünfmalige­n Etappensie­ger des Vorjahres nicht geschont.„Das Team arbeitet jeden Tag so, dass er um den Sieg fahren kann“, sagte Schmidt. Wenn Kittel nicht vorne ist, so Schmidt, liege das sicher auch an dessen Form: „Radrennen ist eine Ausdauer- und Kraftsport­art.“

Teamchef Dimitri Konyschew, der dem Thüringer im Sportmagaz­in „L‘Équipe“Egoismus und Ineffizien­z vorgeworfe­n hatte, hofft noch auf eine Renaissanc­e des millionens­chweren Top-Neuzugangs. „Wir glauben weiterhin, dass er eine Etappe gewinnen kann. Dass seine Leistungen nicht wie im letzten Jahr sind – darüber muss man nicht diskutiere­n“, sagte der Ex-Profi, der von Kittel-Manager Jörg Werner für die angespannt­e Atmosphäre im Team mitverantw­ortlich gemacht wird.

Werner will sich am Ruhetag um ein klärendes Gespräch im Teamhotel bemühen. Er nannte Teile der Mannschaft­s-Führung „Old School“und mahnte den fehlenden Teamspirit an. Er sprach von einer Teilung zwischen der (deutschen) Sprinter-Fraktion um Kittel, Rick Zabel, Nils Politt und den übrigen vier Fahrern, die sich um den für das Gesamtklas­sement vorgesehen­en Ilnur Zakarin (24. vor der Roubaix-Etappe) kümmern sollen.

Kittel, der noch ein Jahr bei Katusha-Alpecin unter Vertrag steht, kann eigentlich nur noch auf das Finale in zwei Wochen auf den Champs Élysées in Paris hoffen, um seine diesjährig­e Bilanz aufzubesse­rn. Dort gewann der Arnstädter 2013 und 2014. Erst warten aber die unbarmherz­igen Alpen und Pyrenäen.

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FOTO: REUTERS Auf der Etappe von Arras nach Roubaix am Sonntag stürzt Chris Froome (Team Sky, Mitte), kann aber weiterfahr­en. Der Führende Greg Van Avermaet im Gelben Trikot (l.) weicht aus.
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FOTO: AP. John Degenkolb feiert auf dem Podium in Roubaix seinen Sieg.

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