Beim Team Katusha-Alpecin brennt die Luft, weil Tony Martin nach schwerem Sturz ausscheidet und Sprintstar Marcel Kittel keine Form hat. Der Sonntag bringt einen deutschen Etappensieg – und weitere Unfälle auf Kopfsteinpflaster.
ROUBAIX (dpa) Tony Martin hat sich am Sonntagmorgen beim Frühstück mit der Mannschaft von der Tour de France 2018 verabschiedet. Es war ein trauriges Adieu. Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister war auf dem Weg nach Amiens mit mehr als Tempo 50 km/h gestürzt, brach sich einen Rückenwirbel und erlitt Gesichtsverletzungen. Das bedeutete wie 2015 nach einem Schlüsselbeinbruch und vor zwei Jahren nach Knieproblemen erneut das vorzeitige Tour-Aus. „Der Wirbel ist gebrochen, weiterzufahren wäre nicht zu verantworten gewesen. Die Entscheidung fiel mir sehr schwer, die heutige Roubaix-Etappe war eigentlich mein Tour-Highlight“, sagte Martin mit Leichenbittermiene. Noch bitterer: Mit hoher Wahrscheinlichkeit, so teilte das Team am Sonntag mit, bedeutet das auch das Aus für den WM-Start im September in Innsbruck.
Die gefürchteten Kopfsteinpflaster zwischen Arras und Roubaix wurden am Sonntag dann auch Tour-Titelkandidat Richie Porte (BMC Racing) zum Verhängnis. Der Australier verabschiedete sich nach einem Sturz in der Anfangsphase der 9. Etappe – genau wie im Vorjahr. Unter Tränen musste Porte verletzungsbedingt aufgeben. In den Sturz war unter anderem auch der deutsche Top-Sprinter Andre Greipel verwickelt. Der gebürtige Rostocker (Lotto-Soudal) ließ sich von der medizinischen Betreuung der Tour auf dem Rad fahrend behandeln. Sprinter John Degenkolb dagegen (Trek-Segafredo) beherrschte den gefürchteten Bodenbelag. Als erster deutscher Radprofi holte er einen Etappensieg bei der 105. Tour, als er den Schlusssprint in Roubaix für sich entschied.
Für Marcel Kittel, der beim Abschieds-Frühstück neben Martin saß, hielt die Tour bisher nicht das, was er selbst und vor allem sein spendabler Arbeitgeber sich versprochen hatten. Bei dem nach einer russischen Rakete benannten Team geht es nicht voran: Die Katusha-Alpecin Teamleitung und der Topstar liegen sich längst in den Haaren.
Der vom Oligarchen Igor Makarow und dem Bielefelder Shampoo-Hersteller finanzierte Rennstall hat bei dieser Tour lediglich Platz drei durch Kittel in der Auftaktetappe vorzuweisen. Dazu verlor die in der Schweiz lizenzierte Mannschaft vor der Roubaix-Etappe nun auch noch ihre Trumpfkarte für den Ritt über das Kopfsteinpflaster. Auf diesem Terrain war Martin vor drei Jahren ins Gelbe Trikot gefahren.
Es ist nicht auszuschließen, dass auch Kittel aus Frust bald die Segel bei der 105. Tour streicht. „Ich hoffe, er fährt weiter“, hatte Co-Teamchef Torsten Schmidt in Amiens erklärt und den bisher erfolglosen, fünfmaligen Etappensieger des Vorjahres nicht geschont.„Das Team arbeitet jeden Tag so, dass er um den Sieg fahren kann“, sagte Schmidt. Wenn Kittel nicht vorne ist, so Schmidt, liege das sicher auch an dessen Form: „Radrennen ist eine Ausdauer- und Kraftsportart.“
Teamchef Dimitri Konyschew, der dem Thüringer im Sportmagazin „L‘Équipe“Egoismus und Ineffizienz vorgeworfen hatte, hofft noch auf eine Renaissance des millionenschweren Top-Neuzugangs. „Wir glauben weiterhin, dass er eine Etappe gewinnen kann. Dass seine Leistungen nicht wie im letzten Jahr sind – darüber muss man nicht diskutieren“, sagte der Ex-Profi, der von Kittel-Manager Jörg Werner für die angespannte Atmosphäre im Team mitverantwortlich gemacht wird.
Werner will sich am Ruhetag um ein klärendes Gespräch im Teamhotel bemühen. Er nannte Teile der Mannschafts-Führung „Old School“und mahnte den fehlenden Teamspirit an. Er sprach von einer Teilung zwischen der (deutschen) Sprinter-Fraktion um Kittel, Rick Zabel, Nils Politt und den übrigen vier Fahrern, die sich um den für das Gesamtklassement vorgesehenen Ilnur Zakarin (24. vor der Roubaix-Etappe) kümmern sollen.
Kittel, der noch ein Jahr bei Katusha-Alpecin unter Vertrag steht, kann eigentlich nur noch auf das Finale in zwei Wochen auf den Champs Élysées in Paris hoffen, um seine diesjährige Bilanz aufzubessern. Dort gewann der Arnstädter 2013 und 2014. Erst warten aber die unbarmherzigen Alpen und Pyrenäen.