Die Werteskala der Fifa zeigt erhebliche Defizite
Der Fußball-Weltverband macht nicht einmal ein Hehl daraus, dass ihm seine Vermarktungsinteressen wichtiger sind als der Schutz ethischer Prinzipien.
Die Strafenpraxis der Fifa bei der WM 2018 sorgt vielerorts für Befremden. Dass Verstöße gegen die strikten Vermarktungsregeln (etwa die Verwendung von Getränken von Nicht-Fifa-Sponsoren) mit fünfstelligen Strafzahlungen belegt werden, hingegen unappetitlichste Äußerungen (Nazi-Banner, Sprüche gegen Schiedsrichter Felix Brych) gleichsam zum Schnäppchenpreis zu haben sind, irritiert.
Die juristische Analyse macht es noch schlimmer: Die Fifa kann die Nationalverbände mit Strafen belegen, weil sie ihre Mitglieder sind. Einzelpersonen können persönlich bestraft werden, weil sie mit der Fifa Regelanerkennungsverträge geschlossen und ihre Strafgewalt anerkannt haben. Motivation für die Fifa, Strafen auszuspre- chen, ist es, ihre eigene Rechtsordnung aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Dies ist legitim, aber durch Rechtsprinzipien begrenzt.
So gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das auf Seiten der Fifa ein rechtlich anerkanntes Interesse von ihr als Sportverband voraussetzt, dessen Verfolgung sie bestraft. Für den Bestraften streiten andere Rechtsprinzipien, letztlich immer das Recht auf Freiheit vor Belastungen durch Dritte. Wägt man diese beiden Rechtsposition gegeneinander ab, erhält man die konkrete Strafhöhe als Ergebnis. Neben anderen Erwägungen gilt: Je wichtiger das bedrohte Gut, desto höher darf die Strafe ausfallen.
Die Fifa macht also nicht einmal ein Hehl daraus: Die Durchsetzung ihrer Vermarktungsinter- essen ist ihr viel wichtiger als der Schutz ethisch-moralischer Prinzipien. Damit man dies nicht so dramatisch feststellen kann, gibt es einen jämmerlichen Erklärungsversuch: Soweit es um die Bestrafung von Fanverhalten gehe, habe der jeweilige Verband zu wenig Einfluss auf seine Fans. Deswegen falle die Strafe geringer aus. Das ist zwar im Ausgangspunkt richtig, stellt aber eine erstaunliche Durchbrechung der jahrelangen Anwendungspraxis der „strict liability“– der unbedingten Haftung von Vereinen und Verbänden für das Fehlverhalten ihrer Fans – dar, die gegenüber den an internationalen Wettbewerben teilnehmenden Klubs die Nationalverbände bedenklich privilegiert.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Fanszene diese Rechtsanwen- dung realisiert und in den laufenden Debatten der Uefa und dem DFB entgegenhalten wird. Dass dieses Argument zudem eine echte Nebelkerze ist, merkt man am Fall Mladen Krstajic, der Schiedsrichter Brych wegen seiner Leistung vor das Haager Kriegsverbrechertribunal gewünscht hat. Dies ist eine gravierende und geschmacklose Herabsetzung, für die eine Geldstrafe von 5000 Schweizer Franken unverhältnismäßig wenig ist. Und natürlich hat niemand so großen Einfluss auf das Verhalten seines Nationaltrainers wie der Nationalverband.
Dieses Sanktionssystem als unausgegoren zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus. Denn es erfolgt mit System und offenbart erhebliche Defizite in der Fifa-Werteskala. Aber das ist ja nichts Neues. 4 Tore 3 Tore 2 Tore 1 Tor