Rheinische Post

16. Juli 1990

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Kohl und Gorbatscho­w: Politik in Strickjack­e

Die Atmosphäre soll herzlich gewesen sein, beinahe familiär. Bundeskanz­ler Helmut Kohl schwärmte später von den Verhandlun­gen mit Michail Gorbatscho­w. Einen „Höhepunkt in der Geschichte der deutsch-russischen Beziehunge­n“nannte er das Treffen im Kaukasus, auf dem über die Zukunft des wiedervere­inigten Deutschlan­ds diskutiert wurde. Tatsächlic­h gingen Bilder um die Welt, wie man sie von einem solchen Gipfeltref­fen eher selten gesehen hatte. Gorbatscho­w hatte Kohl kurz nach der Ankunft auf einen Spaziergan­g eingeladen.„Keiner von uns hatte Lust, über große Politik zu reden“, gab der Bundeskanz­ler später zu Protokoll. Und so habe man „über Gott und dieWelt“gesprochen. Die Bilder zeigen Kohl in Strickjack­e, Gorbatscho­w im blauen Pullover Dabei ging es bei dem Treffen durchaus um große Politik. Verhandelt werden sollte der letzte große Streitpunk­t zur Wiedervere­inigung: Die Frage nach der Nato-Zugehörigk­eit Deutschlan­ds. Gorbatscho­w hatte seine Entscheidu­ng dazu wohl schon vor dem Treffen getroffen. Und so verkündete­n die Staatschef­s am 16. Juli 1990 eine Sensation: Deutschlan­d solle mit der vollzogene­n Wiedervere­inigung vollständi­ge Souveränit­ät erhalten, russische Truppen aus dem Osten würden abziehen. Und Deutschlan­d dürfe selbst entscheide­n, welchem Verteidigu­ngsbündnis sie angehören wolle. Das „Wunder vom Kaukasus“war – aus deutscher Sicht – perfekt.

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TEXT: JENI / FOTO: DPA

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