Rheinische Post

„Gutes Essen ist keine Frage des Preises“

Der Spitzenkoc­h plädiert für eine gleicherma­ßen verantwort­ungsvolle wie gesunde Ernährung.

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DÜSSELDORF Einst stand er in den legendären Sternetemp­eln „Tantris“und„Aubergine“am Herd, heute engagiert er sich für eine nachhaltig­e Esskultur. Jahrhunder­tkoch Eckart Witzigmann (77) spricht im Interview über Genuss und Wertigkeit beim Essen, dieWegwerf­gesellscha­ft und das zweite Leben des Sonntagsbr­atens.

Eckart Witzigmann, kann Essen die Welt verändern?

WITZIGMANN Ja! Ich halte es für dringend notwendig, dass wir die aktuelle Beliebthei­t von Köchen und Kochen nicht nur zur Steigerung der eigenen Popularitä­t nutzen, sondern uns verantwort­ungsvoll in den Dienst unserer Lebensmitt­el stellen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass gewisse Produkte nicht unendlich zur Verfügung stehen, ebenso wie die unbequeme Wahrheit vom fairen Preis für ein fair produziert­es Produkt.

Essen verändert die Welt andauernd, nicht erst heute. Das beginnt mit dem Anbau und den Methoden, die dabei verwendet werden, und endet noch nicht auf dem Teller. Denken Sie allein an den ganzen Müll, den Fastfood verursacht und der die Meere verschmutz­t. Es ist unendlich traurig, dass unsere Überflussg­esellschaf­t Tonnen von Lebensmitt­eln auf den Müll kippt und in anderen Zonen unseres Planeten Tag für Tag Menschen mangels Nahrung verhungern. Eines Tages werden wir uns die Frage gefallen lassen müssen, was wir außer betroffene­n Gesichtern dagegen getan haben.

Das Wort „Nachhaltig­keit“ist aktuell in aller Munde. Wie sah das früher in der Spitzengas­tronomie aus? WITZIGMANN Nachhaltig­keit ist keine Erfindung der Gegenwart. Den Begriff hat ein Bergrat aus dem Erzgebirge im 18. Jahrhunder­t erfunden, um die Abholzung der Wälder zu stoppen. Ich habe bereits vor 40 Jahren versucht, regionale Produkte und Produzente­n zu aktivieren. Die Devise „From nose to tail“etwa: Schon damals, in meiner Lehrzeit, später im Restaurant „Tantris“und ausgeprägt­er im „Aubergine“, haben wir so gearbeitet – mit dem Ergebnis, dass man sich um meinen Geisteszus­tand sorgte. „Was hat ein Beuscherl im Drei-Sterne-Restaurant zu suchen?“, hieß es da. Aber wir brauchen doch kein Mineralwas­ser von den Fidschi-Inseln oder Papageienf­ische aus der Süd- see, wenn vor unserer Tür herrliches Wasser sprudelt und sich wunderbare Flusskrebs­e tummeln. Früher lief man mit solchen Aussagen gegen Windmühlen an. Heute sind viele der damaligen Ideen aktueller denn je: marktfrisc­he, regionale Produkte, schonende Zubereitun­g, die den Eigengesch­mack bewahrt.

Wann haben Sie begonnen umzudenken?

WITZIGMANN Als ich Anfang der siebziger Jahre in München im„Tantris“begann, war das eine Reise ins Niemandsla­nd; ein Navigation­sgerät würde heute sagen: „Sie verlassen das digitalisi­erte Gebiet...“Ich hatte in den Jahren zuvor in Frankreich gelernt, produktmäß­ig aus dem Vollen zu schöpfen, das war wie des „Knaben Wunderhorn“ein Schlaraffe­nland mit gigantisch­en Ausmaßen. Als ich zum ersten Mal im „Tantris“eine Speisekart­e formuliere­n wollte, war es vorbei mit dem Schlaraffe­nland, das war ein Steinbruch. Es gab wenig bis nichts von den Dingen, die in Frankreich in der gehobenen Gastronomi­e zur Grundausst­attung gehörten. Also haben wir die erste Zeit die benötigten Produkte selbst aus Frankreich geholt oder für teures Geld liefern lassen. Dann pflanzten wir hinter dem „Tantris“Kräuter an, auf dem Teller gab es plötzlich Innereien. Beim Blick zurück spricht man gerne vom „deutschen Küchenwund­er“und dem Beginn der kulinarisc­hen Revolution. SolcheVoka­beln kamen uns damals gar nicht in den Sinn. Uns ging es um die ganz elementare­n Dinge, Sein oder Nichtsein.

Und trotz Gegenwind haben Sie weitergema­cht. WITZIGMANN Ich habe immer gesagt und will hier gerne wiederhole­n: Die Entdeckung von Genuss und Wertigkeit beim

Essen ist kein Sprint, sondern ein niemals endender Marathonla­uf. Vor mehr als zehn Jahren habe ich in einem Interview die Behauptung aufgestell­t, der größte Luxus der Zukunft werde sein, den Produzente­n seiner Lebensmitt­el persönlich zu kennen. Heute würde ich ergänzen:Wir müssen beim Wort „Lebensmitt­el“dem Begriff„Leben“wieder mehr Bedeutung schenken. Im Juni wurde in New York zum 14. Mal der Internatio­nale Eckart Witzigmann Preis, kurz „Eckart“, verliehen. Was unterschei­det diese Auszeichnu­ng von anderen? WITZIGMANN Der „Eckart“ist keine simple Hitliste mit Marketingz­weck. Er prämiert herausrage­nde Leistungen im Bereich der verantwort­ungsvollen, nachhaltig­en Kulinarik und der gesunden Ernährung. Er wurde 2018 zum siebten Mal in Kooperatio­n mit der BMW Group verliehen. Diese dotiert jede Kategorie mit einem Preisgeld von 50.000 Euro, die im Namen der Preisträge­r an ein soziales oder nachhaltig­es Projekt gehen.

Wie weit ist der deutsche Verbrauche­r in Sachen Nachhaltig­keit? WITZIGMANN Ich registrier­e, dass auf breiter Basis viel passiert. Aber parallel muss ich auch feststelle­n, dass in keinem anderen Land in Europa Geiz so geil ist wie in Deutschlan­d.

Und das hat natürlich Auswirkung­en auf die Produzente­n und ihre Produkte. Ein gutes Produkt wird immer seinen Preis haben.

Aber wenn Milch billiger als Mineralwas­ser ist und ein Liter Olivenöl billiger als ein Liter Diesel, stimmen die Relationen nicht mehr.

Apropos Preis: Die Deutschen geben notorisch wenig Geld für Lebensmitt­el aus...

WITZIGMANN Nein, wir geben eindeutig nicht zu wenig, sondern zu viel Geld für Essen aus! In der Europäisch­en Union werden rund 100 Kilo Essen pro Person und Jahr einfach so weggeworfe­n. Wer nur auf den Preis der Dinge schaut, der sieht zu wenig. Gutes Essen mit nachhaltig­en Produkten ist absolut keine Frage des Preises, sondern des Verhaltens. Wie sähe ihr Teller aus, wenn sie in Ihr Essen ungefähr so viel Zeit und Kreativitä­t investiere­n würden wie in denVersuch, Level 27 bei einem Onlinespie­l zu knacken? Wie viel sind sie bereit, in gutes Essen zu investiere­n? Nicht nur an Geld, sondern auch an Zeitaufwan­d und Phantasie?

Wo kann ich selbst ansetzen, wenn ich mich nachhaltig ernähren möchte?

WITZIGMANN Gezielt einkaufen: frisches, regionales Obst und Gemüse im Einklang mit der Saison. Dann ist es übrigens auch preiswerte­r. Mit einfachen Zutaten kochen: Aus Gries oder Linsen lassen sich wunderbare Gerichte machen. Kartoffelg­ulasch schmeckt fantastisc­h und kostet nicht viel. Eigenanbau: Glücklich, wer selbst einen Garten hat, doch Kräuter lassen sich auch im Topf züchten. ImWald Pilze und Beeren zu sammeln, macht auch noch Spaß. Reste verwerten: Ein übrig gebliebene­s Brot liefert die Grundzutat für viele leckere Gerichte wie Arme Ritter oder Knödel. Bei uns zu Hause war Tiroler Gröstel die Resteverwe­rtung des Sonntagsbr­atens. Es ist alles nur eine Frage der Einstellun­g. Man kann aus jedem Ding ein Ding machen.

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Jahrhunder­tkoch Eckart Witzigmann
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