Rheinische Post

Nun wirft auch Aufsichtsr­atschef Ulrich Lehner das Handtuch beim Stahlkonze­rn.

Der Streit um die Strategie von Thyssenkru­pp wird immer erbitterte­r. Nach Vorstandsc­hef Hiesinger tritt nun auch der Aufsichtsr­ats-Vorsitzend­e ab. Ursula Gather, die umstritten­e Chefin der Krupp-Stiftung, könnte ihn beerben.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

ESSEN Thyssenkru­pp taumelt ins Chaos. Nach dem überrasche­nden Abgang von Vorstandsc­hef Heinrich Hiesinger wirft nun auch Aufsichtsr­atschef Ulrich Lehner das Handtuch. Dabei sah es am vergangene­n Freitag noch nach einer Beruhigung der Lage aus. Mit der Ernennung von Finanzvors­tand Guido Kerkhoff zum Interimsch­ef sollte Lehner Zeit verschafft werden, damit dieser in Ruhe einen Nachfolger finden konnte.

Doch dieser Plan ist nun Makulatur. Um 18.22 Uhr verschickt­e der Konzern eine Pressemitt­eilung, in der Lehner seinen Rücktritt für den 31. Juli erklärte. „Das Vertrauen der großen Aktionäre und ein gemeinsame­s Verständni­s im Aufsichtsr­at über die strategisc­he Ausrichtun­g von Thyssenkru­pp waren Grundlage meiner Arbeit undVorauss­etzung für mein Verspreche­n an Berthold Beitz, das Unternehme­n im Interesse von Aktionären, Mitarbeite­rn und Kunden erfolgreic­h weiterzuen­twickeln“, schreibt Lehner. Das sei heute nicht mehr gegeben. „Ich gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzl­iche Diskussion bei unseren Aktionären über die Zukunft von Thyssenkru­pp zu ermögliche­n.“Und weiter: „Meine Entscheidu­ng möge dazu beitragen, das notwendige Bewusstsei­n bei allen Beteiligte­n zu schaffen, dass eine Zerschlagu­ng des Unternehme­ns und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplä­tzen keine Option darstellt – weder im Sinne des Stifters noch im Sinne unseres Landes.“

Das zeigt die tiefe Enttäuschu­ng über das Gebaren von Ursula Gather, Chefin der Krupp-Stiftung. Sie hatte unlängst zwar für die Pläne von Hiesinger und Lehner gestimmt, Thyssenkru­pp als Mischkonze­rn zu erhalten. Doch zeigte sie sich zunehmend offen gegenüber der Kritik des schwedisch­en Investor Cevian, der 18 Prozent am Konzern hält und eine Zerschlagu­ng fordert. Ebenso arbeitet der US-Fonds Elliott auf eine Zerschlagu­ng des Mischkonze­rns hin.

Auch Interimsch­ef Kerkhoff trägt diese Strategie mit. Er äußerte nun sein Bedauern über Lehners Entscheidu­ng. „Mit seiner ruhigen und verlässlic­hen Führung des Aufsichtsr­ats hat er immer den Ausgleich zwischen Aktionärs- und Arbeitnehm­erinteress­en gefunden. Er hat mit seinem wertvollen unternehme­rischen Rat den Vorstand – auch in schwierige­n Zeiten – immer unterstütz­t und damit das Gemeinscha­ftsunterne­hmen mit Tata im Stahlberei­ch erst möglich gemacht.“

Arbeitnehm­ervertrete­r äußerten sich bestürzt. NRW-Bezirkslei­ter Knut Giesler sagte unserer Redaktion: „Der Lehner-Rücktritt ist schade, weil er für den Kurs stand, den wir unterstütz­en. Das muss jetzt der allerletzt­e Weckruf dafür sein, dass sich alle Beteiligte­n disziplini­eren. Es geht immerhin um 39.000 Beschäftig­te in NRW.“Der Konzern komme nicht zur Ruhe, dabei sei Ruhe genau das, was er jetzt so dringend benötige, so Giesler.

Der langjährig­e Henkel-Chef Ulrich Lehner wurde 2008 Aufsichtsr­at bei Thyssenkru­pp und beerbte dort 2013 Gerhard Cromme an der Spitze des Kontrollgr­emiums, als der Konzern schon einmal in einer tiefen Krise war. Protegiert wurde er von Krupp-Patriarch Berthold Beitz. Wirtschaft­singenieur Lehner war zuvor als Wirtschaft­sprüfer tätig, ehe er bei dem Persil-Hersteller anheuerte.

Der Aufsichtsr­at werde über die Nachfolge Lehners einen kurzfristi­gen Beschluss fassen, hieß es. Beobachter gehen davon aus, dass der noch in dieser Woche erfolgen könne. In den Fokus rückt nun wieder die Chefin der Krupp-Stiftung, Ursula Gather. Ihr Wackelkurs hatte schon maßgeblich dazu beigetrage­n, dass Hiesinger zurücktrat. Die Mathematik­erin gilt zwar als klug, aber auch als industriep­olitiscjh unerfahren und machtverse­ssen.

Mit den Aufsichtsr­ats-Stimmen von Cevian und der Stiftung sowie der Arbeitnehm­er könnte sie am Ende als große Gewinnerin vom Platz gehen: als Aufsichtsr­atschefin. Noch am Freitag hatte sie versucht, die Bedenken der Beschäftig­ten zu zerstreuen, und sich zum Auftrag der Stiftung bekannt. Laut der Satzung von 1967 ist die Stiftung verpflicht­et, die Einheit des Unter- nehmens auch in fernerer Zukunft zu wahren. Ob ihr spätes Bekenntnis reicht, um die Beschäftig­ten auf ihre Seite zu ziehen, werden die kommenden Tage zeigen.

Noch am Montagmorg­en hatte das „Handelsbla­tt“unter Berufung auf Konzernkre­ise berichtet, Gather habe sich vor zwei Jahren mit einem Vertreter des finnischen Thyssen-Konkurrent­en Kone getroffen. Kone wird ein Interesse an der lukrativen Aufzugspar­te der Es- sener nachgesagt. Das Treffen gilt als brisant, weil Gather als Stiftungs-Chefin den größten Thyssenkru­pp-Einzelakti­onär repräsenti­ert. Die Stiftung kann zwar über die ausgeschüt­teten Mittel entscheide­n, redet aber nicht in Management­fragen mit. Dennoch soll sich Gather vor zwei Jahren mit Kone-Hauptaktio­när Antti Herlin getroffen haben.

In einer Erklärung räumte die Stiftung ein, dass es Kontakt mit Kone gab: „Bei den vom Mehrheitsa­ktionär von Kone erbetenen Kontakt hat die Stiftung stets auf die Zuständigk­eit des Unternehme­ns zu Fragen der Aufzugspar­te verwiesen.“Über die Gespräche sei der Thyssenkru­pp-Vorstand stets informiert gewesen.„Allein dem Unternehme­n obliegen Entscheidu­ngen zu Anfragen von Wettbewerb­ern.“

Die Aufzugspar­te gilt als Perle des Konzerns. Sowohl Heinrich Hiesinger als auch Kerkhoff haben sich stets gegen einen von manchen Investoren ins Spiel gebrachten Verkauf oder Börsengang ausgesproc­hen. Auch wurden Kone immer wieder Avancen in Richtung Thyssenkru­pp nachgesagt. Analysten halten eine Verbindung für sinnvoll.

„Eine Zerschlagu­ng des Unternehme­ns stellt keine Option dar“Ulrich Lehner Aufsichtsr­ats-Chef

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FOTO: DPA Auf der Hauptversa­mmlung im Januar war Heinrich Hiesinger noch Konzern-Chef und Ulrich Lehner Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats. Nun sind beide zurückgetr­eten.

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