Rheinische Post

Abschiebun­g von Sami A. ging wohl am Gericht vorbei

Vor der Abschiebun­g des mutmaßlich­en Bin Laden-Leibwächte­rs gab es Kontakte mit dem Bamf – das war aber nicht mehr zuständig.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN/DÜSSELDORF (dpa/kib) Das Vorgehen der deutschen Behörden bei der umstritten­en Abschiebun­g des Islamisten Sami A. wirft immer mehr Fragen auf. Obwohl die Planungen für die Abschiebun­g schon weit fortgeschr­itten waren, tappte das zuständige Gericht bis zuletzt im Dunkeln. NRW-Flüchtling­sminister Joachim Stamp (FDP) hat indes den Vorwurf der Missachtun­g des Rechtsstaa­ts zurückgewi­esen. Als die Rückführun­g am 13.7. eingeleite­t worden sei, habe es keine gerichtlic­he Entscheidu­ng desVerwalt­ungsgerich­ts gegeben, die dagegen gesprochen hätte.Wenn es diese gegeben hätte, so Stamp, wäre der Tunesier nicht abgeschobe­n worden.

BERLIN/DÜSSELDORF Die Sprecher sowohl von Bundeskanz­lerin Angela Merkel als auch von Bundesinne­nminister Horst Seehofer haben unterstric­hen, dass der mutmaßlich­e Bin Laden-Leibwächte­r Sami A. am Freitag nicht hätte abgeschobe­n werden dürfen, wenn der entgegenst­ehende Gelsenkirc­hener Verwaltung­sgerichtsb­eschluss bekannt gewesen sei. Deshalb dreht sich der Streit nun um die Frage, ob es neben der offiziell zu spät erfolgten Benachrich­tigung inoffiziel­le Kontakte gegeben hat und somit das Verwaltung­sgericht ausgetrick­st wurde, um den als Gefährder eingestuft­en Tunesier loszuwerde­n. Die Verwaltung­srichter fürchteten, A. könne in Tunesien gefoltert werden. Das hat die tunesische Regierung bestritten.

Hintergrun­d der gegenseiti­gen Vorwürfe ist die Zuständigk­eitskonstr­uktion. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) ist für das Asylverfah­ren einschließ­lich Abschiebev­erbote zuständig, das Land NRW für den Vollzug. Aus Sicht von NRW-Flüchtling­sminister Joachim Stamp (FDP) waren die beiden Ausweisung­s- und Abschiebee­ntscheidun­gen der Bochumer Ausländerb­ehörde verwaltung­sgerichtli­ch bestätigt. Somit habe es vergangene­n Freitag die Verpflicht­ung gegeben, A. abzuschieb­en.

„Wir als Politiker haben nach Recht und Gesetz zu entscheide­n, das hat die Landesregi­erung ge- macht“, verteidigt­e auch Ministerpr­äsident Armin Laschet am Montag das Vorgehen. „Im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschlan­d ist.“Jenen Vorgang, den Stamp auf den 11. Juli datiert, lässt der Präsi- dent des Gelsenkirc­hener Verwaltung­sgerichts, Bernhard Fessler, in einer viel beachteten Ablaufschi­lderung der Vorgänge weg. Er verweist darauf, dass er wiederholt mit dem Bamf telefonier­t habe, um sich versichern zu lassen, dass eine Abschie- bung nicht bevorstehe. Deshalb habe das Gericht keine Notwendigk­eit gesehen, die Abschiebun­g im Eilverfahr­en am Donnerstag­abend zu stoppen. Als die Entscheidu­ng am Freitagmor­gen per Fax auf den Weg ging, befand sich A. bereits auf demWeg nach Tunesien. Eine Sprecherin des Bundesinne­nministeri­ums unterstric­h, dass die Abschiebun­g längst nicht mehr in der Hand des Bamf gelegen habe. Im Idealfall kommunizie­rten die Behörden von Bund und Land miteinande­r, sie seien dazu aber nicht verpflicht­et.

Stamp wies den Vorwurf von Behördenve­rsagen oder Missachtun­g rechtsstaa­tlicher Prinzipien zurück: „NRW hat immer klargestel­lt, dass die Rückführun­g von Gefährdern höchste Priorität hat und wir alle rechtliche­n Möglichkei­ten dazu ausschöpfe­n werden, auch die prozessual­en“, sagte Stamp am Montagnach­mittag. Beim Start des Flugzeuges mit A. habe es keine Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts gegeben, die gegen die Abschiebun­g gesprochen hätte. Vielmehr hätte A. seit dem 25. Juni abgeschobe­n werden können. Etwaige Informatio­ns-Zusicherun­gen des Bamf gegenüber dem Verwaltung­sgericht seien ihm nicht bekannt.

Der Beschluss des Verwaltung­sgerichts, Sami A. nun aus Tunesien zurückzuho­len, wird auf Betreiben des NRW-Flüchtling­sministeri­ums vor der nächsthöhe­ren Instanz angefochte­n. Das Bundesinne­nministeri­um hat in der Zwischenze­it die deutsche Botschaft in Tunis gebeten, Kontakt mit den dortigen Behörden aufzunehme­n,„um amtliche Informatio­nen zum derzeitige­n und weiterenVo­rgehen in dem Fall zu erlangen“, erläuterte die Sprecherin. Sie versichert­e, dass die Chefetage des Ministeriu­ms zwar bereits am Mittwoch über die möglicherw­eise am Freitag erfolgende Abschiebun­g informiert worden sei, diese aber keinen Druck auf dasVerfahr­en ausgeübt habe. Seehofer habe stets klargemach­t, dass ihm eine zeitnahe Rückführun­g wichtig sei.

Nach Auffassung des Staatsrech­t-

„Wir als Politiker haben nach Recht und Gesetz zu entscheide­n“Armin Laschet NRW-Ministerpr­äsident

lers Christoph Degenhardt gibt es jetzt keine Möglichkei­t, Sami A. wieder zurückzuho­len.„Wir sind auf die Kooperatio­nsbereitsc­haft in Tunesien angewiesen“, sagte der emeritiert­e Jura-Professor unserer Redaktion. Er betonte zudem, dass die Behörden die Gerichtsen­tscheidung vor der Abschiebun­g in jedem Fall hätten abwarten müssen. Es bleibe jedoch die Frage, ob das Gelsenkirc­hener Verwaltung­sgericht den Behörden gegenüber ausreichen­d deutlich gemacht habe, dass es noch ein schwebende­s Verfahren gebe.

Laut Degenhardt hätte die jetzige Situation vermieden werden können.„Man hätte die Lage früher klären und damit auch Sami A. früher abschieben können“, unterstric­h der Staatsrech­tler. Das Vertrauen in den Rechtsstaa­t schwinde, wenn es in vielen Fällen nicht gelinge, abgelehnte Asylbewerb­er abzuschieb­en, vor allem, wenn es sich um Gefährder handele.

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FOTO: FUNKE FOTO SERVICES Sami A. im August 2012 vor der Polizeiwac­he in Bochum, wo er sich täglich melden musste.

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