Rheinische Post

John Degenkolb wertet seinen Etappensie­g bei der Tour de France als Zeichen für seine Kritiker.

Einen Triumph wie den Etappensie­g bei der Tour de France haben dem deutschen Radprofi viele nicht mehr zugetraut.

- VON EMANUEL REINKE UND CHRISTOPH LEUCHTENBE­RG

AIX-LES-BAINS (sid) John Degenkolb waren die Strapazen der „Hölle des Nordens“nach einer unruhigen Nacht noch anzusehen.„Ich bin ziemlich zerknirsch­t aufgewacht“, sagte der 29-Jährige am Montag im ZDF-Morgenmaga­zin nach dem Flug an den Fuß der Alpen mit müden Augen. Degenkolb lächelte trotzdem tapfer, denn die Gedanken an einen der größten Momente seiner Laufbahn ließen die Quälerei beinahe vergessen: „Freude und Glück machen alles gut.“

Was waren das für Szenen nach diesem grandiosen Tagessieg auf der Kopfsteinp­flastereta­ppe der Tour de France nach Roubaix! Hemmungslo­s weinte Degenkolb nach der Zieldurchf­ahrt in den Armen seines Vaters, schluchzte regelrecht. All die Enttäuschu­ngen der jün- geren Vergangenh­eit, sein schlimmer Trainingsu­nfall Anfang 2016, der beschwerli­che Weg zurück, die für seine Familie tief empfundene Dankbarkei­t und die Erinnerung an den Tod des besten Freundes seines Vaters stürzten ihn in ein wahres Gefühlscha­os. „Unsere ganze Familie hat einen sehr wichtigen Men- schen verloren“, erzählte Degenkolb ergriffen, „das wirft einen sehr zurück, wenn man einen Menschen verliert, den man liebt, der von jetzt auf gleich so aus dem Leben gerissen wurde. Ich hatte sehr damit zu kämpfen, aber habe mir gesagt: Die Arbeit, alles, was ich tue, um wieder besser zu werden, mache ich für ihn.“

Und so brachten unbändiger Ehrgeiz und eiserner Wille den Thüringer wieder dahin zurück, wo er 2015 war: an die Spitze. Die Triumphe bei Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix schienen damals nur der Anfang einer langen Erfolgsser­ie zu sein, stattdesse­n hielt das Leben einige harte Prüfungen bereit. Genugtuung spielte daher am Sonntag auch eine Rolle. „Es gab viele, die mich abgeschrie­ben haben, die dachten, der schafft es eh nicht wieder“, sagte Degenkolb, „ich bin glücklich, diese ganzen Leute eine Besseren belehrt zu haben.“

Nach dem Trip in Richtung Alpen nach Chambery wartete im Teamhotel in Aix-les-Bains seine Frau Laura mit Sohn Leo Robert auf Degenkolb, bevor er mit den Mannschaft­skollegen bei Trek-Segafredo auf seinen ersten Etappenerf­olg bei einer Frankreich-Rundfahrt anstoßen durfte. „Diese Momente muss man noch viel, viel mehr genießen als in der Vergangenh­eit“, sagte der Wahl-Frankfurte­r.

Das Tour-Organ L‘Equipe beschrieb sinnbildli­ch für Degenkolb einen Triumph „mit der Kraft des Glaubens“, mit der Überzeugun­g, die ihm so lange auf dem Rad zu fehlen schien. Und als wäre es ein Wink des Schicksals, waren die Belgier Greg Van Avermaet und Yves Lampaert am Sonntag ebenso Degenkolbs Fluchtbegl­eiter wie bei seinem Roubaix-Erfolg 2015.„Ich freue mich sehr für ihn, er hat sich durch harte Zeiten gekämpft und jetzt seinen Tour-Traum wahr gemacht“, meinte Top-Sprinter Marcel Kittel, der selbst gerade durch ein Tal geht.

Degenkolb und die Tour de France, es war bisher wahrlich keine Liebesbezi­ehung. Der Geraer war manchmal nahe am Verzweifel­n, wenn er sich wieder mit einem zweiten oder dritten Platz hatte zufriedeng­eben müssen. Doch dieser Ballast ist nun weg, es bleiben erstmal lediglich Hunderte unbeantwor­teter Glückwünsc­he. Diese Aufgabe dürfte für Degenkolb aber vergleichs­weise ein Klacks sein.

„Es gab viele, die mich abgeschrie­ben haben, die dachten, der schafft es eh nicht wieder“John Degenkolb Radprofi

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FOTO: DPA John Degenkolb jubelt nach seinem Sieg auf der 9. Etappe.

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