Rheinische Post

Wenn Angst das Leben bestimmt

Die ZDF Doku „Nur keine Panik“aus der Reihe 37 Grad widmet sich dem Thema Angststöru­ng.

- VON MARTIN WEBER

HAMBURG Er war der umjubelte Frontmann der bekannten Rockband„Jupiter Jones“und begeistert­e mit seinen Songs die Fans. Was niemand ahnte: Nicholas Müller litt unter üblen Panikattac­ken, vor denen er nicht einmal auf der Bühne gefeit war. „Wenn du dreimal am Tag eine dreivierte­l Stunde lang denkst, du stirbst, dann macht das was mit dir“, erzählt der 37-jährige Musiker in der einfühlsam­en ZDF-Dokumentat­ion „Nur keine Panik!“. Die Angstzustä­nde wurden so schlimm, dass Müller die Band vor einigen Jahren auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs verlassen musste. Er begab sich in psychiatri­sche Behandlung, sagte seinen Ängsten den Kampf an, tastet sich seit einiger Zeit ganz langsam ins normale Leben zurück und macht in einer neuen Band auch wieder Musik – für Nicholas Müller die beste Therapie.

Schätzunge­n zufolge leiden in Deutschlan­d an die zehn Millionen Menschen an einer mehr oder weniger ausgeprägt­en Angststöru­ng – eine gewaltige Zahl. Die Dokumentat­ion aus der ZDF-Reihe „37 Grad“versucht der Zivilisati­onskrankhe­it anhand einiger weniger Einzelschi­cksale auf die Spur zu kommen: Neben Nicholas Müller kommen auch zwei betroffene Frauen und deren Angehörige ausführlic­h zu Wort. Das ist das typische Verfah- ren von „37 Grad“, das normalerwe­ise auch prima funktionie­rt. Gerade bei diesem Thema wären aber doch detaillier­tere Experten-Statements wünschensw­ert gewesen. So wird die Frage nach den Gründen für Angststöru­ngen und ihre Behandlung zwar durchaus angerissen, alles in allem aber etwas stiefmütte­rlich behandelt.

Bei der früheren Krankenpfl­ege- rin Jeanette aus dem Odenwald, die es seit Jahren vor lauter Panik kaum aus dem Haus schafft, liegt der Auslöser ihrer generalisi­erten Angststöru­ng auf der Hand: Sie verunglück­te vor vielen Jahren mit ihrem damaligen Freund auf dem Motorrad. Der junge Mann starb, sie wurde schwer verletzt und musste lange Zeit ins Krankenhau­s – ein traumatisc­hes Erlebnis, das bis heute nachwirkt. Seit einigen Jahren aber kann sie das Haus nur noch in Begleitung ihres Lebensgefä­hrten verlassen und auch eine Einladung ihrer Tochter in ein Spaßbad wird zur schweren Prüfung, die abgebroche­n werden muss. Jeanette fürchtet sich vor geschlosse­nen fremden Räumen, hat Angst vor dem Haarfärbem­ittel beim Friseur und davor, alleine irgendwo hinzugehen.

Die Stärke von Broka Herrmanns Film liegt darin, dass nicht nur die Betroffene­n, sondern auch deren Angehörige­n zu Wort kommen, die unter den Panikattac­ken ihrer Lieben oft genauso leiden.„Manchmal nervt’s mich auch“, gibt Jeanettes Lebensgefä­hrte unumwunden zu, wenn er während einer Therapiesi­tzung seiner Freundin wieder mal eine Stunde im Auto warten muss, weil sie den Gedanken nicht erträgt, er könne sie allein lassen. Auch die Familie von Petra aus Waldshut-Tiengen hat lange gerbraucht, bis sie mit den aus der Sicht eines Gesunden völlig unbegründe­ten Ängsten der Frau klarkam. Petra machen Autolärm, Menschen auf der Straße oder im Supermarkt dermaßen Angst, dass sie Herzrasen und Atemnot bekommt. Sie hat wie auch die anderen Protagonis­ten das Glück, liebevolle Menschen voller Verständni­s um sich herum zu haben.

„37 Grad: Nur keine Panik“, ZDF, 22.15 Uhr

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FOTO: ZDF Nicholas Müller, der ehemalige Frontmann der Gruppe Jupiter Jones, konnte wegen Angststöru­ngen nicht mehr auftreten.

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