Normalfall Schwarz-Grün
Die erste schwarz-grüne Regierung in Hessen galt als Überraschung und ihre Halbwertszeit als begrenzt. Die Zusammenarbeit verlief aber erstaunlich reibungslos. Im Oktober stehen wieder Landtagswahlen an.
Als CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier ausgerechnet den Grünen am 21. November 2013 um 18.30 Uhr ein formelles Verhandlungsangebot für eine Koalition in Hessen machte, stürzte in diesem Bundesland eine politische Welt ein. Jahrzehntelang hatte der Streit zwischen den großen Blöcken die Dimension eines Glaubenskriegs angenommen. Linke Gesellschaftsveränderung stand gegen strammen Rechts-Konservatismus.
Schließlich betrachtete die SPD Hessen einst als ihr Labor für eine sozialdemokratische Gesellschaft, in der Schulpolitik wie in der Wirtschaft oder beim sozialen Wohnungsbau. „Hessen vorn“, hieß der Wahlspruch. Als mit dem Christdemokraten Roland Koch im Jahr 1999 die Ära der CDU-Dominanz begann, bestimmte die entgegengesetzte Richtung die Politik, die für nationalkonservative Werte, eine harte Innenpolitik, eine leistungsorientierte Schule und eine rigide Sparpolitik stand.
Diese Vorherrschaft geriet nach der Wahl 2013 erheblich ins Wanken. Eine CDU unter 40 Prozent und eine FDP, die mit 5,0 Prozent gerade noch im Landtag blieb, waren nicht mehr in der Lage, das bisherige schwarz-gelbe Bündnis fortzusetzen. Und zur Überraschung aller fanden die einstigen Erzgegner, der rechte Bouffier und das Grünen-Urgestein Tarek Al-Wazir zusammen.
Viele Beobachter gaben der neuen Konstellation keine allzu große Überlebenschance. Schließlich waren in Hamburg und im Saarland schwarz-grüne Bündnisse schon vor Ablauf der Legislaturperiode gescheitert, obwohl dort die Voraussetzungen viel günstiger lagen. Wie konnten ein Grüner, den CDU-Landtagsabgeordnete in Anlehnung an dessen Herkunft als „Student aus Sanaa“beschimpften, und ein Christdemokrat, vor dessen Wohnhaus sich regelmäßig Demonstranten zu Mahnwachen trafen, in heiklen Dingen wie Flughafenerweiterung oder Ausländerpolitik zusammenarbeiten?
Der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg hat jetzt für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung dieses ungewöhnliche Bündnis untersucht und kommt zu einer erstaunlichen Feststellung.„Eine schwarz-grüne Zusammenarbeit in Hessen gilt mittlerweile als Koalition wie jede andere“, schreibt er in seiner Studie, die unserer Redaktion vorab vorliegt. Und der Professor der Bonner Universität geht sogar noch weiter. Beide Parteien hätten mit ihrem Bündnis„zu einer spürbaren Entschärfung der traditionell polarisierten politischen Kultur Hessens beigetragen“.
Der Normalfall ist offenbar eingetreten. Am 28. Oktober ist Landtagswahl. Und die beiden führenden Partner, Bouffier und Al-Wazir, könnten sich eine Fortsetzung der Koalition gut vorstellen. Tatsächlich zeichnen sich die einstigen Streithähne durch eine weitgehend geräuschlose Zusammenarbeit aus, die auch von den anderen Akteuren in beiden Lagern peinlich eingehalten wird. Mögliche Streitpunkte werden in den nahezu wöchentlich stattfindenden vertraulichen Koalitionsrunden in Bouffiers Dienstvilla schnell identifiziert und behoben. „Notfalls bleibt man auch bis in die Puppen, um Konflikte beizulegen oder im Keim zu ersticken“, berichtet CDU-Finanzminister Thomas Schäfer.
Das schien am Anfang noch nicht ausgemacht. Denn der Streit um Flughafenlärm, Kitabetreuung oder Haushaltsausgleich drohte mehr als einmal das Bündnis auseinanderzubringen. Vor allem beim Großprojekt Flughafen, von dem in Hessen rund 175.000 Arbeitsplätze abhängig sind, stießen die Gegensätze aufeinander. Die Grünen wollten eine Ausweitung des Nachtflugverbots und ein Aus für das dritte Terminal. In beiden Fällen konnten sie sich nicht durchsetzen. Stattdessen gab es lediglich eine weitgefasste Lärmobergrenze und flexible Ruhezeiten. Bei der Grundsteinlegung des dritten Terminals blieb Al-Wazir ostentativ der Feier fern. Trotzdem wurde seine Partei bei derWahl zum Frankfurter Rat mit einem