Rheinische Post

Land bildet Flüchtling­e für Altenpfleg­e aus

Die Bevölkerun­g wird älter, es fehlt an Pflegekräf­ten. Um diesem Problem entgegenzu­wirken, vermittelt das Projekt „Care for Integratio­n“Geflüchtet­en Pflege-Ausbildung­en. Zwei Iraker haben ihren Beruf gefunden.

- VON MERLIN BARTEL

DÜSSELDORF Wenn Daniel Ghanem Juuma (25) und Kamal Murad Siedo (21) durch die Tür kommen, ist die Freude im Seniorenhe­im groß. Behutsam helfen sie den Bewohnern beim Aufstehen, waschen sie, verteilen Essen oder messen den Blutdruck. „Die Leute freuen sich, wenn wir Deutsch mit ihnen sprechen“, sagt Ghanem Juuma.„Das macht sie froh und ist lustig, weil wir manche Wörter nicht verstehen.“2015 flohen die beiden aus dem Irak, seit dem vergangene­n Jahr machen sie in Düsseldorf eine Ausbildung zum Altenpfleg­ehelfer.

„Ich mag ältere Menschen sehr. Im Irak haben meine Mutter und ich meine Großmutter gepflegt.“Murad Siedo

Die beiden jungen Männer nehmen am Projekt „Care for Integratio­n“teil, das seit Dezember 2016 an sieben Standorten in NRW läuft. Die Akademie für Pflegeberu­fe und Management sowie der Bundesverb­and privater Anbieter sozialer Dienste ermögliche­n mit Unterstütz­ung des Gesundheit­sministeri­ums und der Bundesagen­tur für Arbeit Geflüchtet­en eine zweieinhal­bjährige Berufsausb­ildung. Eine Vergütung wird dafür nicht gezahlt, die Auszubilde­nden erhalten aber weiter Geld vom Jobcenter. Das Projekt wird vom Europäisch­en Sozialfond­s in Höhe von 550.000 Euro sowie über Bildungsgu­tscheine der Bundesagen­tur für Arbeit gefördert. Auch die Jobcenter beteiligen sich.

103 Flüchtling­e machen in Düsseldorf, Münster, Duisburg, Lippstadt/Soest, Heinsberg, Köln und Bielefeld ihre Ausbildung – 27 hatten zuvor im Laufe der Zeit abgebroche­n. Im Kursus in Düsseldorf sind alle Teilnehmer anerkannte Asylbewerb­er mit Bleiberech­t. „Allerdings ist ein Aufenthalt­stitel keine Voraussetz­ung für die Teilnahme“, erklärt Hannah Kleines, Projektlei­terin von „Care for Integratio­n“. An anderen Standorten gebe es auch Teilnehmer, die sich noch im Asylverfah­ren befänden. „An verschie- denen Standorten haben einzelne Teilnehmer auch bereits eine Duldung für die Ausbildung in der Altenpfleg­ehilfe erhalten, so dass wir ihnen durch unser Projekt eine Bleibepers­pektive bieten konnten.“

Rund 60 Prozent sind Männer. „Das gefällt vielen Pflegeheim­betreibern, weil die Frauenquot­e sehr hoch ist“, sagt Kleines. In Düsseldorf werden 17 junge Menschen ausgebilde­t und machen – sofern noch nicht vorhanden – den Hauptschul­abschluss. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Daniel Ghanem Juuma. „Wir schreiben uns bei WhatsApp – und helfen einander, wenn jemand Fragen zum Lernstoff hat.“

Bevor die anderthalb­jährige Berufsausb­ildung beginnt, werden die Teilnehmer bis zu zwölf Monate durch Sprachkurs­e und Informatio­nen über das Berufslebe­n in Deutschlan­d vorbereite­t. Sie kommen unter anderem aus Syrien, Afghanista­n und Eritrea – und kennen eine völlig andere Kultur. „Im Irak ist die Familie für die Alten verantwort­lich, deshalb mussten wir uns erstmal daran gewöhnen, dass es Pflegeheim­e gibt“, sagt Kamal Murad Siedo. „Meine Familie freut sich aber, dass ich die Ausbildung mache.“Daniel Ghanem Juuma gefällt das europäisch­e Modell:„Ich bin dagegen, dass die Familie die Großeltern pflegen muss. So verbringt man viel Zeit mit ihnen – selbst, wenn man das nicht möchte.“

Ob Blutzucker messen oder ein offenes Ohr für Sorgen haben: Die angehenden Pfleger packen in allen Bereichen mit an. „Ich mag ältere Menschen sehr“, sagt Murad Siedo. „Im Irak haben meine Mutter und ich meine Großmutter gepflegt.“Ghanem Juuma arbeitete in seiner Heimat als Fotograf und nach seiner Ankunft in Deutschlan­d am Fließband: „Das war langweilig. Ohne Ausbildung geht in Deutschlan­d nichts. Außerdem möchte ich in meinem Leben nicht nur einen Job ausüben, sondern viele Erfahrunge­n sammeln und anderen Menschen helfen.“

ImAugustge­hendiebeid­enwieder in die Praxisphas­e und absolviere­n ein zweimonati­ges Pflegeprak­tikum in Heimen in Düsseldorf und Umgebung. Im Dezember 2015 kamen die beiden Iraker nach Deutschlan­d, heute lebt Daniel Ghanem Juuma in Krefeld, Kamal Murad Siedo in Ratingen. Insgesamt umfasst die Ausbildung zwei stationäre sowie zwei ambulante Praktika. In den Theorieblö­cken steht medizinisc­her Hintergrun­d auf dem Lehrplan, praktische Anwendunge­n werden alsVorbere­itung an speziellen Puppen geübt.

Das Projekt „Care for Integratio­n“verbindet zwei zentrale Fragen in der heutigen Gesellscha­ft: Wie werden Flüchtling­e in die Gesellscha­ft integriert? Und: Wie wird der Fachkräfte­mangel in der Pflegebran­che bekämpft? „Aufgrund des bestehende­n Fachkräfte­bedarfes in der Pflege wollen wir interessie­rte und motivierte geflüchtet­e Menschen für die Altenpfleg­e gewinnen und qualifizie­ren“, sagt NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann. Menschen mit Migrations­hintergrun­d werden bereits seit vielen Jahrzehnte­n in das deutsche Pfle- gesystem integriert. „Deshalb wollen wir diese Erfahrunge­n nutzen, um den geflüchtet­en Menschen eine Chance zu geben, einen auf Jahre sicheren Beruf zu erlernen“, sagt er. „Berufliche Integratio­n ist ein wichtiger Schlüssel zur gesellscha­ftlichen Integratio­n.“Nach Angaben des NRW-Gesundheit­sministeri­ums findet das Projekt viel Beachtung, andere Bundesländ­er haben demnach bereits angefragt.

Im April 2019 beenden die beiden Iraker ihre Ausbildung und können eine dreijährig­e Fachkrafta­usbildung anschließe­n. Bei guten Leistungen kann diese auf zwei Jahre verkürzt werden.„Anfangs sprachen viele Teilnehmer kaum Deutsch, mittlerwei­le haben alle das Sprachnive­au B1 oder B2“, sagt Hannah Kleines. „Vor allem in den Praxisblöc­ken machen sie große Sprünge. Viele Teilnehmer haben sogar schon Job-Angebote erhalten.“Auch Daniel Ghanem Juuma ist noch lange nicht am Ende seiner Karriere: „Ich würde gerne als Stationsle­iter arbeiten.“

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Kamal Murad Siedo (l.) und Daniel Ghanem Juuma üben im Rahmen ihrer Ausbildung an einer Testpuppe wichtige Handgriffe.

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