Rheinische Post

Schadenser­satz für Ex-Sonderschü­ler

Nenad Mihailovic war elf Jahre auf Förderschu­len, weil er als geistig behindert galt.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Vor mehr als einem Jahr startete der Prozess des ehemaligen Förderschü­lers Nenad Mihailovic gegen das Land Nordrhein-Westfalen. Nun gibt es eine erste Gerichtsen­tscheidung. Nach Auffassung einer Zivilkamme­r des Kölner Landgerich­ts muss das Land NRW dafür haften, dass der heute 21-Jährige jahrelang auf Förderschu­len war, obwohl er normal intelligen­t ist.

Über die Höhe der Entschädig­ung ist aber noch keine Entscheidu­ng gefallen, wie das Gericht mitteilt. Die Kammer will noch klären, welche konkreten psychische­n Folgen Mihailovic dadurch erlitten hat, dass er elf Jahre auf Förderschu­len verbracht hat. Erst in Bayern, dann in Köln.

Der Kölner hatte das Land wegen Amtspflich­tverletzun­g auf Schadeners­atz und Schmerzens­geld in Höhe von 52.000 Euro verklagt. „Es war, als hätte ich unschuldig im Gefängnis gesessen“, sagte Mihailovic vor Beginn des Prozesses über seine Schulzeit. Sein IQ liegt bei 94 und damit im guten Bevölkerun­gsdurchsch­nitt. Mit 14 hatte er den Direktor seiner Förderschu­le gebeten, ihn auf eine andere Schule zu schicken, er wolle „einen richtigen Abschluss haben“. Doch nichts passierte. Er schaffte es erst kurz vor seinem 18. Geburtstag mit Hilfe zweier Kölner Vereine, auf ein Berufskoll­eg zu wechseln, wo er innerhalb von zwei Jahren einen Hauptschul­abschluss gemacht hat. Mit der Note 1,6 als Klassenbes­ter.

Das Gericht ist der Ansicht, das Land habe seine Pflichten vor allem dadurch verletzt, dass dessen Förderbeda­rf nicht jährlich überprüft worden war. „Wäre dies geschehen, hätte man erkennen können und müssen, dass der Förderschw­er- punkt ‚Geistige Entwicklun­g‘ falsch war“, sagt eine Sprecherin des Landgerich­ts. Mihailovic hätte dann früher einen Schulabsch­luss erreichen können. Er hätte mit 16 Jahren eine Ausbildung starten und Geld verdienen können, andere haben in seinem Alter längst feste Jobs – er jobbt in einem Supermarkt. Seinen Verdiensta­usfallscha­den beziffert Mihailovic mit seiner Anwältin Anneliese Quack auf rund 40.000 Euro. Dazu kommt Schmerzens­geld. Beide sind erleichter­t nach dem Urteil am Dienstag.„Die Gerechtigk­eit hat gesiegt“, sagt Quack. Es ist die erste Klage dieser Art in Deutschlan­d. Anfangs bestand kaum Aussicht auf Erfolg, wie die Anwältin sagt.

Das Land NRW hat nun einen Monat Zeit, gegen diese Entscheidu­ng Berufung beim Oberlandes­gericht Köln einzulegen. Erst wenn es ein rechtskräf­tiges Urteil gibt, wird geklärt, wie viel Geld Mihailovic zusteht.

Das NRW-Schulminis­terium hatte vor Prozessbeg­inn in einer Stellungna­hme Fehler eingeräumt. Das kognitive Potenzial des Schülers sei vermutlich nicht richtig erkannt worden, hieß es. „Für seinen weiteren Lebensweg wünsche man ihm viel Erfolg“, sagte Anwältin Quack damals. „Die haben einem Kind die komplette Kindheit und Jugend versaut und keiner entschuldi­gt sich.“

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FOTO: CLAUDIA HAUSER Der IQ von Nenad Mihailovic (21) liegt bei 94.

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