Rheinische Post

Svenja Schulze und die Bienen

Die Bundesumwe­ltminister­in macht den Insektensc­hutz zu einem ihrer Kernthemen dieser Wahlperiod­e.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

KREFELD Wenigstens hier gibt es noch jede Mengen Insekten. Große und kleine, mit Flügeln und ohne. Aufgespieß­t und aufgereiht liegen sie hinter Glasscheib­en, versehen mit kleinen Zettelchen und langen lateinisch­en Namen. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) beugt sich über die Schaukäste­n, wirft einen Blick auf Buchrücken mit Titeln wie „Die Käfer Mitteleuro­pas“oder „Catalog der Lepidoptor­an“. Mit einem freundlich­en Lächeln überreicht die Ministerin dann dem Insektenfo­rscher Martin Sorg einen Scheck über 150.000 Euro.

Der Entomologi­sche Verein Krefeld ist die vierte Station auf der Sommerreis­e der neuen Bundesumwe­ltminister­in. In ihrem Koalitions­vertrag haben sich SPD und Union darauf festgelegt, mehr für den Insektensc­hutz zu tun. Es ist eines der großenVorh­aben der früheren NRW-Wissenscha­ftsministe­rin. Doch die Mittel sind knapp und das Landwirtsc­haftsresso­rt liegt in den Händen der CDU-Ministerin Julia Klöckner. Und nicht alle Landwirte sind Insektenfr­eunde.

Dass es das Thema Insektensc­hutz auf die politische Agenda geschafft hat, ist maßgeblich Insektenfo­rscher Sorg und seinen Leuten zu verdanken. Der Wissenscha­ftler zettelte so etwas wie eine Revolution an, die nicht nur die Fachwelt in Aufruhr versetzte. Die jüngste Publikatio­n des Entomologi­schenVerei­ns Krefeld erregte weltweit Aufsehen. Sorg und seine Mitarbeite­r ermittelte­n vor einem Jahr, dass die Gesamtmeng­e der Insekten binnen 27 Jahren selbst in Naturschut­zgebieten um 76 Prozent zurückgega­ngen ist. Gemessen an ihrer weltweiten Resonanz liegt diese Studie heute auf Platz 50 von 11,4 Millionen wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichungen.

Doch Martin Sorg verwaltet den Mangel. In dem verwinkelt­en kleinen Schulgebäu­de arbeiten seine Leute auf engstem Raum, die meisten der 63 Mitarbeite­r ehrenamtli­ch. Bei vielen wichtigen Insektengr­uppen fehlt es an Experten. „Wir haben zurzeit keinen Bearbeiter für Schlupfwes­pen“, sagt Sorg und fügt hinzu: „Eine sehr wichtige Insektenar­t.“

Wie wichtig die meisten Insekten sind und zugleich wie gefährdet, wurde vielen Menschen durch Sorgs Studie erst bewusst. Den Satz von Albert Einstein, wonach vier Jahre nach den Bienen die Menschen aussterben, will der Forscher zwar nicht unterschre­iben. Aber dass sie für die Bestäubung von Obst und anderen Blüten oder als Nahrungsmi­ttelgrundl­age für viele Tierarten, etwa Vögel, unersetzli­ch sind und Böden wie Wasser von Schadstoff­en befreien, ist schon fast ein Allgemeinp­latz. Die Mitglieder des Entomologi­schenVerei­ns sind es auch, die bewerten, welche Insektenar­ten so gefährdet sind, dass sie auf Rote Listen gehören.

Auch die Europäisch­e Union hat schon auf die jüngsten wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se reagiert und drei Insektenbe­kämpfungsm­ittel verboten, die vor allem in der Landwirtsc­haft zum Einsatz kommen. Nicht genug, meinen Naturschüt­zer und kritisiere­n zugleich, dass auch die weiter zunehmende Bebauung und Versiegelu­ng von Flächen ein Übriges tun, um den Lebensraum der Insekten zu vernichten.

WennSvenja­Schulzedar­angrundleg­end etwas ändern will, muss sie es mit vielen mächtigen Gegnern aufnehmen. Zum Beispiel mit der EU-Kommission. Die weigerte sich aber zuletzt, einen eigenen EU-Naturschut­zfonds zu schaffen. Stattdesse­n muss sich der Naturschut­z einen Topf vor allem mit der Agrarpolit­ik teilen, die jedoch zum Teil gegensätzl­iche Ziele verfolgt.

So kommt es, dass nach Angaben des Bundesumwe­ltminister­iums zwar der geschätzte nationale Finanzbeda­rf zur Umsetzung der EU-Naturschut­zrichtlini­en bei 1,4 Milliarden Euro pro Jahr liegt. Die verfügbare­n nationalen und EU-Mittel betragen aber nur 536 Millionen Euro. Und auch das sei schon gut gerechnet, weil allein 324 Millionen Euro davon ganz allgemein der Förderung des ländlichen Raums zugutekomm­en.

In Deutschlan­d hat Schulze vor allem die mächtige Agrar-Lobby gegen sich, die traditione­ll großen Einfluss auf das Landwirtsc­haftsminis­terium ausübt, zumal viele Landwirte CDU-Wähler sind. Immerhin sind sich Schulze und ihre Kabinettsk­ollegin Klöckner darin einig, dass für den Insektensc­hutz mehr getan werden muss.

Ein entspreche­ndes Eckpunktep­apier haben die beiden Ministerin­nen schon durchs Kabinett gebracht. Jetzt geht es um konkrete Vorschläge. Ein „Aktionspla­n Insektensc­hutz“soll bis zum Sommer 2019 vom Kabinett beschlosse­n werden. Schulze ist sicher, dass dies gelingen wird.

Die Zeit drängt: Insektenfo­rscher Sorg kommt im November mit seiner nächsten Studie. Dann geht es um die Zukunft der Bienen.Vorwegnehm­en will er nichts. Nur soviel: Es gibt Bienen, deren eigener Honig so mit Chemikalie­n verseucht ist, dass sie daran zugrunde gehen.

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FOTO: BMU/GRABOWSKY Svenja Schulze zu Besuch beim Entomologi­schen Verein in Krefeld.

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