Auf Plateausohlen durch die Popgeschichte
Johanna von Koczian trifft Lady Gaga: Mitglieder des Schauspielhaus-Ensembles gestalteten einen wunderbaren Liederabend im Central.
In Frack und Lackschuhen, mit Glitzer-Kummerbund und Ansteckblume gibt André Kaczmarczyk kokett die Richtung vor: „Und das Femininum ging als Maskulinum, trug ´nen Frack und einen Stock, und das Maskulinum ging als Femininum, trug die Haare lang und einen Rock.“
Damit eröffnete der Schauspieler und künstlerische Leiter des Liederabends„Boys don´t cry and girls just want to have fun“das Verwirrspiel der Geschlechter im Central. Sofort fetzen sie los, die sechs Sängerinnen und Sänger aus dem Schauspielhaus-Ensemble. Sie schnappen sich die Zuschauer und wirbeln mit ihnen durch ein hinreißend kombiniertes Sammelsurium von PopSongs, Schlagern und Chansons. Zwei süffige Stunden lang geht es rasant zu.
Sechs Alleskönner trumpfen mit starken Stimmen auf, begleitet von den famosen Musikern Matts Johan Leenders (Piano) und Daniel Brandl (Cello). Dramaturg Frederik Tidén stakst als Drag Queen auf Plateausohlen durch die Kulisse und gibt humorvoll seinen Senf dazu: „Ich bin früh aus den Geschlechterrollen gefallen und nie wieder reingekommen.“Choreografin Bridget Petzold tanzt mit weißem Bart über die Bühne und singt am Ende sogar mit. Blitzschnell werden Kostüme getauscht, Herren tragen Fe- derboas, Strapse und Corsagen, und keiner wundert sich.
Ein hochgradig professioneller Parcours. Mit Medleys, die alles genüsslich verquirlen, Roy Black und Madonna, Aretha Franklin, Lady Gaga und Ted Herold. Mit Liedern, die betören und berühren. Die einen ganz melancholisch machen wie Lou Strengers beseelte Hymne „For today I am a boy“. Die herzig oder einfach nur saukomisch sind.
Was da für Raritäten ausgegraben wurden! Beim „Brief einer höheren Tochter aus den Ferien“, inbrünstig vorgetragen von Genet Zegay, quiekt das Publikum vor Vergnügen. Der frivole Text von Helen Vita ist eine Perle im Programm, wie auch„Mein Hund ist schwul“von den Prinzen. Hier macht es die Präsentation: Das Ensemble singt mit heiligem Ernst wie im Gesangverein. Schön, dass jeder auch ausgiebig mit Soloauftritten brillieren darf.
Hanna Werth gibt in „Wie man eine Torte macht“die verzweifelte Hausfrau, in „Keep your hat on“die Herrin. Stefan Gorski beklagt sich wie einst Johanna von Koczian über „Das bisschen Haushalt“. Sebastian Tessenow weiß,„Frauen regieren die Welt“. Und André Kaczmarczyk? Der kostet das ellenlange Kreuzworträtsel-Chanson von Georg Kreisler genauso aus wie „Ich hab drei Haare auf der Brust, ich bin ein Bär“. Himmlisch. Und im Oktober zum Glück wieder im Programm.