Rheinische Post

Der rheinische CDU-Mann ging nach seinem politische­n Sturz vor sechs Jahren nach der Devise ans Werk „Würde wahren und wieder aufstehen“. Jetzt ist er im In- und Ausland geachtet und gilt bei Kollegen wieder als ministrabe­l.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Hilton, Gendarmenm­arkt, Investoren­konferenz. Jene, die in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz über Milliarden entscheide­n, wollen hinter verschloss­enen Türen wissen, wie sich die Politik wirklich entwickelt: „Germany and Europe in Times of Global Disorder“heißt die zentrale Rede des Tages. Natürlich läuft alles auf Englisch. Eine der leichteren Übungen für Norbert Röttgen, Deutschlan­d und Europa in Zeiten globaler Unordnung zu analysiere­n. Er wirkt auf die Zuhörer dabei brillant, weltläufig, beinahe visionär.

Gleich am Anfang ein paar Sätze, die das Publikum einfangen. „Ohne Digitalisi­erung und Migration hätten wir weder Brexit noch Trump“, lautet einer davon. Andere sind strikt „off the record“, also nicht zur Veröffentl­ichung bestimmt. Das sichert ihm eine Stunde ungeteilte Aufmerksam­keit, viele Nachfragen und langen Applaus. Der Weg zurück zum Wagen zieht sich. Er wird im Saal angesproch­en, auf dem Flur, auf der Treppe, im Foyer, vor dem Hotel. So wie das ist, wenn Leute wichtig sind.

Seit Röttgen mit 29 in den Bundestag einzog, war er immer wichtiger geworden. Er gehörte seit 1994 zu den „Jungen Wilden“, die gegen Kohl ein moderneres Staatsange­hörigkeits­recht wollten, tastete in der „Pizza Connection“schwarz-grüne Machtoptio­nen aus, bekam das Karrieresp­rungbrett „Erster Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer“, wurde 2009 Umweltmini­ster, gewann 2010 den Mitglieder­entscheid um den NRW-CDU-Vorsitz, erhielt kurz darauf das beste Ergebnis als CDU-Bundesvize, wurde 2012 Spitzenkan­didat. Er hätte Ministerpr­äsident sein können.„Muttis Klügster“. Dann Merkels Kronprinz?

Doch er machte einen Fehler nach dem anderen. Einer der dämlichste­n war die Idee, die NRW-Wahl zur Abstimmung über Merkels Europapoli­tik zu machen. Röttgen zog es sofort zurück. Zu spät. Und er ließ die Menschen im Unklaren, ob er auch als Opposition­sführer nach NRW wechseln würde. Am Ende verlor er alles krachend: die Wahl, die Option Düsseldorf, und aus dem Kabinett warf ihn die Kanzlerin auch achtkantig raus. Ein hoffnungsv­olles Politikerl­eben am Ende?

Die Regale in seinem Bundestags­büro zeigen, warum es nicht das Ende war. Da steht ein Kalender mit Familien-Schnappsch­üssen, daneben eine Fotocollag­e mit Familien-Szenen.„Familie“, sagt er denn auch auf die Frage nach seiner liebsten Freizeitbe­schäftigun­g. Röttgen wirkt geerdet. Während er auf die Fotos von Frau und Kindern schaut, fällt ihm auf: „Ich glaube nicht, dass in der Politik etwas passieren kann, was mich als Mensch aus der Bahn wirft.“Stattdesse­n warten so viele neue Dinge. Da liegt etwa ein Stein aus dem zerstörten Aleppo. In der Reihe unter dem Porträt seiner Frau ein dicker Wälzer: „Deutschlan­ds neue Verantwort­ung.“

Röttgens neue Verantwort­ung lässt sich architekto­nisch ermessen. Als Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s ist ein ganzer Bürotrakt im PaulLöbe-Haus sein Reich. Mit Mitarbeite­rn, Sekretaria­ten, Referenten und vielen internatio­nalen Terminen. Zwischen einer britischen Strategiet­agung und einem spanischen Europa-Kolloquium war gerade der italienisc­he Botschafte­r zu Besuch in seinem Büro. Drei fast leere Wasserflas­chen stehen noch auf dem Tisch. Bevor sie herausgetr­agen werden, kippt sich Röttgen die Reste in sein Glas. Man schüttet doch keine Lebensmitt­el weg. Da bleibt sich auch der frühere Umweltmini­ster treu.

Diese kleine Geste sagt viel über die neue Karriere des 53-Jährigen, der seinen Wahlkreis an Rhein und Sieg rund um Bonn stets direkt gewann. Da ist kein verbissen kämp- fender Egomane auf dem zweiten Weg nach oben. Da nutzt ein durch und durch politisch denkender Mensch sein Talent. Er bringt auf Knopfdruck aktuelle Vorgänge auf den Punkt. Das Gipfeltref­fen Trump-Putin sei „mehr positiv als negativ gewesen“, lasse als Ergebnis „mehr erwarten als befürchten“. Freilich müsse Deutsch- land klar sein: „Weder Trump noch Putin sind Freunde der EU.“Er rät nicht zur Eskalation nach jeder neuenVolte des US-Präsidente­n.„Europäisch­e Stärke ist die einzige realistisc­he Antwort auf Trump.“

Seine nächsten Ziele?„Ach“, winkt er ab. „Mit Zielen ist das so eine Sache in der Politik.“Er konzentrie­re sich lieber darauf, von seiner Stelle aus als „Stimme der Vernunft“im Inland wie im Ausland wahrgenomm­en zu werden. Die Gelegenhei­ten sind zahlreich. Vom ZDF-“Morgenmaga­zin“bis zu den ARD-“Tagestheme­n“. Besonders, weil da einer erkennbar unabhängig von der außenpolit­isch dominieren­den Kanzlerin unterwegs ist, der sich anderersei­ts genauso erkennbar nicht an ihr abarbeiten muss.„Wir sprechen viel miteinande­r“, sagt Röttgen über das Verhältnis zu der Frau, die ihn einst aus der Regierung geschmisse­n hat. Auch darüber? Seine Antwort: „Auch wenn Sie es nicht glauben: Nie.“

Was bedeutet das damalige Fiasko heute für ihn? „Es ist ein Teil meines politische­n Lebens.“Pause. Nachdenken. Ergänzung: „Ein angenommen­er Teil.“Weiteres Nachdenken. Dann: „Niederlage­n gehören zur Entwicklun­g und zur Reife eines Menschen.“Vom Abstrakten zum Konkreten: „Es hat mich stärker gemacht.“Aber er will das alles auch nicht überhöhen: „Es gibt viele, viele Menschen, die viel Schlimmere­s erleben mussten.“Wie für sie galt seinerzeit für ihn: „Würde wahren und wieder aufstehen.“Und:„In einer solchen Situation erweisen sich Freundscha­ften.“

Ruprecht Polenz, der damalige Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s, habe ihn angesproch­en. Aber in dem Gremium war seinerzeit kein Platz frei. Das habe seine NRW-CDU-Kollegin (und jetzige Gesundheit­s-Staatssekr­etärin) Sabi- neWeiß gehört und angeboten:„Du kannst meinen haben.“So rückte Röttgen nach, fand sich schnell zurecht in der internatio­nalen Politik, hatte er doch gerade noch internatio­nale Umweltkonf­erenzen vorbereite­t. Als Polenz ausschied, wurde Röttgen 2014 sein Nachfolger. Sicher nicht gegen den Willen der Kanzlerin, die im Zweifel bei den Spitzenpos­ten für die Union im Bundestag mitredet. Aber auch der damalige Landesgrup­penchef Peter Hintze setzte sich für ihn ein. So beweisen sich politische Freundscha­ften. Kein Wunder, dass Röttgen weiter an seiner Basis ackert. Lebhaft beteilige er sich auch an internen NRW-Debatten, heißt es aus der Landesgrup­pe.

Wie sehr die Fraktion mit Röttgen im Reinen ist, zeigte sich inmitten der komplizier­ten Verhältnis­se im neuen Sieben-Parteien-Parlament nach den letztjähri­gen Wahlen. Die Union hatte bei den Ausschussv­orsitzen das erste Zugriffsre­cht und entschied sich an Nummer eins für den Auswärtige­n Ausschuss und für Röttgen. Anerkennun­g kommt aus allen Fraktionen. Der sei ein Kandidat für die erste Reihe nach Merkel, heißt es sogar aus der Opposition. Und: „Minister ist für ihn allemal wieder drin.“

„Ich glaube nicht, dass in der Politik etwas passieren kann, das mich aus der Bahn wirft“Norbert Röttgen

 ?? FOTO: DPA ?? Norbert Röttgen während einer Sitzung des Deutschen Bundestage­s.
FOTO: DPA Norbert Röttgen während einer Sitzung des Deutschen Bundestage­s.

Newspapers in German

Newspapers from Germany