Einkehr im Salmtal
Im Kloster Himmerod in der Eifel lebten mit Unterbrechungen 800 Jahre lang Zisterziensermönche. Pater Stephan ist der letzte von ihnen, die Abtei wurde 2017 aufgelöst. Dennoch bleibt der Weiler ein lebendiger Ort.
SALMTAL Datenvolumen? Netzguthaben? Powerbank? Ganz hundertprozentig ist das mönchische Leben zu den Jugendlichen noch nicht durchgedrungen. Ansonsten wissen sie die Atmosphäre aber schon zu schätzen. Für eine Woche sind sie aus dem thüringischen Jena nach Himmerod gekommen. Jetzt sitzen sie mit Blick auf die Klosterkirche auf dem Rasen, reden, lesen und beschäftigen sich mit Fragen zum europäischen Gesamtgefüge.„Das klappt ganz gut“, sagt ein Lehrer, auch wenn es an modernen Seminarräumen mangele. Weil das Wetter gut ist, macht das aber nichts. „Wir können ja draußen sitzen.“Sicher, ein Kloster ist kein Tagungshotel, auch wenn Himmerod für Symposien ausdrücklich offen steht. Zu bieten hat der mittelalterliche Flecken im abgeschiedenen Tal des Eifelflüsschens Salm gleichwohl viel mehr.
Einer, der‘s wissen muss, ist Pater Stephan, der mit bürgerlichem Namen Reimund Senge heißt und vor 84 Jahren in Hannover geboren wurde. Seit 60 Jahren lebt, betet und arbeitet er als Mönch in Himmerod. Nahezu jeder Klosterbesucher dürfte ihm begegnet sein, es sei denn, Pater Stephan befand sich gerade auf einer seiner regelmäßigen Afrikareisen. Er steht in seiner Kutte vor dem Wirtschaftsgebäude und erklärt einigen Gästen die Botanik.
Pater Stephan ist der letzte seines Ordens, seit der Zisterzienser-Konvent der Abtei im Oktober 2017 aufgelöst wurde. Damit endete dessen 100-jährige Geschichte seit derWiederbegründung an historischem Ort im Jahr 1922/23. Zählt man von Beginn des Klosters an, so erlebte gar eine 800 Jahre alte Geschichte ihren Abschluss.
Der mittelalterliche Abt und Kreuzzugsprediger Bernhard von Clairvaux hatte das Kloster im Jahr 1134 gegründet; damit war Himmerod – neben Kloster Eberbach im Rheingau – die erste der beiden direkten Gründungen des Ordensheiligen auf deutschem Gebiet. Bis zu 300 Mönche lebten dort zeitweise, Himmerod gehörte mit seiner Landwirtschaft und dem Weinbau zu den reichsten Klöstern der Region.
Nach der Aufhebung in der Säkularisation wurde das weitgehend zerstörte Kloster zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter der Obhut der Zisterzienserabtei Marienstatt (Westerwald) neu besiedelt und die Klosteranlage in den Folgejahren nach barockem Vorbild wiedererrichtet. So ist die heutige Abteikirche mit der prächtigen Portalornamentik eine Rekonstruktion des Baus des Architekten Christian Kretschmar. Im Inneren verbindet die lichtdurchflutete Kirche zisterziensische Schlichtheit und romanisches Raumgefühl mit gotischen und barocken Elementen.
Dass inzwischen keine Klostergemeinde mehr vor Ort ist, hat Pater Stephan nicht sein Gottvertrauen verlieren lassen – vielleicht, weil er seit jeher für die Gäste im Kloster zuständig war und sich mit Veränderungen auskennt. Die, so sagt er, gehörten nun einmal zum Leben und hingen stets von den beteiligten Menschen ab. „Alles hat seine Zeit. So entwickeln sich auch Chancen und Ideen. Ich sage immer: Der Heilige Geist erfindet Himmerod neu“, bemerkt der 84-Jährige und legtWert auf die Feststellung, dass das Kloster vom Bistum Trier als geistlicher Ort für die Öffentlichkeit erhalten bleibe. Er selbst war in jungen Jahren eher zufällig auf Himmerod gestoßen, als er mit einer Jugendgruppe durch die Eifel wanderte.
Damals sei er ein „miserabler Schüler“gewesen und mehrfach sitzengeblieben, erzählt er. Nach dem Abitur kehrte er schließlich als Novize zurück und durchlief Studium und Priesterweihe. Soeben hat er sein 40. Buch beendet, hält in Himmerod Gottesdienste und Seelsorge aufrecht, unterstützt Schulen im sudanesischen Bürgerkriegsgebiet und hat darüber seinen Sinn für Flausen nicht verloren. ImWinter nimmt er manchmal ein Bad im eisigen Klosterweiher. Und wie sehr ihn die Wasser-Schlammschlachten im Sommer erfreuen, das kann man seinem spitzbübischen Grinsen ablesen, wenn er davon erzählt. Nein, ein todernster Ort ist Himmerod nicht. Kinder beispielsweise finden nicht nur einen Spielplatz und schier unendlichen Auslauf vor, sondern auch zwei Esel, die für geführte Wanderungen bereit stehen. Und auch Erwachsenen wird nicht langweilig, sie wissen vor allem die Speisen in der Klostergaststätte zu schätzen.
„Gäste sollen nie fehlen“, so ist ein Text in der Klosterzeitung überschrieben und verweist auf die besondere Atmosphäre des Ortes – sei es für Einzelexerzitien, Klausurtagungen oder Seminare. Dass es dabei nicht immer nur spirituell zugehen muss, beweist die „Himmeroder Denkschrift“ehemaliger Wehrmachtsoffiziere, die in den 1950er Jahren die theoretische Grundlage für dieWiederbewaffnung Deutschlands legten. Heute sind es in erster Linie Exerzitien und Bildungsurlaube, für die größere Gruppen ins Salmtal reisen. Einzelpersonen, Paare oder Familien genießen hingegen oft einfach die Atmosphäre. Und dann sind da der Eifelsteig, die geistlichen Konzerte, womöglich auch die Motorradstrecken. „Für viele ist das Kloster ein Mittelpunkt ihres Lebens“, sagt Pater Stephan, „denn sie kommen seit frühester Kindheit immer wieder her.“Das Gefühl „wieder zu Hause“zu sein, sei dann ja durchaus angebracht.
Neben Konzerten, Predigten undVorträgen zurWeihnachts- und zur Osterzeit lädt auch ein kleines Antiquariat zum Stöbern ein. Auch darf Clara Viebig nicht fehlen: Gleich hinter der nächsten Schleife der Salm, ein Stück flussaufwärts, liegt das Dörfchen Eisenschmitt, in dem die Schriftstellerin um 1900 ihre Erzählung „Das Weiberdorf“ansiedelte, in dem sie die unauflös- liche Nähe einer vorwiegend weiblichen Dorfgemeinschaft schildert, deren Männer zum Geldverdienen in die Zechen des Ruhrgebiets gezogen sind. Eisenschmitt hält das Andenken an die Autorin hoch: Das Clara-Viebig-Zentrum im Ortskern veranstaltet regelmäßig Lesungen und Ausstellungen.
Zwischen den Gebäuden und Mauern von Himmerod erklingt inzwischen Musik. Es ist die Orgel aus dem Bonner Hause Klais, deren Register da aus dem angelehnten Portal der Klosterkirche dringen. „Das ist so schön, sie wieder zu hören“, sagt eine Mitarbeiterin. Ihre Freude hat einen Grund: Am 25. Juli 2017 sahen sich die Freiwilligen Feuerwehren der Nachbardörfer nachts einem Schwelbrand in der Kirche gegenüber. Nur der Aufmerksamkeit eines Bruders war es zu verdanken, dass das Feuer unter Kontrolle gebracht wurde. Dennoch blieb die Orgel für die Restaurierung fast ein Jahr stumm – am Sonntag nach Pfingsten wurde sie in einem Pontifikalamt mit Triers Bischof Stephan Ackermann feierlich wieder eingeweiht. So sind ihre neuen, alten Klänge für manchen ein Symbol. Dafür, dass sie eben doch weitergeht, die Geschichte von Himmerod.