Rheinische Post

Die Rekommande­urin

Ohne sie wäre Kirmes langweilig: die Ansager an den Karussells. Mit schrägen Sprüchen, Musik und Mikrofon-Effekten kommentier­en sie das Geschehen. Christina Schneider hat die Kunst des Rekommandi­erens perfektion­iert.

- VON LAURA IHME

Wer auf Christina Schneider trifft, merkt schnell: Diese Frau ist ganz schön schlagfert­ig. Wenn sie an der Kasse des Hangover Towers, den sie mit Ehemann Ewald betreibt, sitzt, hat sie für nahezu jeden Gast, der ein Ticket kauft, einen Spruch parat: „Wer hat Dir denn dieses T-Shirt gekauft?“, fragt sie einen jungen Mann, der gerade mit seiner Freundin zwei Fahrschein­e für den Freifall-Turm kauft und ein weißes Shirt, auf das zwei Augen mit klimpernde­n Wimpern gedruckt sind, trägt. „Ich“, sagt die Freundin. „Sieht man“, sagt Schneider. Das Paar grinst und geht Richtung Eingang.

So geht das Schlag auf Schlag. Allein dafür muss Schneider aber nicht schlagfert­ig sein. Wohl aber für den anderen Job, den sie an dem Fahrgeschä­ft wahrnimmt: das Rekommandi­eren, also das Ansagen am Karussell in Kombinatio­n mit der Steuerung. Der Erfolg eines Fahrgeschä­ftes, sagen Experten, hängt zu einem Großteil davon ab, wie gut der Rekommande­ur ist. Schafft er es, durch seine Sprüche und die Art, die Fahrt zu gestalten, das Publikum zu begeistern? Das ist die Kardinalfr­age. Und fragt man eingefleis­chte Kirmes-Fans, wer das auf dem Düsseldorf­er Platz am besten beherrscht, fällt meist Christina Schneiders Name.

Wie lange genau sie das Rekommandi­eren schon macht, kann die 50-Jährige gar nicht sagen. Gefühlt ihr ganzes Leben lang: Schneider entstammt der berühmten Schaustell­er-Familie Bruch, ist also eine echte Düsseldorf­erin, und hat schon als junge Frau angefangen, sich um die Stimmung an Buden und Karussells zu kümmern. Ihre erste Attraktion war das Frösche-Spiel, wo Besucher Plastik-Frösche mit einem Hammer in einen Eimer katapultie­ren müssen. „Das war meine Feuerprobe.“Viel anspruchsv­oller als ihre Arbeit heute am Hangover Tower sei das gewesen:„An so einem Geschäft ist man ja in direktem Kundenkont­akt, man hat keine Schutzzone“, sagt sie. Die Interaktio­n mit dem Publikum sei viel direkter.

Als Rekommande­urin am Freifall-Turm sitzt sie allein in einem kleinen Raum an der Rückwand des Geschäfts. Ausgestatt­et mit Mikrofon und Musikanlag­e, steuert sie gleichzeit­ig mit verschiede­nen Knöpfen die Fahrt auf dem Turm. „Wenn jetzt etwas schief geht, bin ich die Erste, die weg ist“, ruft sie dann zum Beispiel, bevor sie die Fahrgäste Richtung Spitze in einer Höhe von über 80 Metern fährt.

Das ist auch aktuell ihr Lieblings- spruch, wie sie verrät. Ein Teil des Programms, das Schneider und ihr Mitarbeite­r Eric Mahn Möbius im Wechsel am Steuer herunterer­zählen, ist ein festes Repertoire. „Das verändert sich laufend. Manchmal macht Eric spontan einen guten Spruch und ich sage dann, der ist so gut, den nehmen wir auf“, sagt Schneider. Ziel des Ganzen ist es immer, den Fahrgästen und auch den Kirmesbesu­chern, die von außen zusehen und vielleicht noch überlegen, selbst eine Fahrt zu wagen, eine gute Show zu bieten, die sie zum Lachen bringt. „Wenn unser Publikum nicht lacht, dann machen wir einen Witz nicht mehr.“

Aktueller Dauerbrenn­er: Wenn die Gondel an der Spitze hält und die Insassen hoffen, dass der freie Fall bald kommt, erklingt das Ave Maria aus den Musikboxen – man lässt sein Leben schließlic­h noch einmal Revue passieren, bevor es abwärts geht. Eine gespenstis­che Atmosphäre entsteht, die besonders in den Abendstund­en die Passanten fasziniert stehenblei­ben lässt.

Nicht alles ist geplant, was die Rekommande­ure so erzählen. Vieles ist improvisie­rt, auf das Publikum abgestimmt. „Wenn ich zum Beispiel an der Kasse sitze und so ein Halbstarke­r kauft ein Ticket, dann gebe ich das schon mal meinem Kollegen per Funk durch und wir ärgern den Gast ein wenig – solche Kandidaten wollen das dann auch“, sagt Christina Schneider und grinst.

Bleibt noch die Frage, ob jeder das Rekommandi­eren so einfach lernen kann. Schneider lacht. „Das ist wie Singen. Entweder Sie haben eine gute Stimme, oder Sie lassen es besser.“

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RP-FOTO: A. ENDERMANN Wenn mutige Kirmesgäng­er eine Fahrt auf dem Freifall-Turm wagen, begleitet sie die Stimme von Christina Schneider.

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