In der Ruhe liegt die Kraft
Die SPD bringt sich als Moderator ins Spiel – wie sonst die Kanzlerin.
Sich bis auf die letzte Wählerstimme zu zerfleischen, war früher stets die Spezialdisziplin der Sozialdemokraten. In ihren frühen Jahren waren auch die Grünen darin recht gut. Die Linken können es immer noch, auch ohne Regierungsverantwortung. Die Union aber bildete bis zur Flüchtlingskrise in der Regel einen Hort der Harmonie. Kanzlerwahlverein eben. Diesen Ruf haben die Christdemokraten und Christsozialen in den vergangenen drei Jahren nachhaltig ruiniert.
Dabei war es ein Geheimnis von Merkels mehrfacher Wiederwahl, dass sie Ruhe ausstrahlte – kein Streit in der Partei, Kompromissfreude mit dem Koalitionspartner, Krisenmanagerin international. Die Wahlkämpfe 2009 und 2013 gewann sie mit der Strategie der sogenannten asymmetrischen Demobilisierung, also dem Einlullen des politischen Gegners. Seit 2015 ist es vorbei mit der Ruhe in der Union. Die Sozialdemokraten hätten sich also schon früher auf die Strategie verlegen können, in der Regierung die Rolle der Vernunft und der ruhigen Hand zu übernehmen. Aber sie hatten ausgerechnet Sigmar Gabriel als Vizekanzler und Parteichef. Der kann alles außer Strategie und Ruhe. Nun hat die SPD den Hamburger Olaf Scholz als Vizekanzler. Neben ihm könnte man Merkel für hyperaktiv halten, so viel hanseatisches Understatement trägt er vor sich her. Andrea Nahles wiederum ist zwar immer für überraschende Äußerungen von Kinderreimen bis Schimpftiraden gut. Aber sie versteht eine Menge von Strategie und das diszipliniert.
Im Flüchtlingsstreit der Union haben die Sozialdemokraten der Versuchung widerstanden, für kurzfristige Effekte die Sache weiter anzuheizen. Mehr noch. Sie sind in die Rolle geschlüpft, die sonst Merkel eingenommen hat: vermitteln, moderieren, Füße stillhalten. Das könnte sich auszahlen.