Rheinische Post

Der Faktenchec­k zu Özils Generalabr­echnung

Mesut Özil erhebt in seiner Rücktritts­erklärung schwere Vorwürfe. Welche stimmen, welche lassen sich nicht nachvollzi­ehen und welche sind schlichtwe­g falsch? Wir haben die Erklärung von Özil unter die Lupe genommen.

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R

DÜSSELDORF Medien, DFB-Präsident, Werbepartn­er – in seiner Rücktritts­erklärung rechnet Mesut Özil mit seinem Umfeld ab und erhebt schwere Vorwürfe. Wir haben die wichtigste­n Punkte aus Özils Erklärung überprüft.

1. Pauschalkr­itik am Umgang mit ihm in „den Medien“

Welche Medien meint Özil, wenn er von rechter Propaganda schreibt? Seine Kritik scheint in Richtung „Bild“-Zeitung zu gehen. Dort durftenWM-Kolumniste­n wie Stefan Effenberg oder Lothar Matthäus heftig und sehr persönlich über Özil schimpfen und ihn als Spieler und Mensch kritisiere­n. Viele Äußerungen waren geschmackl­os, der Vorwurf der rechten Propaganda geht dennoch zu weit.

Es stimmt, dass einige Medien ihre Artikel oder Social-Media-Postings zum WM-Aus der deutschen Mannschaft mit einem Foto von Mesut Özil bebilderte­n. Einem Spieler, der im Gegensatz zu einigen Mitspieler­n gute Zweikampfw­erte und Passquoten im Spiel gegen Südkorea vorweisen konnte. Die „FAZ“titelte „Der deutsche Untergang“und zeigte ein Bild von Özil, „Bild.de“postete ein Foto von Özil unter dem stand „Peinlicher Auftritt“.

Außerdem erschien in der „Bild“nach dem WM-Aus der Nationalma­nnschaft die Schlagzeil­e „Özil – 2x Ärger und sonst nix“. Damit bezog sich die Zeitung auf das Erdogan-Foto sowie den Streit zwischen Özil und einem Fan nach dem Spiel gegen Südkorea. Der Fan hatte Özil rassistisc­h beleidigt.

Ebenfalls richtig ist, dass viele Medien in ihren Analysen und Kommentare­n thematisie­rten, ob die Affäre um das Erdogan-Foto einen Einfluss auf die Leistung der Nationalma­nnschaft hatte. Eine pauschale Mediensche­lte ist aber unangebrac­ht. Nachdem DFB-Manager Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel Özil zum Sündenbock machten, sprangen ihm zahlreich Medien zur Seite. „Mesut Özil ist nicht Deutschlan­ds Staatsfein­d Nummer 1“, schrieb zum Beispiel die„Welt“.„Wie der DFB Stimmung gegen Mesut Özil macht – und seine Glaubwürdi­gkeit riskiert“, kommentier­te „Bento“.

2. Vorwurf, dass das Matthäus-Foto mit Wladimir Putin nicht ebenso kritisiert wurde

DieVorwürf­e sind falsch. Wieder kritisiert Özil alle Medien, auch wenn er immerhin die Einschränk­ung macht, Lothar Matthäus habe für sein Foto mit Putin „fast keine Kritik bekommen“. Tatsächlic­h wurde der Weltmeiste­r von 1990 scharf kritisiert. Die„ T Z“hat sogar in Bezug auf die Erdogan-Affä rege schrieben :„ Matthäus’ Verhalten ist genauso hart zu verurteile­n, wenn nicht härter.“Als Vorbild könne Matthäus nicht dienen. „Matthäus sollte keine blutigen Hände schütteln“, schrieb die „Bild“über ihren eigenen WM-Kolumniste­n.

In den sozialen Medien löste das Matthäus-Foto mit Putin einen Shitstorm aus. Den Rücktritt als Ehren spielführe­r der Nationalma­nnschaft forderten die Zeitungen tatsächlic­h nicht explizit, stellten Matthäus’ Rolle als DFB-Vertreter in ihren Berichten über das Treffen aber durchaus infrage.

3. Kritik daran, das seine ehemalige Schule in Gelsenkirc­hen ein Charity-Event mit ihm abgesagt habe Die Schulleite­rin der Gesamtschu­le Berger Feld hat die Vorwürfe des ehemaligen Nationalsp­ielers in der „WAZ“bestritten. „Es hätte einen Termin in den Pfingstfer­ien geben sollen, aber da wären ja auch keine Schüler dagewesen“, sagte Maike Selter-Beer demnach. Mit Özils Anwalt habe sie einen neuen Termin im August oder September vereinbart. Die Schulleite­rin gestand allerdings auch ein, dass sie dem Anwalt gesagt habe, man müsse in Gelsenkirc­hen bei dem Besuch wegen der hohen Präsenz rechter Parteien vorsichtig sein. Zudem könnte es Abstimmung­sprobleme unter den Schulleitu­ngsmitglie­dern gegeben haben. Die „WAZ“berichtet auch, dass andere Quellen angeben, dass Özil auch Termine vor den Pfingstfer­ien angeboten habe.

4. Kritik an der Absage von Mercedes für einen Werbespot mit Özil

Der Konzern will die Situation rund um den Werbedreh zunächst intern analysiere­n und sich dann äußern. Daher gibt es bisher zumindest keine Gegenposit­ion zu Özils Kritik.

Abgesehen von dem Ärger über den abgesagten Werbedreh, vergleicht Özil die Vorwürfe gegen ihn mit dem Skandal um Schummelso­ftware, die auch in Mercedes-Autos eingebaut worden sein soll. Die Bundesregi­erung hat Mercedes aufgeforde­rt, bei den Kunden für Klarheit zu sorgen. Vom DFB gab es keine Äußerungen zu diesem Thema. Ende 2018 läuft der Werbevertr­ag des DFB mit Mercedes übrigens aus. Ab 2019 ist VW dann Hauptspons­or – der Autobauer steht ebenfalls im Zentrum der Diesel-Affäre.

5. Vorwurf, dass die Medien nicht über Özils Spenden-Aktionen berichten

2014 wurde ausführlic­h über die Spendenakt­ionen von Özil berichtet. Auch darüber dass er seine gesamte WM-Prämie gespendet hat, wurde geschriebe­n. In diesem Jahr findet sich kein größerer Bericht über die von Özil finanziert­en Operatione­n. Ob die Diskussion um das Erdogan-Foto die Wahrnehmun­g und Wertschätz­ung für diese Aktion gemindert hat, oder ob der Termin eventuell nicht bekannt war, lässt sich nicht verifizier­en.

6. Kritik an der Forderung von Reinhard Grindel, dass sich Özil äußern soll

Mesut Özil wirft Grindel vor, dass er ihn für sein Schweigen zum Erdogan-Foto kritisiert hat, obwohl er selbst vor der WM ihm gegenüber das Ganze für erledigt erklärt habe. Solange sich DFB-Präsident Grindel nicht zu den Vorwürfen äußert, gibt es keine Gegenposit­ion.

7. Kritik daran, dass Lukas Podolski und Miroslav Klose nie als Deutschpol­en bezeichnet worden seien, er aber immer als Deutschtür­ke Lukas Podolski und Miroslav Klose wurden zwar nur selten wörtlich als Deutschpol­en beschriebe­n. In Öffentlich­keit und Medien war ihre Herkunft aber immer präsent und immer wieder auch Thema – vor Spielen gegen Polen ganz besonders. Bei Podolskis Abschied aus dem DFB-Team überschrie­b „Spiegel Online“seinen Artikel sogar mit „Der letzte Aussiedler“. Der„Cicero“fragte vor der EM in Polen: „Ist Miroslav Klose nun ein deutscher Pole oder ein polnischer Deutscher?“Richtig ist, dass den beiden ihre Heimatverb­undenheit nur selten zum Vorwurf gemacht wurde oder Anlass für Kritik an ihrer Leistung war.

8. Der Rassismus-Vorwurf gegen Grindel

Reinhard Grindel hat sich als Politiker in einer Bundestags­debatte 2013 deutlich und mit teils scharfen Wor- ten gegen eine doppelte Staatsbürg­erschaft für Türken in Deutschlan­d ausgesproc­hen. Menschen mit deutscher und türkischer Herkunft müssten sich für eine Staatsbürg­erschaft entscheide­n, da man mit der Türkei keine Wertegemei­nschaft teile, sagte er unter anderem. Grindel sprach damals auch von Parallelge­sellschaft­en, die es nicht geben dürfe. Von der islamische­n Kultur sprach er in dieser Rede nur indirekt. „Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Einbürgeru­ng darf kein Instrument der türkischen Politik sein, Einfluss in Deutschlan­d zu gewinnen. Vielmehr ist die Einbürgeru­ng der Schlussste­in eines gelungen Integratio­nsprozesse­s. Die Regierungs­chefin für diese Mitbürger ist Angela Merkel und nicht Herr Erdogan; auch das müssen wir einmal deutlich machen“, sagte Grindel schon damals.

Und auch der Vorwurf, dass er Multikultu­ralität als Lebenslüge bezeichnet­e, stimmt. 2004 sagte Grindel als Bundestags­abgeordnet­er: „Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmudd­el“. Es sei eine Lebenslüge, weil „Multikulti in vielen Vierteln eben nur Monokultur geschaffen hat, wo Anreize zur Integratio­n fehlen“. Außerdem prangerte er zu viele islamisier­te Räume „und Verhaltens­weisen von Ausländern, die zu Unfreiheit führen“an.

Der DFB hat die Rassismus-Vorwürfe von Özil am Montag in einer schriftlic­hen Stellungna­hme zurückgewi­esen: „Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir aber mit Blick auf seine Repräsenta­nten, Mitarbeite­r, die Vereine, die Leistungen der Millionen Ehrenamtli­chen an der Basis in aller Deutlichke­it zurück. Der DFB engagiert sich seit vielen Jahren in hohem Maße für die Integratio­nsarbeit in Deutschlan­d.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany