Der Faktencheck zu Özils Generalabrechnung
Mesut Özil erhebt in seiner Rücktrittserklärung schwere Vorwürfe. Welche stimmen, welche lassen sich nicht nachvollziehen und welche sind schlichtweg falsch? Wir haben die Erklärung von Özil unter die Lupe genommen.
DÜSSELDORF Medien, DFB-Präsident, Werbepartner – in seiner Rücktrittserklärung rechnet Mesut Özil mit seinem Umfeld ab und erhebt schwere Vorwürfe. Wir haben die wichtigsten Punkte aus Özils Erklärung überprüft.
1. Pauschalkritik am Umgang mit ihm in „den Medien“
Welche Medien meint Özil, wenn er von rechter Propaganda schreibt? Seine Kritik scheint in Richtung „Bild“-Zeitung zu gehen. Dort durftenWM-Kolumnisten wie Stefan Effenberg oder Lothar Matthäus heftig und sehr persönlich über Özil schimpfen und ihn als Spieler und Mensch kritisieren. Viele Äußerungen waren geschmacklos, der Vorwurf der rechten Propaganda geht dennoch zu weit.
Es stimmt, dass einige Medien ihre Artikel oder Social-Media-Postings zum WM-Aus der deutschen Mannschaft mit einem Foto von Mesut Özil bebilderten. Einem Spieler, der im Gegensatz zu einigen Mitspielern gute Zweikampfwerte und Passquoten im Spiel gegen Südkorea vorweisen konnte. Die „FAZ“titelte „Der deutsche Untergang“und zeigte ein Bild von Özil, „Bild.de“postete ein Foto von Özil unter dem stand „Peinlicher Auftritt“.
Außerdem erschien in der „Bild“nach dem WM-Aus der Nationalmannschaft die Schlagzeile „Özil – 2x Ärger und sonst nix“. Damit bezog sich die Zeitung auf das Erdogan-Foto sowie den Streit zwischen Özil und einem Fan nach dem Spiel gegen Südkorea. Der Fan hatte Özil rassistisch beleidigt.
Ebenfalls richtig ist, dass viele Medien in ihren Analysen und Kommentaren thematisierten, ob die Affäre um das Erdogan-Foto einen Einfluss auf die Leistung der Nationalmannschaft hatte. Eine pauschale Medienschelte ist aber unangebracht. Nachdem DFB-Manager Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel Özil zum Sündenbock machten, sprangen ihm zahlreich Medien zur Seite. „Mesut Özil ist nicht Deutschlands Staatsfeind Nummer 1“, schrieb zum Beispiel die„Welt“.„Wie der DFB Stimmung gegen Mesut Özil macht – und seine Glaubwürdigkeit riskiert“, kommentierte „Bento“.
2. Vorwurf, dass das Matthäus-Foto mit Wladimir Putin nicht ebenso kritisiert wurde
DieVorwürfe sind falsch. Wieder kritisiert Özil alle Medien, auch wenn er immerhin die Einschränkung macht, Lothar Matthäus habe für sein Foto mit Putin „fast keine Kritik bekommen“. Tatsächlich wurde der Weltmeister von 1990 scharf kritisiert. Die„ T Z“hat sogar in Bezug auf die Erdogan-Affä rege schrieben :„ Matthäus’ Verhalten ist genauso hart zu verurteilen, wenn nicht härter.“Als Vorbild könne Matthäus nicht dienen. „Matthäus sollte keine blutigen Hände schütteln“, schrieb die „Bild“über ihren eigenen WM-Kolumnisten.
In den sozialen Medien löste das Matthäus-Foto mit Putin einen Shitstorm aus. Den Rücktritt als Ehren spielführer der Nationalmannschaft forderten die Zeitungen tatsächlich nicht explizit, stellten Matthäus’ Rolle als DFB-Vertreter in ihren Berichten über das Treffen aber durchaus infrage.
3. Kritik daran, das seine ehemalige Schule in Gelsenkirchen ein Charity-Event mit ihm abgesagt habe Die Schulleiterin der Gesamtschule Berger Feld hat die Vorwürfe des ehemaligen Nationalspielers in der „WAZ“bestritten. „Es hätte einen Termin in den Pfingstferien geben sollen, aber da wären ja auch keine Schüler dagewesen“, sagte Maike Selter-Beer demnach. Mit Özils Anwalt habe sie einen neuen Termin im August oder September vereinbart. Die Schulleiterin gestand allerdings auch ein, dass sie dem Anwalt gesagt habe, man müsse in Gelsenkirchen bei dem Besuch wegen der hohen Präsenz rechter Parteien vorsichtig sein. Zudem könnte es Abstimmungsprobleme unter den Schulleitungsmitgliedern gegeben haben. Die „WAZ“berichtet auch, dass andere Quellen angeben, dass Özil auch Termine vor den Pfingstferien angeboten habe.
4. Kritik an der Absage von Mercedes für einen Werbespot mit Özil
Der Konzern will die Situation rund um den Werbedreh zunächst intern analysieren und sich dann äußern. Daher gibt es bisher zumindest keine Gegenposition zu Özils Kritik.
Abgesehen von dem Ärger über den abgesagten Werbedreh, vergleicht Özil die Vorwürfe gegen ihn mit dem Skandal um Schummelsoftware, die auch in Mercedes-Autos eingebaut worden sein soll. Die Bundesregierung hat Mercedes aufgefordert, bei den Kunden für Klarheit zu sorgen. Vom DFB gab es keine Äußerungen zu diesem Thema. Ende 2018 läuft der Werbevertrag des DFB mit Mercedes übrigens aus. Ab 2019 ist VW dann Hauptsponsor – der Autobauer steht ebenfalls im Zentrum der Diesel-Affäre.
5. Vorwurf, dass die Medien nicht über Özils Spenden-Aktionen berichten
2014 wurde ausführlich über die Spendenaktionen von Özil berichtet. Auch darüber dass er seine gesamte WM-Prämie gespendet hat, wurde geschrieben. In diesem Jahr findet sich kein größerer Bericht über die von Özil finanzierten Operationen. Ob die Diskussion um das Erdogan-Foto die Wahrnehmung und Wertschätzung für diese Aktion gemindert hat, oder ob der Termin eventuell nicht bekannt war, lässt sich nicht verifizieren.
6. Kritik an der Forderung von Reinhard Grindel, dass sich Özil äußern soll
Mesut Özil wirft Grindel vor, dass er ihn für sein Schweigen zum Erdogan-Foto kritisiert hat, obwohl er selbst vor der WM ihm gegenüber das Ganze für erledigt erklärt habe. Solange sich DFB-Präsident Grindel nicht zu den Vorwürfen äußert, gibt es keine Gegenposition.
7. Kritik daran, dass Lukas Podolski und Miroslav Klose nie als Deutschpolen bezeichnet worden seien, er aber immer als Deutschtürke Lukas Podolski und Miroslav Klose wurden zwar nur selten wörtlich als Deutschpolen beschrieben. In Öffentlichkeit und Medien war ihre Herkunft aber immer präsent und immer wieder auch Thema – vor Spielen gegen Polen ganz besonders. Bei Podolskis Abschied aus dem DFB-Team überschrieb „Spiegel Online“seinen Artikel sogar mit „Der letzte Aussiedler“. Der„Cicero“fragte vor der EM in Polen: „Ist Miroslav Klose nun ein deutscher Pole oder ein polnischer Deutscher?“Richtig ist, dass den beiden ihre Heimatverbundenheit nur selten zum Vorwurf gemacht wurde oder Anlass für Kritik an ihrer Leistung war.
8. Der Rassismus-Vorwurf gegen Grindel
Reinhard Grindel hat sich als Politiker in einer Bundestagsdebatte 2013 deutlich und mit teils scharfen Wor- ten gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft für Türken in Deutschland ausgesprochen. Menschen mit deutscher und türkischer Herkunft müssten sich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden, da man mit der Türkei keine Wertegemeinschaft teile, sagte er unter anderem. Grindel sprach damals auch von Parallelgesellschaften, die es nicht geben dürfe. Von der islamischen Kultur sprach er in dieser Rede nur indirekt. „Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Einbürgerung darf kein Instrument der türkischen Politik sein, Einfluss in Deutschland zu gewinnen. Vielmehr ist die Einbürgerung der Schlussstein eines gelungen Integrationsprozesses. Die Regierungschefin für diese Mitbürger ist Angela Merkel und nicht Herr Erdogan; auch das müssen wir einmal deutlich machen“, sagte Grindel schon damals.
Und auch der Vorwurf, dass er Multikulturalität als Lebenslüge bezeichnete, stimmt. 2004 sagte Grindel als Bundestagsabgeordneter: „Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel“. Es sei eine Lebenslüge, weil „Multikulti in vielen Vierteln eben nur Monokultur geschaffen hat, wo Anreize zur Integration fehlen“. Außerdem prangerte er zu viele islamisierte Räume „und Verhaltensweisen von Ausländern, die zu Unfreiheit führen“an.
Der DFB hat die Rassismus-Vorwürfe von Özil am Montag in einer schriftlichen Stellungnahme zurückgewiesen: „Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir aber mit Blick auf seine Repräsentanten, Mitarbeiter, die Vereine, die Leistungen der Millionen Ehrenamtlichen an der Basis in aller Deutlichkeit zurück. Der DFB engagiert sich seit vielen Jahren in hohem Maße für die Integrationsarbeit in Deutschland.“