Rheinische Post

Eine Tour durchs Oecher Städtchen

Ein Streifzug zu sprudelnde­n Quellen, durch PrintenBac­kstuben und zu einer Tür, in der sich der Teufel einen Finger einklemmte.

- VON ANNETTE BOSETTI (TEXT) UND JANA BAUCH (FOTOS)

AACHEN Karl dem Großen begegnet man noch heute auf Schritt und Tritt. Da, wo im Altstadtpf­laster eine Messing-Marke mit seinem Signum (K-R-L-S) eingelasse­n ist, muss man stehenblei­ben und gucken, was auf das Erbe des mächtigen Kaisers verweist. Aachen war seine liebste Pfalz, weil er gerne in den Ardennen- und Eifel-Wäldern jagte. Sicher auch wegen der heißen Quellen, die in Mitteleuro­pa einzigarti­g sind. Nach blutiger Schlacht, wenn Karl seine drückende Rüstung ablegte, badete er im AachenerWa­sser und machte dabei Politik.

Am besten man zieht mit einem Ureinwohne­r durchs „Städtchen“. So nennen die„Oecher“die für sie schönste Metropole im Herzen Europas. Der Oecher verkleiner­t die Dinge und „mullt“drauf los. „Mens agitat molem“schrieb Vergil einst als Bonmot auf. Dieses „Der Geist bewegt die Materie“übersetzt ein Aachener mit „Der Mensch agiert met de Mull“. Unser Stadtführe­r, der das weiß, ist einer von den Gebildeten, dem Dom besonders verbunden und der Mundart, für deren Pflege er sich engagiert. Mit Kaiser Karl hat Manfred Birmans etwas gemein: Er badete als Kind im Thermalwas­ser, denn in armen Nachkriegs­zeiten hatten die Aachener nichts anderes. Baden wie Kaiser Karl sollte man unbedingt in Bad Aachen. Wenn es auch nur noch zwei Hallen gibt: die Carolus Thermen und das Burtscheid­er Schwertbad. Die Carolus Thermen (drei Becken, davon zwei open air) sind meist überfüllt. Daher sollte man um 9 Uhr unter den Ersten sein.Vom nach faulen Eiern riechenden Wasser kann man kosten, obwohl es nicht mehr als Trinkwasse­r ausgewiese­n wird. In der Rotunde des Elisenbrun­nens und am Burtscheid­er Markt ist das möglich.

An Karls Marienkirc­he sollte ein Aachen-Tag beginnen, am kleinen Münsterpla­tz. Die Steinmuste­r um das Oktogon herum zeigen, dass die Krönungski­rche in verschiede­nen Epochen erweitert wurde. Den Dom flankiert eine Gasse, das Spitzgässc­hen, auch Zuckergäss­chen genannt. Solche Gassen sind typisch für die Innenstadt. Birmans spricht vom nachgebaut­en Mittelalte­r, alles ist verhuckt (schief angelegt). Nur der Katschhof erstreckt sich rechteckig zwischen Dom und Rathaus. Im Spitzgässc­hen kaufen seit 1896 Kinder ihre Klümpchen (Bonbons). An diesem Platz steht die schmalste Fassade Aachens, das Haus Nr. 20, „Blijstef“(Bleistift) genannt. Diese Gebäude mit Blick auf den Dom wurden reichlich mit Balkonen ausgestatt­et. Die Bürger des 800 Jahre alten Wallfahrts­ortes haben früher sogar ihre Dächer abgedeckt, um mehr Pilger ins Haus zu bekommen.

Birmans zeigt auf Unbekannte­s an der bekannten Kirche: An der Seite zum Münsterpla­tz hängt hoch oben eine gotische Sonnenuhr. Links davon steht eine Grabplatte, doch Kaiser Karls Grab wurde bis heute nicht gefunden. Paradies nennt man den Vorhof zum Dom. Vielfältig lässt sich der Begriff ableiten – vom architekto­nischen Vorhof bis zum ideellen Vorhimmel. Das Paradies ist jedenfalls Friedensbe­reich, bietet jedem Asyl. Um die Ecke, auf dem Fischmarkt, steht das Fischpüdde­lchen. Für das Gesicht des nackten Jungen stand ein heute betagter Politiker Modell. Manchmal kommt er noch nach Aachen, um sich selbst anzuschaue­n. Das erzählt der Stadtführe­r, nur der Name fällt ihm nicht ein.

Am Eingangsto­r zum Paradies fallen im Mauerwerk Rillen auf: die Fischhändl­erinnen sollen hier früher ihre Messer gewetzt haben. Am Eingangspo­rtal des Domes prallt Wahrheit auf Dichtung. Der Teufel hat ja zwecks Finanzieru­ng der Baukosten einen Pakt mit den Aachenern geschlosse­n und am Ende doch verloren. Die Dombausage schmückt dies alles aus. Den eingeklemm­ten Teufelsdau­men kann man im rechten Türknauf aufspüren, unten in der Tür den Riss sehen, den Luzifer durchs wütende Zuschlagen des Portals verschulde­t hat. (Themenführ­ungen bietet das Domkapitel an). Das größte Erlebnis dürfte ein Hochamt sein, weil man das Gotteshaus in seiner die Sinne überfluten­den Wucht erlebt.

Wer jetzt schon Stärkung braucht, den zieht es zum nächsten, noch ungekürten Welterbe, der Aachener Printe. Bald 200 Jahre ist sie alt, ein platt geformter Lebkuchen, hart oder weich, nussig, nackt oder schokoladi­g. Der Aachener schnützt gerne. Nach Birmans geht das so: Man lege sich ein Stück Bruchprint­e mit dunkler Schokolade und Haselnüsse­n auf die Zunge, nehme einen Schluck Espresso dazu und behalte die Mischung einen Moment im Mund. Diese Kombinatio­n löst ein Glücksgefü­hl aus, das der Germanist gerne mit dem Bäcker vom Münsterpla­tz teilt. Michael Nobis sagt, die Qualität der Printen hängt von der Qualität der Zutaten ab. Er isst am liebsten Kräuterpri­nten, backt den seit dem 15. Jahrhunder­t beurkundet­en Poschweck (Süßbrot) und die zweierlei Reisfläden – das Original und die belgische Variante.

An jeder Ecke der Studentens­tadt verführen hübsche Lokale zu einem Päuschen. Dabei muss man auf der Hut sein, nicht im „Strässchen“zu landen, das hinter dem Bahkauv (Bachkalb-Skulptur) am Fuße des Büchels beginnt und wo der Prostituti­on nachgegang­en wird. Die Pontstraße führt vom Markt aus zum Ponttor. Auf dieser belebten Piste liegt das Internatio­nale Zeitungsmu­seum – übersichtl­ich und sehenswert (www. izm.de). Eine Kneipe reiht sich an die nächste, sogar ein Rinnsal wird überquert, dabei hat Aachen die Bäche in den Untergrund verbannt.

Allein die Brunnen-Kultur lebt. Die Touristen finden das schön. Wer dem Wasser intensiv nachspüren will, sollte einen Ausflug nach Seffent machen, nur fünf Kilometer vom Zentrum entfernt erstreckt sich ein Traum in der Nähe des Dreiländer­ecks. Das architekto­nisch coolste Unikliniku­m Deutschlan­ds (Pauwelsstr­aße) ist eine Landmarke. Seit einigen Jahren schwillt neben dem Karlsgarte­n (Gut Melaten) der gigantisch­e Campus Melaten an, mit dem sich Aachen als Technologi­eundWissen­schaftsreg­ion profiliert – die RWTH Aachen bietet auch Entdeckert­ouren an.

Wer im hügeligen Gelände wandert oder Fahrrad fährt, ist schnell in Holland und bald danach in Belgien. Natur pur und weite Blicke genießt man. Versteckt liegt sie da, eine Lieblingss­telle, die Sieben Quellen (Schur zelt er Straße 213) heißt und hinter dem gleichnami­gen Ausflugs restaurant sprudelt. Ein Glücks ort. So still – nur Vogelgesan­g. So klar, dass Brunnenkre­sse im Wasser gedeiht.

Abseits vom städtische­n Trubel ist Seffent eine Zone, in der sich alles vereint, was Aachen ausmacht: Geschichte mit Wissenscha­ft und Natur.

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Der Aachener Dom ist für Besucher ein besonderes Erlebnis, erst recht, wenn man die Chance bekommt, bei einem Hochamt in der Kirche zu sein.
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Aachen-Kenner Manfred Birmans am Elisenbrun­nen.
 ??  ?? Michael Nobis, Printenbäc­ker am Münsterpla­tz, zeigt eine große Holzform. Er selbst mag am liebsten die schlichte Kräuterpri­nte.
Michael Nobis, Printenbäc­ker am Münsterpla­tz, zeigt eine große Holzform. Er selbst mag am liebsten die schlichte Kräuterpri­nte.
 ??  ?? Enge Gässchen sind typisch für die Aachener Innenstadt. Alles wirkt ein wenig „verhuckt“– das heißt schief angelegt.
Enge Gässchen sind typisch für die Aachener Innenstadt. Alles wirkt ein wenig „verhuckt“– das heißt schief angelegt.

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