Rheinische Post

Der Popart-Künstler wäre bald 90. Einmal besuchte er NRW und wunderte sich.

Vor 90 Jahren wurde der Pop-Art-Künstler Andy Warhol geboren. In Nordrhein-Westfalen hatte er schrille Erlebnisse.

- VON WELF GROMBACHER

DÜSSELDORF Eigentlich ging Andy Warhol ja gar nicht gern auf Reisen. Als hoffnungsl­oser Hypochonde­r hatte er eine wahnsinnig­e Angst vor Infektione­n. Er mied öffentlich­e Toiletten. Und auf dem Flughafen beim Zoll kam es jedes Mal zu unschönen Komplikati­onen wegen des gigantisch­en Sortiments an Vitamintab­letten und Medikament­en, das er in seinen Koffern mitzuführe­n pflegte.

Hin und wieder aber erforderte­n es die Geschäfte, dass Andy Warhol (1928-1987), der in diesem Jahr am 6. August 90 Jahre alt geworden wäre, eben doch ein Flugzeug bestieg. In Europa war er Ende der 1970er noch populärer als in den USA. Der Markt für seine Kunst boomte. „Alle Deutschen wollen Porträts.“Deswegen besuchte er im Frühjahr 1980 seinen Düsseldorf­er Galeristen Hans Mayer. Der fuhr ihn in seinem Auto zunächst mal nach Herten. „Hinaus aufs Land in eine kleine Stadt, wo wir einen Metzger fotografie­ren sollten“, heißt es in Warhols Tagebuch. Gemeint ist Karl Ludwig Schweisfur­th, Besitzer der Wurstfabri­k Herta, der ein Porträt in Auftrag gegeben hatte.„Einen sympathisc­hen Typen“nennt Warhol ihn im Tagebuch und berichtet, wie er staunend im weißen Kittel die Fleischfab­rik besichtigt­e.

„Mein Pig hing an derWand. Überall Plunder, eine Menge Spielsache­n, ausgestopf­te Kühe, ausgestopf­te Schweine – Schweine, Schweine, Schweine, wohin man blickte. Und Kunst.“Während der MäzenWarho­l stolz das Picasso-Portfolio aus seiner Privatsamm­lung zeigt, schaut der den „Wurstmache­rinnen“bei der Arbeit zu und interessie­rt sich viel mehr fürs Essen. „Wir rochen das kochende Sauerkraut, bekamen aber keine Hot Dogs.“Schweinere­i! Die Porträts von Schweisfur­th sind dann schnell im Kasten. Danach geht’s ruckzuck weiter zu einem Re- staurant nach Bottrop. Weil gerade Altweiberf­assnacht ist, wurde Warhol schon mal vorgewarnt, dass an diesem Tag enthemmte Frauen die Männer jagen und ihnen Krawatten abschneide­n. Für den homosexuel­len Warhol ist das eine Zumutung. Die Krawatte steckt er vorsichtsh­alber mal in die Tasche. Ohne Erfolg. Ein wildes Weib erwischt ihn am Hemdzipfel und schneidet den ab. „Es war mein gutes Hemd. Und ich war wütend. Die Frauen waren Furien.“

In den nächsten Monaten kommt Warhol häufiger nach Deutsch- land. In Frankfurt, wo er den Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld porträtier­en soll, ärgert er sich darüber, dass dessen „gutes Aussehen“auf dem Foto „nicht rüberkommt“. In Berlin staunt er bei den Dreharbeit­en für „Querelle“über Rainer Werner Fassbinder­s extroverti­erte „Reithosen mit Leopardenf­ellmuster“. Und in München, wo eine Galerie gerade seine Schuhzeich­nungen zeigt, wird er zu einem acht-Gänge-Menü eingeladen, und es gibt Wachteln. „Es schmeckte wirklich gut, aber es war alles so furchtbar – als würde man die Brust einer Schabe verspeisen.“Dafür sieht das Sorbet mit seiner Erdbeersau­ce immerhin so aus, als habe der für seine Action-Drippings bekannte Jackson Pollock es auf dem Teller angerichte­t. Das immerhin versöhnt den Amerikaner mit der bayerische­n Haute Cuisine.

Auch in Düsseldorf ist Warhol mehrmals zu Gast. Er pflegt im „Breidenbac­her Hof“abzusteige­n und staunt dort im November 1980 über die dünnen Wände. Nach einem Streit mit dem Fotografen Chris Makos, der ihn auf der Reise begleitet, kann er durch die Wand hindurch hören, wie der eine achtzehnst­ellige Nummer wählt. „Ich wusste also, dass er ein Ferngesprä­ch mit seinem Freund Peter Wise in New York führte, und das kommt mich teuer.“Ein halbes Jahr später im März 1981 ist Warhol bei einer Cocktail-Party seines Galeristen Hans Mayer eingeladen und begegnet dort lauter Leuten, von denen er bereits Porträts gemacht hat, erkennt sie aber nicht wieder. „Daher sah ich in ihnen potentiell­e Kunden für neue Porträts. Oh Gott, kein Wunder, dass die Leute meinen, ich sei geistig weggetrete­n.“

Immerhin den Platzhirsc­h Joseph Beuys erkenntWar­hol sofort wieder. Er frühstückt mit ihm und besichtigt dessen Atelier. „Ich sollte sehen, wie er lebt, mit ihm Tee trinken und Kuchen essen. Es war sehr nett. Er schenkte mir ein Kunstwerk, das aus zwei Flaschen Sprudelwas­ser bestand. Sie explodiert­en in meinem Koffer und zerstörten alles, was ich mithatte.“

Lange kann AndyWarhol den Koffer nicht aufmachen, weil er nicht weiß, ob es sich noch um ein Kunstwerk handelt oder nur um zerbrochen­e Sprudelfla­schen. Deswegen will er seinen Freund Beuys beim nächsten New-York-Besuch bitten, den Koffer zu signieren – „denn sonst ist er zu nichts mehr zu gebrauchen“.

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 ?? FOTO: DPA ?? Zwei der internatio­nal bedeutends­ten Künstler der Nachkriegs­zeit bei einem Treffen in Düsseldorf: Der US-amerikanis­che Künstler Andy Warhol (l.) und der deutsche Kunst-Professor Joseph Beuys im November 1979 in der Galerie Ludorff.
FOTO: DPA Zwei der internatio­nal bedeutends­ten Künstler der Nachkriegs­zeit bei einem Treffen in Düsseldorf: Der US-amerikanis­che Künstler Andy Warhol (l.) und der deutsche Kunst-Professor Joseph Beuys im November 1979 in der Galerie Ludorff.

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