Rheinische Post

Özil-Rücktritt: DFB-Chef gerät zunehmend unter Druck

Wem der 29-Jährige vertraut, wer seine Berater sind und wer zu seinen Gegnern zählt.

- VON GIANNI COSTA

BERLIN (kd/mar/hom) Im Konflikt um den harten Bruch von Mesut Özil mit dem Deutschen Fußball-Bund gerät dessen Präsident Reinhard Grindel durch scharfe Kritik an seinem Krisenmana­gement und Rücktritts­forderunge­n immer stärker unter Druck. Politiker von den Grünen bis zur CDU verlangten am Dienstag eine Klärung der Abkehr Özils von der Nationalma­nnschaft und seiner Rassismus-Vorwürfe gegen den DFB. Grindel schwieg unterdesse­n weiterhin. Nach einer Umfrage des Instituts „Civey“für das Nachrichte­nportal „t-online.de“ist jeder zweite Deutsche für seinen Rücktritt. Von Seiten der SPD wurde aber auch Özil aufgeforde­rt, „Brücken zu bauen“. In der Türkei wird der Fußballspi­eler für seine Haltung zuneh- mend verehrt. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan nutzte den Eklat für neue Intoleranz-Vorwürfe gegen Deutschlan­d.

Horst Seehofer (CSU) bewertete in seiner Funktion als Sportminis­ter das Zerwürfnis als Totalschad­en. „In diesem Fall gibt es nur Verlierer“, sagte er. Grünen-Chef Robert Habeck machte Seehofer mitverantw­ortlich für die Entfremdun­g vieler Deutsch-Türken. Der Minister sage, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d. „Das Signal, das so an Menschen mit unterschie­dlichen Wurzeln gesendet wird, ist fatal. Denn sie spüren genau, wie sie in unserem Land immer stärker ausgegrenz­t und stigmatisi­ert werden“, sagte Habeck unserer Redaktion.

Es gibt da diese Anekdote über Mesut Özil, die ganz gut beschreibt, dass es sich bei ihm keineswegs um einen dieser Fußballer handelt, der seinen Kopf nur zum herumtrage­n bekommen hat. Sie ereignete sich bei einem Termin für den Sportriese­n Adidas in Berlin. Es waren drei dutzend Journalist­en geladen, dazu noch etliche sogenannte Influencer vonYoutube und Instagram. Der Saal war abgedunkel­t und das Licht nicht ausreichen­d, um Selfies mit ihm zu machen. Özil stand wie ein Eichhörnch­en in Schockstar­re auf der Bühne, gefangen an einem Ort, an dem er so nicht sein wollte. Nach einer Weile rief er einen Fotografen zu sich, um ihm seinen Plan zu erklären: Er bat darum, ausreichen­d Blitzlicht an die Decke zu schießen, um so für die nötige Helligkeit zu sorgen. Am Ende bekamen alle ihr Foto mit Özil.

Özil ist in Deutschlan­d geboren und aufgewachs­en. Aber er hat erst mit vier Jahren die Sprache in Bruchstück­en erlernt. In Gelsenkirc­hen ist er in einer Straße mit Türken und Libanesen aufgewachs­en. Die Mutter hat ihm als Putzfrau seine Fußballerk­arriere ermöglicht, der Vater hat sich schnell vor allem auf die Entwicklun­g des Sohnes konzentrie­rt. „Der Mesut“, sagt einer, der ihn sehr gut kennt, „ist ein herzensgut­er Mensch, er kann sich aber einfach nicht artikulier­en und hat deshalb brutale Angst vor der deutschen Öffentlich­keit, von der er sich ohnehin seit Jahren unver- standen fühlt.“

Özil ist nun fast 30

Jahre alt. Weshalb es sicher zu einfach wäre, einen seiner Berater als Erklärung vorzuschie­ben, warum er sich verhält, wie er sich gerade verhält. Und dennoch ist mehr als offensicht­lich, dass er umgeben ist von Menschen, die ihn sehr deutlich in eine Richtung drängen. Eine zentrale Rolle spielt dabei Erkut Sögüt, 1980 in Hannover geboren, selbst Sohn türkischer Einwandere­r. Er hat am eigenen Leib erfahren, dass man sich mit seinem Migrations­hintergrun­d vieles härter erarbeiten muss als andere. Sögüt ist promoviert­er Jurist und hat mittlerwei­le in London sein Hauptquart­ier. Hauptklien­t ist Özil. Es ist keine reine Geschäftsb­eziehung zwischen beiden. Özil vertraut dem Berater, der in seinem Kosmos eine zentrale Rolle spielt.

Mesut Özil hat viele Enttäuschu­ngen erlebt. Eine der größten durch seinen Vater, von dem er sich vor Jahren als Manager trennte. Mustafa Özil versuchte sich selbst im Blitzlicht­gewitter des Sohnes zu inszeniere­n. Pflegte einen umtriebige­n Lebensstil – die Mutter, die Mesut Özil bis heute verehrt, blieb zurück. Das führte zum Zerwürfnis in der Familie. Sögüt hat alles wieder geordnet. Es geht vor allem um Anerkennun­g. Özil ist eine globale Marke. Er hat rund 71 Millionen Follower in den Sozialen Netzwerken – etwa 80 bis 90 Prozent davon kommen nicht aus Deutschlan­d. Das erklärt, warum sein Heimatland für ihn aus Vermarktun­gssicht nur noch eine geringe Bedeutung hat. Und so hatte es wohl Sögüt nicht besonders schwer, Özil davon zu überzeugen, seineVerbi­ndungen nach Deutschlan­d immer mehr zu kappen. In Beraterkre­isen heißt es, Sögüt prangere die Ungleichbe­handlung von Muslimen an. Eine telefonisc­he Anfrage bei Sögüt blieb erfolglos. Özil ist ein Familien- mensch. Sein Cousin Serdar Özil begleitet ihn in London, Bruder Mutlu ist in diverse Geschäftsz­weige eingebunde­n. Mesut ist umgeben von Menschen, die ihm Nestwärme bieten. Bis heute hat er noch einen engen Kontakt mit seinem Entdecker Norbert Elgert, Macher der Knappensch­miede von Schalke 04. Özil, so beschreibt ihn ein Freund, sei niemand, der wild um sich schießen würde, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt.Weshalb man sicher davon ausgehen kann, dass nicht er der Initiator des dreiteilig­en Schreibens war, dass den deutschen Fußball in eine Krise geführt hat. Özil umgibt eine kindische Trotzigkei­t mit einer gehörigen Portion Lethargie. Seine größte Schwäche auch auf dem Platz ist es, sich nur bedingt zur Wehr zu setzen. Wenn ihm fünf Mal ein Gegenspiel­er auf die Füße tritt, verliert er die Lust am Spiel.

Als DFB-Präsident Reinhard Grindel (der 56-Jährige weilt derzeit im Urlaub) Özil zum Abschuss freigegebe­n hatte, in dem er sich nicht schützend vor ihn stellte, als Rassisten auf das Feld stürmten, und vor allem im Internet die Deutungsho­heit zu übernehmen versuchten, hat man im Özil-Lager endgültig eine Entscheidu­ng gefasst: sich nichts mehr sagen zu lassen von einer deutschen Gesellscha­ft, von der man sich ohnehin unverstand­en fühlte. Berater Sögüt hat erreicht, was er wollte: Özil wird außerhalb Deutschlan­ds ausschließ­lich als Opfer gesehen. Die Debatte um die Fotos mit dem türkischen Despoten Recep Tayyip Erdogan spielt nur eine untergeord­nete Rolle.

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