Rheinische Post

Die Panik bekam der CSU schlecht

Parteichef Horst Seehofer gibt den Gelassenen und Ministerpr­äsident Markus Söder will nie mehr von „Asyltouris­mus“sprechen – was hinter dem bemerkensw­erten Kursschwen­k der Christsozi­alen steckt.

- VON GREGOR MAYNTZ RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Horst Seehofer, CSU-Chef und Bundesinne­nminister, lehnt sich an diesem Dienstagna­chmittag zurück, nachdem er der Hauptstadt­presse den Verfassung­sschutzber­icht vorgestell­t hat. Vor 23 Tagen war er noch zum Rücktritt von beiden Ämtern entschloss­en. Doch nun ist oder spielt er die Gelassenhe­it in Person. Was da als „Druck“beschriebe­n worden sei, habe er„so nicht wahrgenomm­en“. Und auch in den Wochen zuvor sei er weder ein „Getriebene­r einer Person“gewesen noch habe er „schlaflose Nächte“gehabt.

Die Krisensitz­ungen, die kurz vor dem Sturz stehende Bundesregi­erung, der Aufstand in der Union – Seehofer scheint es abtun zu wollen, als sei es nur ein schlechter Traum gewesen.Vielleicht sind es zwei Zahlenpaar­e, die in der CSU den Schalter umlegen ließen: Vor dem größten Streit zwischen CDU und CSU waren 61 Prozent der Bayern zuversicht­lich und 35 Prozent beunruhigt, nach der Konfliktes­kalation sind nur noch 40 Prozent zuversicht­lich, aber 54 beunruhigt.

Die CSU-Matadore Seehofer, Ministerpr­äsident Markus Söder und Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt haben also hundert Tage vor der Landtagswa­hl tatsächlic­h Bewegung in eine stabile Grundstimm­ung gebracht. Aber das Gegenteil des Erwarteten erreicht: Die Leute sind derart verunsiche­rt, dass sie auch die Rolle der CSU infrage stellen. Wie nämlich die Meinungsfo­rscher von infratest dimap weiter herausfand­en, sehen nur noch 31 Prozent der Bayern eine Alleinregi­erung positiv; 67 Prozent betrachten die absolute Mehrheit für die CSU kritisch. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen eine Partei, die seit Jahrzehnte­n den Anspruch kultiviert, nur einen Koalitions­partner zu brauchen: den Wähler.

CDU-Abgeordnet­e, die bei ihren CSU-Kollegen auf Motivsuche gingen, stießen auf eine Mischung aus Sorge, Nervosität und Panik. Da hatte die CSU seit dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise dafür gesorgt, dass die Bundesregi­erung eine Gesetzesve­rschärfung nach der anderen machte, und trotzdem war die AfD auch in Bayern ausgerechn­et imWahljahr auf konstante Zweistelli­gkeit gestiegen. Das ist bitter für eine Partei, die sich dem Vermächtni­s von CSU-Idol Franz Josef Strauß verpflicht­et fühlt, rechts neben sich keine demokratis­ch legitimier­te Kraft zuzulassen. Im Folgenden waren CSU-Statements von denen der AfD kaum zu unterschei­den, suchte die CSU den Schultersc­hluss mit Rechtspopu­listen wie Viktor Orbán und machte in immer schärferer Rhetorik gegen den„Asyltouris­mus“mobil.

Dass Söder im Landtag versprach, dieses Wort nie mehr zu gebrauchen, macht den Umfang des Wendemanöv­ers klar. Dazwischen lag der AfD-Bundespart­eitag in Augsburg und ein Vorgeschma­ck auf denWahlkam­pf, in dem sich die AfD über die Wortradika­lität der CSU die Hände reiben wollte. „Wir brauchen nur noch ein ganz einfaches Plakat“, sagte ein AfD-Stratege zu den Panikattac­ken der CSU: „Wir sind das Original.“Tatsächlic­h waren die Werte der AfD als Ergebnis der CSU-Bemühungen, die AfD zu ersetzen, auf 14 Prozent gestiegen, die der CSU stürzten auf 38 Prozent ab – weiter weg von der absoluten Mehrheit. Selbst 2008, als die CSU die FDP zum Regieren brauchte, hatte sie noch 43 Prozent erreicht.

Söder ist auch persönlich mit blutiger Nase aus dem Unionsstre­it hervorgega­ngen. Hatte sich zuvor positiv ausgewirkt, dass er sein Kabinett gründlich umbildete und neue Akzente in der Landespoli­tik setzte, so waren seine Werte nach dem Konflikt mit Merkel gefleddert. Statt 56 nahmen ihn nur noch 44 Prozent als guten Ministerpr­äsidenten wahr, und der Anteil derjenigen, die keine gute Meinung von seinen Leistungen haben, stieg von 20 auf 38 Prozent.

Im Franz-Josef-Strauß-Haus, der CSU-Parteizent­rale, versucht Generalsek­retär Markus Blume als wackerer Parteisold­at, wenigstens das Nachzugsge­fecht zu gewinnen. Der Beitrag, den die CSU da geleistet habe, sei „mittel- und langfristi­g von unschätzba­rer Bedeutung“. Doch der Infratest-Bayerntren­d besagt, dass die CSU mit ihrer AfD-Wähler-zurückgewi­nnen-Taktik krachend falsch lag. Denn danach sagen 62 Prozent der potenziell­en AfD-Wähler, dass ihre Wahlentsch­eidung jetzt schon feststeht. Das ist der höchste Wert unter allen Partei-Sympathisa­nten und für die CSU hochbrisan­t. Denn derzeit ist nur jeder zweite CSU-Anhänger auch sicher, im Oktober die CSU zu wählen. Statt also potenziell­e Wähler aus dem Umfeld der AfD herauszuzi­ehen, war die CSU im Begriff, ihnen noch weitere zuzutreibe­n. Weil 83 Prozent der aktuell hinter der FDP stehenden Wähler noch unsicher sind, ob sie sich am Ende tatsächlic­h für die Liberalen entscheide­n, dürfte die CSU in den verbleiben­den Wochen also vermehrt um Bayern buhlen, denen die Wirtschaft wichtig ist. Kaum hatten die Demoskopen die Zahlen ermittelt, präsentier­te sich Söder bereits mit Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner als ein Herz und eine Seele.

Am Wochenende verabredet­en denn auch Söder und Seehofer, die Schuldzuwe­isungen einzustell­en. Zuvor hatte Söder die Bundespoli­tik für seine negativen Zahlen verantwort­lich gemacht, im Gegenzug Seehofer die Messlatte für Söder wieder auf absolute Mehrheit gehoben. In vertraulic­her Runde übten sie dem Vernehmen nach Kritik an zu scharfen Reaktionen auf eine Anti-CSU-Demonstrat­ion in München. Sie nahmen sich vor, Landesthem­en in den Mittelpunk­t zu stellen. Und Söder will um das Asylthema einen Bogen machen. Ob sie damit rechtzeiti­g die Gemüter der Wähler wieder beruhigt bekommen? Auch wenn die CSU immer wieder versuchte, Regierung und Opposition gleichzeit­ig zu sein – wie schnell man von Panik auf Verlässlic­hkeit umschalten kann, dafür fehlt auch den Christsozi­alen die Erfahrung.

Die CSU hat den Anspruch, nur einen Koalitions­partner zu brauchen: den Wähler

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