Rheinische Post

„Heuchler, Sündenbock, Sprachrohr“

- VON THOMAS GRULKE, VERENA KENSBOCK UND MELINA LIETHMANN

Mesut Özil war als deutscher Nationalsp­ieler ein Symbol der Integratio­n. Nach seinem Rücktritt und der Abrechnung mit dem

DFB ist er nur das Symbol für die Zerrissenh­eit von Deutschtür­ken. Die Reaktionen von Migranten und Türkeistäm­migen zeigen, wie gespalten die Meinungen über das Verhalten des Fußballsta­rs sind. „Das ist ein vielschich­tiges Thema. Es dürfen durchaus zwei Herzen in Özils Brust schlagen. Das Problem ist aber, dass Erdogan kein demokratis­cher Präsident ist. Das Foto mit ihm war ein Fehler, den Özil hätte eingestehe­n müssen. Und er sollte mit seiner Kritik nun keinen Keil in die Gesellscha­ft treiben. Dass der DFB ihn nach der Weltmeiste­rschaft aber als Sündenbock auserkoren hat, ist genauso falsch.“Bünyamin Türkhan (35) aus Mönchengla­dbach „Ich glaube, dass Deutschlan­d toleranter ist, als Özil behauptet. Zu mir sind die Menschen sehr nett und die Deutschen sehr tolerant.“Koshnaf Sheikn Ahmad (21) aus Duisburg „Ich finde es nicht okay, dass alle auf Özil rumhacken. Ich bin selbst nicht für Erdogan, aber die Behandlung, die Özil erfährt, ist unfair. Er hat sich entschiede­n, für Deutschlan­d zu spielen, nicht für die Türkei, weil sein Herz für Deutschlan­d schlägt. Das sollte doch etwas heißen.“ aus Meerbusch „Ich kann Özil teilweise verstehen, aber er war nicht selbstkrit­isch genug. Das Foto mit Erdogan kurz vor der WM war ein Fehler. Er hätte die Reaktionen der Deutschen vorhersehe­n müssen. Aber das WM-Versagen war nicht seine Schuld.“Baris Kanik (27) aus Duisburg „ Jemand, der mit Erdogan ein Foto macht, hat nicht das Recht, wegen Rassismus rumzuheule­n. Das ist Heuchelei. Trotzdem ist man selbst bei guten Leistungen immer noch der Ausländer, Rassismus hört da nicht auf.“Seda Cetintas (23) aus Duisburg „Der Ärger über das Foto mit Erdogan war übertriebe­n. Ich hätte es wie Özil gemacht – er war unglücklic­h und ist deswegen zurückgetr­eten. Ich hätte von den Deutschen mehr Respekt gegenüber Özil erwartet. Er ist hier geboren, hat hier gelebt und für Deutsch

land gespielt.“Emre Ceylan (37) aus Duisburg „An Özils Vorwürfen ist schon etwas dran. Ausländer haben es manchmal schwerer in Deutschlan­d, zum Beispiel bei der Wohnungssu­che. Ich habe in Düsseldorf acht Monate gebraucht, um eine Wohnung zu finden. Und die habe ich schließlic­h nur über einen deutschen Kumpel bekommen. Manche Deutsche haben Angst vor mir, aber die Leute in meinem direkten Umfeld sind anders.“Khaled Alhomada (22) aus Düsseldorf „Ich finde, man sollte seine Haltung zum Erdogan-Foto akzeptiere­n, er hat es rein aus seiner kulturelle­n Herkunft heraus getan. Deswegen würde ich das nicht als einen Fehler betiteln. Dass er nach den wüsten Beleidigun­gen nun so reagiert hat, kann ich verstehen.“Oguzhan Kilicaslan (19) aus Düsseldorf „Özil hat mit seiner Kritik recht. Er hat als Fußballer das Foto mit Erdogan gemacht, das hat mit Politik nichts zu tun. Die deutschen Politiker und die Leute beim DFB sollten das nicht so eng sehen.“Mohamad Asif Sultani (48) aus Düsseldorf „Özil ist zum Sprachrohr einer großen Bevölkerun­gsgruppe geworden, indem er auf die Hetzkampag­ne gegen ihn reagiert hat. Wenn nicht ein erfolgreic­her Fußballer wie er die Stimme gegen rassistisc­hes Verhalten erhebt, wer dann? Wir sollten Özil dankbar dafür sein, dass er eine längst überfällig­e Auseinande­rsetzung mit Rassismus entfacht hat.“Duygu Disçi (27) aus Essen

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FOTOS: GRULKE, KENSBOCK, LIETHMANN, PRIVAT | GRAFIK: FERL
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