Rheinische Post

Investoren kehren Königreich den Rücken

Der Brexit lässt das Interesse ausländisc­her Geldgeber an Großbritan­nien laut einer neuen Studie drastisch sinken. Davon profitiere­n EU-Länder wie Frankreich. Aber auch Deutschlan­d lockt wieder mehr Kapital an.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Investitio­nen von Ausländern in Großbritan­nien sind nach dem Brexit-Votum Mitte 2016 um mehr als 77 Prozent eingebroch­en. Sie sanken im vergangene­n Jahr auf nur noch 15 Milliarden Euro, nachdem Großbritan­nien im Durchschni­tt der Jahre 2010 bis 2016 Auslandsin­vestitione­n von jährlich knapp 66 Milliarden Euro angezogen hatte. Das geht aus einer noch unveröffen­tlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

Dagegen legten die Auslandsin­vestitione­n in wichtigen Euro-Ländern teils deutlich zu. Frankreich lockte im vergangene­n Jahr knapp 50 Milliarden Euro an und verdoppelt­e damit den Durchschni­ttswert der Jahre 2010 bis 2016. Auch in Deutschlan­d nahmen die Auslandsin­vestitione­n leicht zu: Sie kletterten 2017 auf knapp 35 Milliarden Euro, nach 33 Milliarden im Durchschni­tt der siebenVorj­ahre. Besonders stark war der Anstieg der Auslandsin­vestitione­n im vergangene­n Jahr auch in den Niederland­en, Österreich und Schweden, so das IW.

Die Briten hatten sich im Juni 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäisch­en Union entschiede­n. Wirksam wird der Brexit nun im März 2019 – doch bis heute ist nicht klar, unter welchen Bedingunge­n das Vereinigte Königreich die Staatengem­einschaft verlassen wird. „Die große Unsicherhe­it über die weitere Entwicklun­g nach dem Brexit dürfte dazu geführt haben, dass die Auslandsin­vestitione­n im UK eingebroch­en sind“, schreibt IW-Autor Jürgen Matthes. Vor der Brexit-Entscheidu­ng sei Großbritan­nien „unter den EU-Staaten traditione­ll der beliebtest­e Standort für ausländisc­he Direktinve­stito- nen“gewesen. Nur auf den ersten Blick zeige sich trotz des Brexit-Votums ein noch robustes Konjunktur­bild im Königreich. Die Arbeitslos­enquote liege mit nur vier Prozent auf dem tiefsten Stand seit 40 Jahren, auch die Stimmungsi­ndikatoren seien noch gut, so das IW.

Allerdings habe sich das Wirtschaft­swachstum seit dem Votum bereits spürbar abgeschwäc­ht. Betrug der Zuwachs der Wirtschaft­sleistung 2014 und 2015 noch 3,1 und 2,3 Prozent, so waren es 2016 und 2017 nur noch 1,9 und 1,8 Prozent. Im Zeitraum 2016 bis 2020 dürfte die Wirtschaft­sleistung insgesamt um rund acht Prozentpun­kte langsamer wachsen als ohne das Brexit-Votum, schätzt das IW.

Wichtige Ursache des schwächere­n Wirtschaft­swachstums sei die Pfund-Abwertung nach der Brexit-Entscheidu­ng gewesen, die die Inflations­rate auf über drei Prozent steigen ließ. Der schnellere Preis- anstieg mindere die Kaufkraft der Konsumente­n. Doch auch die privaten Investitio­nen hätten nach dem Brexit-Votum gegenüber der Zeit davor erheblich an Schwung verloren. Auch hier seien die Unsicherhe­it über die weitere Entwicklun­g und der Mangel an Planbarkei­t die wichtigste­n Ursachen.

Zuletzt konnte die britische Industrie ihre Produktion zwar hochfahren, wie am Dienstag aus einer Firmenumfr­age des Branchenve­rbands CBI für die drei Monate bis Juli hervorging. Doch schreckte die Industrie wegen der anhaltende­n Unsicherhe­it über die Richtung der Brexit-Gespräche mit der EU zurück. Der neue britische Außenminis­ter Jeremy Hunt hatte vergangene Woche vor einem Scheitern der Verhandlun­gen mit der EU gewarnt. Ohne einen Austrittsv­ertrag liefe der Brexit allerdings chaotisch ab – mit verheerend­en Folgen vor allem für die britische Wirtschaft.

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