Die Insel der Enten
Erst kommen die Enten, dann die Touristen: Auf Lånan im Vega-Archipel vor der Küste Norwegens dreht sich alles um Eiderenten und deren wertvolle Daunen.
LÅNAN (dpa) Das Lachen kann sich Erik Nordum nicht verkneifen, als er auf die Reihe unscheinbarer Holzkisten zeigt. Die Verschläge im hohen Gras sind teils windschief und haben Dächer aus Wellblech, mit groben Feldsteinen beschwert – Bruthäuschen der Eiderenten.
So lange die Menschen auf Lånan sich erinnern können, folgen die Eiderenten Jahr für Jahr ihrem natürlichen Rhythmus: Um die Osterzeit flattern sie paarweise auf das Eiland kurz vor dem Nordpolarkreis. Die Weibchen schnatternd voran, die männlichen Enten, Erpel genannt, folgen. Die Entenpaare sind wählerisch bei ihrer Suche nach Brutplätzen: Holzverschläge, klein wie ein Umzugskarton oder so groß wie eine Hundehütte, für einzelne Entenpaare oder auch für einen Familienverbund mit bis zu 14 Entenpaaren. Die Menschen auf Lånan haben diese Nisthäuschen im März vorbereitet.
Darin bauen die Entenweibchen Nester aus Daunen, Muschelschalen, Steinchen und Pflanzen. Sie legen bis zu sechs Eier, die sie etwa 28 Tage lang ausbrüten. Sieben Wochen kümmern sich die Enteneltern um ihren Nachwuchs. Die Leute auf Lånan haben ein waches Auge auf die Entenfamilien. Seeadler und Nerze sind die natürlichen Feinde.
Um die Mittsommerzeit im Juni verlassen die Enten mit ihrem flugfähigen Nachwuchs die 800 Meter lange und 500 Meter breite felsige Insel imVega-Archipel, 30 Kilometer nordwestlich von Vega im Nordatlantik gelegen.„Rund 800 Enten hatten wir im vergangenen Jahr, die Population ist relativ stabil“, sagt Hildegunn Nordum, 61, die mit ihrer Familie seit Generationen mit und von den Eiderenten lebt.
Wegen dieser weit über 1000 Jahren bestehenden, einzigartigen Partnerschaft zwischen den wilden Eiderenten und den Menschen wurde das Vega-Archipel mit der Insel Lånan 2004 als erstes norwegisches Kulturlandschaftsgebiet in die Unesco-Liste des Natur- und Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.
Mit den Enten leben bedeutet: Die Nordums und ihre Helfer bauen für die gefiederten Inselgäste die Holzverschläge. Mal entsteht die Hütte aus dem Bug eines alten Fischerkahns, mal aus grobem Treibholz, hin und wieder aus neuen Fußbodenbrettern. „Die Eiderenten sind recht wählerisch. Manchmal dauert es zehn Jahre, bis ein neu gebautes Haus angenommen wird“, sagt Nordum, 59.Warum das so ist? Das weiß niemand auf Lånan zu sagen. Rätselhaft bleibt auch, weshalb manche Entenpaare zur Brutzeit ein Einfamilienhaus beziehen, andere aber die Gemeinschaft mit anderen En- ten bevorzugen.
Von den Enten leben heißt für die Nordums: Sobald diese im Frühsommer die Insel verlassen haben, werden die wertvollen Daunen aus den Nestern gesammelt und zu – im wahrsten Sinne des Wortes – federleichten Decken verarbeitet. 70 Entennester bringen rund ein Kilogramm Daunen, das ist eine Daunendecke.
Im Juli und August legt das Passagierschiff „Kingen“in Nes auf Vega zum Ausflug nach Lånan ab. Während der Wanderung vorbei an den Bruthäuschen berichten die Nordums von ihrem Leben mit den Eiderenten. Kaffee und Waffeln werden zum Abschluss der Tour in der Museumsscheune aufgetischt. Und natürlich gibt es auch Souvenirs zu kaufen: Mini-Enten aus Plüsch.
AufVega suchen die Besucher vergebens nach Eiderenten – und sind enttäuscht. „Schon in den 1920er Jahren sind die Enten hier verschwunden“, erzählt Tor-Kristian Lindrupsen, 34, vom Entenmuseum E-Huset. Damals seien amerikanische Nerze eingewandert, sie hätten den Bestand stark dezimiert.
Heutzutage bietet das E-Huset in Nes viele historische Bilder und Dokumente sowie Gerätschaften aus der Inselwelt vor der Küste Nordnorwegens. Ebenfalls lohnt der Besuch im Unesco-Welterbezentrum Lille Lånan (Klein Lånan), das Einblicke in die streng geschützte Tierund Pflanzenwelt der 6500 Schäreninseln vor der Helgolandküste gibt. Lediglich 80 der kleinen und kleinsten Inseln sind bewohnt, einige wie Lånan nur während der Sommermonate. Andere sind nur ein paar Quadratmeter groß, ragen als blanke Felsen aus dem Meer. Gefährliche Hindernisse für die Schifffahrt.
Vega ist die Hauptinsel des 1037 Quadratkilometer großen Archipels vor den beiden Küstenstädten Brønnøysund und Sandnessjøen, rund 900 Kilometer von Oslo entfernt. Nur etwas mehr als 1200 Einwohner leben hier. Milchbauern, Schweinezüchter, Fischer. Sie nehmen von Vega aus im Winter Kurs auf die Lofoten zum Kabeljaufang. Ein hartes und einsames Inselleben am Rand des Nordatlantiks, wo Fährschiffe die Verbindungen zum Festland sind.
Bis zum Jahr 2004, dem Jahr der Wende für Vega. „Mit der Ernennung zum Unesco-Weltkulturerbe im Juli 2004 wurden die Inseln auf einen Schlag bekannt“, berichtet Tourismuschefin Hilde Wika. Bis dahin verirrten sich pro Jahr gerade mal 5000 Urlauber vor allem während des Hochsommers in die Inselwelt. Im Jahr 2015 kamen bereits über 40.000 Touristen nach Vega. Tendenz steigend.
Auf Vega gibt es Übernachtungsmöglichkeiten in Privatzimmern und auf einem Campingplatz. Ehemalige Rorbu-Fischerhütten im kleinen Hafen von Nes bieten einigen Komfort.
Das „Havhotell“in
Viksås ist das einzige Hotel auf der
Insel und während der kurzen Sommersaison im Juli und August schon Wochen im Voraus ausgebucht.
„Insgesamt haben wir auf Vega etwas mehr als 400 Betten für die Übernachtungsgäste“, rechnetWika zusammen. Das soll auch erstmal so bleiben, Pläne für Hotelbauten gebe es derzeit nicht. Allenfalls einige B&B-Frühstückspensionen könne man sich zusätzlich vorstellen.
Massentourismus durch riesige Kreuzfahrtschiffe mit tausenden Passagieren wie im Geirangerfjord? „Das wollen wir hier nicht“, sagt Wika. Beiläufig erwähnt die 50-jährige Vegaerin dann doch, dass kleinere Kreuzfahrtdampfer mit etwa 200 Passagieren einige Male im Jahr bei Nes vor Anker gingen und die Besucher mit Tenderbooten für einige Stunden auf die Insel kämen.
Diesen Abstecher bietet auch das Ausflugsprogramm der Hurtigruten-Postschifflinie zwischen Mai und September. Bis zu 38 Teilnehmer kommen von Sandnessjøen mit dem Passagierboot „Kingen“nach Nes zum Entenmuseum E-Huset und Unesco-Zentrum.
Probleme bereiten die Touristen mit Wohnmobilen. Sie parken an den schönsten Plätzen Vegas, etwa an der steinigen Westküste von Sørneset mit fantastischem Ausblick auf den Sonnenuntergang und die vorgelagerte Felseninsel Søla, am schlickigen Strand bei Eidem oder an der einsamen Bucht Åkvika – und hinterlassen mitunter Müll.
Radfahren, Wandern, Hochseeangeln und Kajakfahren in der Welt der Schäreninseln, dafür bietet Vega reichlich Gelegenheiten. Alleine 18 gut ausgeschilderte Wanderrouten verschiedener, gekennzeichneter Schwierigkeitsgrade führen über die Insel. Das Faltblatt dazu gibt es imVega-Tourismusbüro neben dem Rathaus im Hauptort Gladstad.
Nur für durchtrainierte Wanderer ist die dreistündige Tour auf den 725 Meter aufragenden, markanten Gullsvågfallet-Gipfel mit Fernsehturm und Radarstation. Steil und steinig sind einige Passagen. Der mühsame Anstieg ist obligatorisch, denn die Kabinenseilbahn schwebt nur für die Techniker des Telenor-Unternehmens zum Gipfel. Wer sich die Bergtour nicht zutraut, der wandert vom Hafenort Nes aus entlang der Küste bis Hongset, mühelos in zwei Stunden hin und zurück. Die Strecke führt über Schafweiden.
Im Entenmuseum E-Huset hat Tor-Kristian Lindrupsen inzwischen seine Führung beendet und fragt: Wie teuer ist wohl eine Daunendecke von Lånan? Niemand kennt die richtige Antwort. Der Museumsleiter: „Ab etwa 4000 Euro aufwärts. Sie sollten jetzt anfangen, dafür zu sparen.“
Info Von Brønnøysund setzt man mit der Autofähre auf die Hauptinsel Vega über. Die Überfahrt dauert 50 Minuten.