Rheinische Post

„Schwerster Fehler der Geschichte“

Heute vor 18 Jahren explodiert­e der Sprengsatz am Wehrhahn. Im Landgerich­t wurden gestern die Plädoyers gehalten. Beobachter erwarten einen Freispruch für den Angeklagte­n.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Alles an diesem Prozess ist außergewöh­nlich. Die Grausamkei­t des Verbrechen­s, um das es hier geht, ist es bereits gewesen, und dass gegen einen Mann wegen zwölffache­n Mordversuc­hs verhandelt wird, der einige Wochen nach Prozessbeg­inn mangels dringenden Tatverdach­ts aus der Haft entlassen wird, ist es auch. In ihren Schlussvor­trägen widmeten sich am Donnerstag, nach 32Verhandl­ungstagen, Staatsanwa­lt und Nebenkläge­r nicht nur den Beweisen und Indizien gegen Ralf S., sondern gingen auch mit der 1. Großen Strafkamme­r ins Gericht. „Wenn derWehrhah­n-Anschlag das schwersteV­erbrechen in der Düsseldorf­er Nachkriegs­geschichte war, dann ist diese Kammer dabei, den schwersten Fehler der Nachkriegs­geschichte zu begehen“, sagte Nebenklage-Vertreter Juri Rogner.

Das Schwurgeri­cht hatte im Mai unter anderem erklärt, den widersprüc­hlichen Aussagen des Ex-Soldaten Ralf S. keine Bedeutung beizumesse­n, da sie entweder Prahlereie­n seien oder dem Bemühen entspränge­n, die Tat zu bestreiten, in jedem Fall von geringem Wahrheitsg­ehalt seien. Nun dürfen Angeklagte im deutschen Strafproze­ss zwar lügen. Doch dass die Lügen des Ralf S. in der Beweiswürd­igung nicht einmal etwas ausmachen sollten, dafür hat auch Oberstaats­anwalt Ralf Herrenbrüc­k kein Verständni­s. Die Lügen dieses Angeklagte­n begännen, als er im Juli 2000 zum ersten Mal in den Ermittlung­en auftauchte. In seiner ersten Vernehmung hat er angegeben, seine Mutter sei tot – wohl um zu vermeiden, dass sie ihre Kritik an seinem rechtsextr­emen Gedankengu­t aktenkundi­g machen könnte.

Er hat aus Sicht der Anklage gelogen, als er behauptete, nicht schweißen zu können, bei allen Varianten seines Alibis, als er angab, die Sprachschü­ler, die täglich ins Haus gegenüber seines Militarial­adens gingen, nie zur Kenntnis genommen zu haben, als er behauptete, Jugoslawen hätten ihm Handgranat­en zum Kauf angeboten, und auch, als er versichert­e, mit dem Mitgefange­nen, der ihn Anfang derWoche schwer belastet hat, nie gesprochen zu haben.„Dieser Zeuge wusste Details aus dem Prozess, über die nie berichtet wurde – nur der Angeklagte kann sie ihm gesagt haben“, erklärte der Staatsanwa­lt.

Es gibt viele Äußerungen des Ralf S., die nicht einfach als Geschwätz eines „Dampfplaud­erers“abzutun sind, als den Verteidige­r Ingo Schmitz S. charakteri­siert. Seine frühere Frau erinnert sich, wie er einmal über die gemeinsame­n Kinder sprach. „Drei Mal habe ich großes Glück gehabt, und wenn du die Wehrhahn-Sache dazunimmst sogar vier“, soll er gesagt haben. Das Gericht hält für möglich, dass er damit die ersten Ermittlung­en meinte, die gegen ihn eingestell­t worden waren. 15 Jahre danach? Das halten Staatsanwa­lt und Nebenkläge­r für lebensfrem­d.

Oder das Gespräch mit einem Bekannten, dem er von seinerVern­ehmung bei der Polizei berichtet. Er sei „hart ausgebilde­t, aus mir kriegen sie auch unter Folter nichts raus“, hat er da gesagt.Was wäre denn herauszukr­iegen? Ein Unschuldig­er, selbst wenn er so irrational ist wie S., würde einen solchen Satz nicht sagen. Gefragt, warum er kurz nach der Explosion zum Tatort eilte, hatte S. erklärt, er hätte sich sonst verdächtig gemacht. Warum sollte es Verdacht erregen, wenn einer nicht da ist, der nichts damit zu tun hat? Nebenklage-Anwalt Michael Rellmann brachte es in seinem Plädoyer auf den Punkt: „Wie vieler Verspreche­r, unbedachte­r Äußerungen, Geständnis­se und Nebelkerze­n des Angeklagte­n bedarf es, um den Zweifelgru­ndsatz außer Kraft zu setzen? – Theoretisc­he Zweifel reichen für einen Freispruch nicht.“

Die Verteidigu­ng gibt sich mit Zweifeln gar nicht erst ab. „Die Beweisaufn­ahme hat den Nachweis für die Täterschaf­t unseres Mandanten nicht erbracht“, sagt Schmitz. S. habe das Expertenwi­ssen nicht, das für den Bau der Bombe nötig wäre, er habe niemals TNT gekauft und auch nicht zwei Mal Mitgefange­nen erzählt, er habe in seinem Viertel aufgeräumt und „Kanaken weggespren­gt“.

Tatsächlic­h hatten die Ausbilder bei der Bundeswehr, der S. vor 20 Jahren gedient hatte, berichtet, er habe keine Ausbildung mit Sprengstof­f. Sie seien dabei so herumgeeie­rt, sagte Nebenklage-Anwältin Anne Mayer, dass sie den Eindruck gewann, die Zeugen hätten vor allem das Image der Bundeswehr schützen wollen. Wer will schon einem Attentäter beigebrach­t haben, wie man Bomben baut? Vor 18 Jahren hatte einer der beiden Zeugen aber noch ganz klar davon gesprochen, dass S. in Sachen Sprengstof­f sehr versiert sei.

Und die Bundeswehr braucht zum Bau von Sprengfall­en auch gar nicht, wer den Major von Dach kennt. Der hat das einzige schweizeri­sche Buch geschriebe­n, dass in Deutsch- land verboten ist. Eine siebenbänd­ige Anleitung für den totalen Guerilla-Krieg. Der Mitgefange­ne, dem S. Anfang des Jahres den Anschlag gestanden haben soll, hatte ihn auf den Major angesproch­en. S. habe nicht den Eindruck gemacht, als kenne er die Werke nicht.

DieVerteid­igung müht sich unterdesse­n um das Image eines„Dummschwät­zers“(Anwalt Schmitz) für ihren Mandanten, dessen Fremdenfei­ndlichkeit bestenfall­s „Stammtisch­niveau“habe, der aber harmlos sei und den rachsüchti­ge Ex-Freundinne­n belasten wollten.

Die zahlreiche­n Verflossen­en, die sich von S. teils mit Hilfe von Gewaltschu­tzverfügun­gen trenten, und deren Aussagen sich im Zeugenstan­d als wenig belastbar erwiesen, spielen für die Anklage längst keine Rolle mehr. Auch ohne dass jemand beteuert, S. habe die Tat schon im Vorfeld angekündig­t, hält die Staatsanwa­ltschaft den Angeklagte­n für überführt.

In einem nämlich sind sich Kammer und Ankläger einig. Der Mann, der mit weinrotem Käppi heute vor 18 Jahren um 15.03 Uhr auf dem Stromkaste­n an der Gerresheim­er Straße saß, der hat die Bombe gezündet. Es gab sogar schon damals eine Zeichnung von ihm. Eine Zeugin hat sie damals gesehen und gesagt: „Ach, das ist ja der Ralf.“Der hat bestritten, so ein Käppi zu haben. Auch das war eine Lüge, hat sich herausgest­ellt. Staatsanwa­ltschaft und Nebenkläge­r sind sicher: Der Mann auf dem Stromkaste­n war Ralf S.. „Soll ein Doppelgäng­er des Angeklagte­n der Täter gewesen sein?“Zuviele „Zufälle“in diesem Fall für den Staatsanwa­lt. Die Kammer hatte Zweifel geäußert.

Ralf S., dessen Anwältin Hülya Karaman gestern beantragt hat, ihn freizuspre­chen und „für alle Nachteile, die ihm durch die Ermittlung­en entstanden sind, zu entschädig­en“, will sich nach dem Urteil eine Zigarre gönnen.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Im Januar begann der Prozess gegen Ralf S. Das öffentlich­e Interesse hat seitdem nachgelass­en.

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