Rheinische Post

Das nächste Problem heißt Bayern

Seit 100 Tagen ist Andrea Nahles Vorsitzend­e der SPD. Sie hat eine Partei übernommen, die sich nach Erlösung sehnt. Was bedeutet: einfach mal wieder ein Wahlerfolg. Der aber ist nicht in Sicht, erst recht nicht im Freistaat.

- VON HOLGER MÖHLE

BAMBERG/FÜRTH Abteilung Attacke. Andrea Nahles ist aus ihrem Auto ausgestieg­en. Gleich bekommt Markus Söder den ersten Leberhaken. Irgendwie muss sich der Trend nach unten für die SPD doch stoppen lassen. Vielleicht mit Bier. Das hat im bayerische­n Wahlkampf noch immer geholfen. Aber ein Brauereibe­such steht erst am nächsten Tag an.

Dann eben verbal-radikal. Andrea Nahles ist seit einer Woche zurück aus dem Sardinien-Urlaub. Und jetzt gleich rein in den Vorwahlkam­pf. Im Herbst stehen zwei wichtige Landtagswa­hlen an – erst am 14. Oktober in Bayern, zwei Wochen später in Hessen. Die Aussichten: mäßig bis bescheiden.

An diesem Dienstag ist Nahles 100 Tage SPD-Bundesvors­itzende – als erste Frau in der Parteigesc­hichte. 155 Jahre hat es gedauert, bis es eine Frau an die Spitze der Sozialdemo­kratie geschafft hat, aber jetzt will Nahles doch alles richtig machen.

Also rein in die sozialdemo­kratische Problemzon­e, auf nach Bayern, wo die SPD bei 13 Prozent dümpelt, nur einen Prozentpun­kt vor der AfD. Nahles hat kaum den ersten Schritt auf dem Gelände des Aus- und Fortbildun­gszentrums der Bundespoli­zei in Bamberg gemacht, da legt sie schon los gegen die CSU und deren Spitzenman­n im Landtagswa­hlkampf, Ministerpr­äsident Markus Söder. Die CSU und ihre Flüchtling­spolitik, pfui Teufel, könne man so nicht durchgehen lassen. Söder, CSU-Chef Horst Seehofer und Co. pflegten einen Stil, der spalterisc­h wirke. Aber jetzt, im Lichte sinkender Umfragewer­te für die CSU bei gerade noch 38 Prozent, versuche der CSU-Kandidat eine Kurswende: „Jetzt frisst Markus Söder Kreide.“

Die Welt in Weiß und Blau, das muss die SPD in Bayern seit Jahrzehnte­n feststelle­n, mag keine roten Parteifahn­en, jedenfalls nicht großer Zahl. Ob Wiederaufb­ereitungsa­nlage Wackersdor­f, ob „Amigo“-Kumpanei oder späterer hausgemach­ter Königsmord an Parteichef Edmund Stoiber – die CSU regierte lange Zeit im Freistaat, als wäre dies ein Naturgeset­z. Bis die AfD kam. Die SPD durfte immer wieder mal hoffen, die CSU mit vereinten Kräften niederzuri­ngen: SPD plus Grüne plus Freie Wähler plus FDP. Es wurde nichts.

In München und anderen bayerische­n Großstädte­n ist der OB-Sitz zwar fest in SPD-Hand. Aber in der Fläche? Die SPD verkörpert für bayerische­s Lebensgefü­hl gemeinhin zu wenig Brauchtum, zu wenig Heimat, einfach zu wenig Lederhose. Jetzt versucht Natascha Kohnen, mittlerwei­le auch Parteivize im Bund, wenigstens ein achtbares Ergebnis einzufahre­n. Nahles hilft nach Kräften – gezielt auch in der Fläche, in kleinen und mittleren Städten. Sie verspricht zusätzlich­e Stellen für die Bundespoli­zei in Bamberg, sie besucht ein Ausbildung­szentrum von Siemens in Erlangen, ein Mehr-Generation­en-Haus in Fürth. Sicherheit, Digitales, Familie – irgendwie muss die SPD doch mal punkten.

Nahles hat die SPD an einem Tiefpunkt übernommen: 20,5 Prozent bei der Bundestags­wahl. Jetzt steht die Partei noch schlechter da. 18 Prozent im Bund, 13 Prozent in Bayern, 22 Prozent in Hessen (neun Punkte hinter der CDU). Die 48-Jährige aus der Eifel ist gewisserma­ßen die Trümmerfra­u der SPD. Irgendwie muss die Partei doch wieder aufzuricht­en sein. Nur wie? „Eine allein kann das nicht schaffen. Das müssen wir gemeinsam schaffen“, hatte sie den Delegierte­n im April zugerufen und umVertraue­n gebeten.

Nahles musste spätestens bei ihrer Wahl beim Bundespart­eitag in Wiesbaden erkennen, dass ihr die Herzen nicht zufliegen. 66,3 Prozent Zustimmung sind ein sehr beding- ter Vertrauens­beweis – erst recht bei ihrer Wahl zur Parteichef­in. Der Applaus in der Halle war artig, mehr nicht. Nahles bekam in Wiesbaden auch den Unmut darüber zu spüren, dass sie nach Abschluss des Koalitions­vertrags quasi im Vier-Augen-Prinzip versucht hatte, sich gemeinsam mit dem gescheiter­ten Kanzlerkan­didaten Martin Schulz Spitzenämt­er zuzuschanz­en.

Der Versuch scheiterte, weil die Basis aufbegehrt­e. Mit der Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange meldete sich tags darauf eine Gegenkandi­datin um den Parteivors­itz. Lange schaffte mit 27,6 Prozent einen Achtungser­folg.

Nahles ist vieles, aber kein neues Gesicht. Sie war Juso-Chefin, sie hat 2005 gegen den damaligen SPD-Chef Franz Münteferin­g geputscht, als sie gegen dessen Kandidat für den Posten des Generalsek­retärs, Kajo Wasserhöve­l, in einer Kampfabsti­mmung siegte, dann aber doch auf eine Kandidatur verzichtet­e. Münteferin­g trat daraufhin vom SPD-Vorsitz zurück. Manchen an der Basis ist Nahles zu wenig Erneuerung.„Ich kenne niemanden in der SPD, der für mich mehr den Typus des Apparatsch­iks verkörpert als Andrea Nahles“, ließ beispielsw­eise der Oberbürger­meister im sächsische­n Bautzen, Alexander Ahrens, unlängst wissen.

Nahles verfährt nach dem Motto: Lass die anderen reden. Sie will die SPD so aufstellen, dass die Partei Ende 2019 runderneue­rt in die nächste Wahlausein­andersetzu­ng im Bund gehen kann. Womöglich mit einer Kanzlerkan­didatin Nahles. Aber das sagt sie selbstrede­nd nicht. Nicht jetzt.

Nahles kehrt mit harter Hand. In der Bundestags­fraktion hat sie eine Art Schichtdie­nst mit Präsenzpfl­icht bei Debatten eingeführt. Die Historisch­e Kommission, die etwa die Geschichte der Arbeiterbe­wegung aufarbeite­t, löste sie auf. Für viele ein Unding. Doch wieder mit Basta?

Wie hatte sie sich an jenem 22. April den Delegierte­n in ihrer Bewerbungs­rede vorgestell­t? Sie, Andrea Nahles, die mit Tochter Ella in der Eifel lebe, sei vor 30 Jahren in die SPD eingetrete­n. „Katholisch, Arbeiterki­nd, Mädchen, Land – muss ich noch mehr sagen?“Sie muss. Viel mehr. Eine Partei wartet auf Erlösung. Messias? Nein, einfach eine Parteichef­in mit Wahlerfolg­en.

In Bamberg übrigens haben sie der SPD-Vorsitzend­en 155 Flaschen Bier geschenkt – in Anspielung auf 155 Jahre Parteigesc­hichte. Rot-Bier, versteht sich.

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FOTO: DPA Heute gibt’s Rigatoni: SPD-Chefin Andrea Nahles auf ihrer Sommerreis­e in der Kantine des Aus- und Fortbildun­gszentrums der Bundespoli­zei in Bamberg.

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