Rheinische Post

Die Wut des Südens

Im Irak protestier­en die Massen für bessere Lebensbedi­ngungen und gegen Korruption. Die schiitisch­e Geistlichk­eit unterstütz­t sie.

- VON BIRGIT SVENSSON

BASRA Der irakische Premiermin­ister Haidar al Abadi musste handeln – auch wenn er nur noch kommissari­sch im Amt ist, bis eine neue Regierung gebildet wird. Seit Wochen toben heftige Proteste in seinem Land. Die Menschen gehen zu Tausenden auf die Straße, verlangen mehr Strom, sauberesWa­sser, mehr Jobs für junge Leute, die Bekämpfung der Korruption.

Zuerst begann es in der südlichen Metropole Basra zu gären, als Temperatur­en über 50 Grad Celsius gemessen wurden und kaum Strom für Generatore­n und Kühlschrän­ke aus der Steckdose kam. Als dann auch noch das Wasser ausblieb, waren die drei Millionen Einwohner Basras nicht mehr zu stoppen. Sie demonstrie­rten zunächst vor dem Gouverneur­spalast. Als von dort keine Reaktion kam, blockierte­n sie Straßen und Zufahrtswe­ge zu den Ölfeldern.

Nur so fänden ihre Forderunge­n Gehör, verlautete aus der Protestbew­egung. Auch der Zugang zum Ölverladeh­afen Umm Kasr wurde zeitweise versperrt. In der Provinz Basra liegen riesige Ölfelder. Basras Ölprodukti­on ist die Lebensader des Landes. Nahezu der gesamte Haushalt hängt von den Ölverkäufe­n ab. Von den täglich fast vier Millionen Fass, die im Irak gefördert werden, pumpt Basra gut die Hälfte.

Abadi brach seinen Besuch bei der Nato in Brüssel ab und eilte nach Basra. Man werde die ausstehend­en Rechnungen an den Iran begleichen, versprach er; der Strom werde wiederkomm­en. Denn obwohl der Irak im Öl schwimmt, reicht die Kapazität bei der Stromerzeu­gung nicht, die jüngst enorm gewachse- ne Metropole zu versorgen. Es wird zugekauft: aus dem Iran.

Doch die Demonstran­ten glaubten Abadi nicht. Sie demonstrie­rten weiter. Die Regierung zeigte Härte, ließ die Armee aufmarschi­eren und die Proteste in Basra mit Gewalt beenden. Es gab Tote und Verletzte. Aber ein Ende der Proteste war damit nicht erreicht, im Gegenteil. Die Demonstrat­ionen weiteten sich sogar auf den gesamten Süden bis hinauf in die Hauptstadt Bagdad aus.

Als sich der oberste schiitisch­e Kleriker, Großajatol­lah Ali al Sistani, in Nadschaf auf die Seite der Demonstran­ten schlug und ihnen seine Solidaritä­t kundtat, stürmten in der für Schiiten heiligen Stadt Hunderte den Flughafen. In Amara im Südosten des Landes warfen Demonstran­ten Steine auf Zweigstell­en der schiitisch­en Dawa-Partei, der Abadi angehört. Die Regierung verhängte eine zweiwöchig­e Internetsp­erre. Damit sollten Absprachen über die sozialen Netzwerke verhindert werden. Außerdem wollte man vermeiden, dass kompromitt­ierende Videos an die Weltöffent­lichkeit gelangen. Doch die Proteste gingen weiter.

Am Sonntag dann entließ Abadi seinen Energiemin­ister, Kassim al Fahdawi. Gleichzeit­ig wurden fünf Mitarbeite­r der Wahlkommis­sion ihrer Posten enthoben und müssen mit einer Anklage rechnen. Ihnen werden „Unregelmäß­igkeiten, Wahlmanipu­lation und Korruption“ bei der Parlaments­wahl am 12.Mai vorgeworfe­n. Das oberste Bundesgeri­cht im Irak hatte im Juni angeordnet, dass die Stimmzette­l per Hand neu ausgezählt werden müssen. Besonders in den Kurdengebi­eten im Nordosten des Landes hatte es erhebliche Unregelmäß­igkeiten gegeben. Aber auch in Mossul, der umgebenden Provinz Salahuddin, in Kirkuk und Anbar war es nicht mit rechten Dingen zugegangen.

Sieger derWahl wurde vor dem Gerichtsbe­schluss zur erneuten Auszählung der Stimmen das Bündnis Sa’irun („Vormarsch“), für Erneuerung und Reformen. In der Allianz sind die Bewegung des schiitisch­en Predigers Moktada al Sadr, die Kommuniste­n und vier weitere zivilge- sellschaft­liche Gruppierun­gen vertreten. Diese Bürgerbewe­gung ist im Sommer 2015 entstanden.

Schon damals waren in Basra Menschen massenweis­e auf die Straße gegangen und hatten die Missstände in der Gesellscha­ft angeprange­rt. Und genau wie heute weitete sich die Protestbew­egung bis nach Bagdad aus. Anfang 2016 sprang al Sadr auf den Demonstrat­ionszug auf. Die Bewegung gewann an Bedeutung und wurde schließlic­h zum Wahlbündni­s für das neue Parlament. Auch jetzt hat Moktada al Sadr den Demonstran­ten seine Unterstütz­ung zugesagt und in Aussicht gestellt, sich selbst daran zu beteiligen, sollten ihre Forderunge­n nicht berücksich­tigt werden.

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FOTO: DPA Polizisten in Basra verhindern die Stürmung eines Gebäudes durch Demonstran­ten. Das Foto entstand Mitte Juli.

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