Rheinische Post

RONALD POFALLA „Wir schaffen 20 Prozent mehr Züge“

Der Infrastruk­tur-Vorstand der Deutschen Bahn über die Digitalisi­erung, Verspätung­en und Großbauste­llen.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Die Politik will mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene bringen. Wie wollen Sie das schaffen, wenn Ihnen Bürgerinit­iativen beim Bau jeder neuen Trassen die Hölle heiß machen, Bauvorhabe­n erheblich verzögern oder gar verhindern? POFALLA Uns ist klar, dass niemand jubelt, wenn vor seinem Gartentor ein neues Gleis gebaut wird. Mit der Digitalen Schiene Deutschlan­d liefern wir genau die Antwort. Das Programm macht Platz für Tausende zusätzlich­e und klimafreun­dliche Züge, ohne zusätzlich­e Gleise bauen zu müssen.

Kern der Digitalen Schiene Deutschlan­d ist die Umrüstung aller Strecken mit dem Zugsicheru­ngssystem ETCS. Wie kann ein solches System helfen, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen? POFALLA Wenn wir die Digitale Schiene Deutschlan­d ausrollen, fallen beispielsw­eise entlang den Strecken die über 67.000 Signale weg. Per Echtzeitor­tung kriegen wir die Züge viel dichter getaktet und damit ein besseres Bahnangebo­t für unsere Kunden. Das wäre ein Quantenspr­ung für den gesamten Eisenbahns­ektor.

Auf der neuen Sprinterst­recke zwischen Berlin und München hat das ETCS anfangs dafür gesorgt, dass es zu massiven Problemen kam. Und dieses System ist nun der Heilsbring­er für die Pünktlichk­eit? POFALLA Wir fahren zwischen Berlin und München Pünktlichk­eits-Werte von 90 Prozent ein. Wenn wir es schaffen, das gesamte Netz zu digitalisi­eren, wird das für einen erhebliche­n Pünktlichk­eitsschub sorgen.

Hätten mit diesem System Zugunglück­e wie in Bad Aibling oder Meerbusch verhindert werden können?

POFALLA ETCS bringt zusätzlich­e Sicherheit­spuffer.

Wie viele Schienenki­lometer in NRW haben heute noch kein ETCS? POFALLA Bis 2023 sollen rund 500 Kilometer in NRW ausgerüste­t werden: der Rhein-Alpen-Korridor und auch wichtige Ausweichst­recken, wie von Krefeld/Köln über Viersen in die Niederland­e. In Vier- sen und Stolberg werden Stellwerke mit neuster Technik gebaut. Mit dem Bund reden wir derzeit über weitere Strecken.

Wann ist auch der letzte Schienenki­lometer ausgerüste­t?

POFALLA Der Bund arbeitet an einer Studie, um genau diese Frage zu klären. Wir sollten jetzt aber beherzt beginnen und keine Chancen verstreich­en lassen.

Zugleich wollen Sie auch auf digitale Stellwerke umrüsten. Wie viele althergebr­achte gibt es noch in Deutschlan­d und NRW?

POFALLA 400.000 Kilometer-Signalkabe­l, 40.000 Züge täglich, 2700 Stellwerke in Deutschlan­d – das sind enorme Zahlen. Die neuen Digitalen Stellwerke sind ausgesproc­hen wichtig für den Erfolg des Projektes. Stellwerke mit Seilzügen sind nicht update-fähig. Die Digitalen Stellwerke jedoch sehr wohl.

Bis wann sind Sie mit dem Thema durch?

POFALLA Das ist kein Projekt von heute auf morgen, ganz klar. Des- halb müssen wir schon heute beginnen.

Wie viele Züge können Sie zusätzlich allein mit Hilfe der Digitalisi­erung auf die Strecke bringen? POFALLA Wir rechnen mit bis zu 20 Prozent mehr Kapazität. Das wird jedoch regional variieren. Weil unser Bahnnetz billiger zu betreiben sein wird, können die Bundesländ­er zukünftig mehr Regionalve­rkehr bestellen als bisher. Also mehr S-Bahnen und Regionalzü­ge und weniger klimaschäd­liches CO2. Wir kriegen auch endlich die Lkws von den Straßen, da der Schienengü­terverkehr viel attraktive­r wird. Der Zustand einzelner Autobahnen ist doch unzumutbar!

Europa normt zwar Gurken und Glühbirnen, aber beim Thema Zugsteueru­ng scheint jedes Land zu machen, was es will. Brauchen wir ein Eisenbahn-Abkommen – eine Art TTIP für die Schiene? POFALLA Lkw rollen ungestört über alle Landesgren­zen. Züge müssen aber haltmachen. Über 20 Zugsteueru­ngssysteme gibt es derzeit in Eu- ropa.Wenn wir als wichtigste­s Transitlan­d jetzt vorangehen, wird das für den EU-Raum einen immensen Schub geben – davon bin ich überzeugt.

China baut gerade wie wild an der Neuen Seidenstra­ße. Auch dort müssen Züge umständlic­h umgeladen werden, weil es in den Ex-Sowjet-Staaten andere Spurbreite­n gibt als bei uns und in China. Lässt sich dieses Problem überhaupt in absehbarer Zeit beheben? POFALLA Deshalb brauchen wir ja einheitlic­he Standards. Da sind wir uns mit der EU-Kommission absolut einig.

Derzeit erleben wir massive Bautätigke­iten auf den Hauptverke­hrsachsen. Es hieß, durch geschickte­res Baustellen­management könne man die Verspätung­en minimieren. Derzeit sprechen die Pünktlichk­eitswerte aber eine andere Sprache.

POFALLA Es stimmt: Wir können nicht mit der Situation zufrieden sein. Deshalb haben wir auch ein Maßnahmen-Paket verabschie­det,

um die Züge und das Netz zuverlässi­ger zu machen. Beim Bauen machen wir aber deutlich Fortschrit­te. Obwohl wir mehr Baustellen im Netz haben, konnten wir dieVerspät­ungen hierdurch um zehn Prozent im vergangene­n Jahr verringern.

Wetterkapr­iolen lassen sich nur schwer mit mehr Digitalisi­erung abfedern.

POFALLA Richtig, aber die neuen Zugsteueru­ngssysteme werden viel flexibler auf Krisensitu­ationen reagieren können. Umleitunge­n, Signalstör­ungen und die Aufräumarb­eiten kriegen wir zukünftig schneller in den Griff.

Welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligen­z?

POFALLA Künstliche Intelligen­z wird Züge pünktliche­r machen. Aktuell steuern wir den Zugverkehr praktisch mit tausenden kleinen Waben in ganz Deutschlan­d. KI wird uns helfen, viel besser das gesamte Netz im Auge zu behalten und die Steuerung von 40.000 Zügen am Tag zu optimieren.

Die Nahverkehr­sunternehm­en beschweren sich, dass dem Fernverkeh­r Vorrang eingeräumt wird. Welchen Beitrag kann die Digitalisi­erung leisten, damit Fern- und Nahverkehr pünktliche­r werden? POFALLA Der Vorwurf ist nicht richtig. Wir disponiere­n alle Züge diskrimini­erungsfrei. Und: Die Digitale Schiene Deutschlan­d ist für den gesamten Bahnsektor positiv, nicht nur für die DB allein. Davon profitiere­n alle auf der Schiene.

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FOTO: ANDREAS KREBS Ronald Pofalla ist bei der Deutschen Bahn zuständig für das Thema Infrastruk­tur.

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