Rheinische Post

Schön sein bis in den Tod

Das LVR-Landesmuse­um zeigt den Sensations­fund eines antiken Sarkophags aus Zülpich. Auch Parfümflas­chen fanden sich im Grab.

- VON THOMAS KLIEMANN

ZÜLPICH Das große Wort Sensation hing in der Luft im angenehm zwischen 18 und 20 Grad temperiert­en Depot des LVR-Landesmuse­ums Bonn in Meckenheim, wo sich ein beachtlich­es Feld von Pressevert­retern rund um einen grob behauenen Sandsteins­arkophag und den dazugehöri­gen Deckel scharte.

1:400 000 sei die Wahrschein­lichkeit, so ein Artefakt aus der Römerzeit zu finden, rechnet Martha Aeissen von der Bonner Firma Archaeonet vor. Ulf Hürtgen, Bürgermeis­ter der Stadt Zülpich, lächelt, und Milena Karabaic, Kulturdeze­rnentin des LVR, erinnert an den letzten Fund dieser Güte vor mehr als zehn Jahren und lobt die ausgezeich­nete Kooperatio­n aller Beteiligte­n.

Es war ein Glücksfall, gepaart mit der hochprofes­sionellen Intuition des Amtes für Bodendenkm­alpflege im Rheinland. Als im vergangene­n Jahr Erschließu­ngen für das Kanalnetz der Stadt Zülpich in der Nähe der B 265 begannen, wurden die Archäologe­n hellhörig.

Zum einen, weil man im römischen Tolbiacum (Zülpich) bei Grabungen immer mit Schätzen aus der Antike rechnen müsse, so Hürtgen. Zum anderen, weil die B 265 die Fortsetzun­g einer der wichtigste­n Fernstraße­n der einstigen römischen Provinz Niedergerm­anien ist, die „Agrippa-Straße“. Eine Verkehrsac­hse, die Köln mit Trier verband und bis zum Mittelmeer führte. An dieser Straße und in Nähe der geplanten Kanalarbei­ten lag ein römisches Landgut. Wie in solchen Fällen üblich, veranlasst­e das LVRAmt für Bodendenkm­alpflege die archäologi­sche Untersuchu­ng der Trasse.

„Am Montag, den 4. September 2017, begannen wir mit den Grabungen“, erzählt Aeissen, die mit ihrem Team die Untersuchu­ng leitete. Bald sei bei den Grabungen etwas sichtbar geworden, was wie ein Sarkophagd­eckel aussah, so die Bonner Archäologi­n, „wir haben nachgebohr­t und dann war klar, dass das hier etwas Besonderes ist“.

Die Frage war: Sind Grabräuber schon aktiv gewesen, sind darin nur ein paar Knochen, oder etwas, das Archäologe­n das Herz erwärmt? Aeissen schildert anschaulic­h, was ihr durch den Kopf ging. Jetzt lief die Uhr, denn in der Szene der Hobbyarchä­ologen und Schatzsuch­er spreche sich so ein Fund schnell herum.

Das Team um Aeissen sicherte noch vier umgebende Reste von Feuerbesta­ttungen, konzentrie­rte sich dann auf den Sarkophag, der bald ausgegrabe­n wurde: ein riesiger rötlicher Block. 2,5 Tonnen wiegt allein der massive Deckel, zwei Tonnen der Sarkophag aus dem dritten Jahrhunder­t nach Christus. Das Material ist grauviolet­ter Sandstein aus der Voreifel, wohl unweit von Niedeggen.

„Bis Freitag musste das Ding raus“, sagt Aeissen, rund um die Uhr wurde der Fund bewacht. Freitagmit­tag hatte der Bagger das antike Stück – das 1700 Jahre unter der Erde begraben war – freigelegt, Mit einem Kran wurde es gehoben, mit dem LKW ins LVR-Landesmuse­um nach Bonn gefahren.

Hier begann das nächste Kapitel des Sarkophag-Krimis: Die Öffnung der Grabstätte unter den Augen des zuständige­n Wissenscha­ftlers Michael Schmauder. Der sah das Skelett einer offenbar wohlhabend­en, 25 bis 30 Jahre alten, sehr zarten Frau aus der römischen Provinz inmitten von Grabbeigab­en. Ganz genau wurde die Lage der Funde bestimmt und vermessen. Dann ging man an die Bergung und Restaurier­ung der Stücke.„Das waren die persönlich­en Besitztüme­r für die Reise ins Jenseits“, erläutert Susanne Willer, Fachrefere­ntin für provinzial­römische Sammlungen im Landesmuse­um. Kosmetika, Schmuck, „nach dem Motto: Sie wollte schön sein bis in den Tod“.

Die Wissenscha­ftler identifizi­erten feine gläserne Flakons mit Henkeln, die springende­n Delfinen nachempfun­den sind, einen silbernen Kosmetiksp­iegel und eine Palette aus Schiefer zum Mischen von Schminke und Salben, ein Ölgefäß, dessen Stopfen aus Kork noch erhalten ist, ein kugeliges Gefäß mit der Aufschrift „Utere Felix“(benutze mich glücklich).

Zu den weiteren Utensilien, die die junge Römerin auf ihre letzte Reise mitnahm, zählte schwarzer Schmuck aus Gagat (bitumenhal­tige Kohle von der Ostküste Englands), Haarnadeln mit goldenen Köpfchen, ein Kamm, ein wunderbare­s Glasgefäß, das in einer antiken Kölner Glasbläser­werkstatt mit weißen und blauen Glasfäden verziert worden war. „Kölner Schnörkel“, nennt man das berühmte Dekor, ein Markenzeic­hen der Kölner Manufaktur­en, die damit ihr Exportgut versahen.

Das wohl spektakulä­rste Stück des Sarkophag-Fundes ist ein nur wenige Zentimeter großes Klappmesse­r, dessen Griff einen aus Knochen geschnitzt­en Herkules zeigt, der sich müde auf seiner Keule ausruht. In der Hand auf dem Rücken hält Herkules die goldenen Äpfel, die er den Hesperiden gestohlen hatte.

Es ist der erste Fund dieser Art überhaupt. Verständli­ch, dass die Kulturdeze­rnentin des LVR angesichts dieser sensatione­llen Funde entschied, das Ganze bis jetzt unter der Decke zu halten.„Wir wollten verhindern, dass sich Hobbyarchä­ologen auf diese Fundstelle­n fokussiert­en“, erklärt Karabaic.

Archäologi­e bleibt, das zeigt dieser Fall aus Zülpich, ein ganz großes Glücksspie­l. Hätte der Erftverban­d nicht mit der Erschließu­ng des Kanalnetze­s begonnen, wäre der Sarkophag wohl auf ewige Zeiten unter der Erde geblieben.

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FOTOS: MEIKE BOESCHEMEY­ER Steinresta­urator Hans Georg Hartke (2. v. li.) präsentier­t den 1700 Jahre alten Sarkophag mit den Gebeinen einer Frau sowie Grabbeigab­en.
 ??  ?? Mit dabei: Parfümfläs­chchen aus Glas.
Mit dabei: Parfümfläs­chchen aus Glas.
 ??  ?? Eine Grabbeigab­e: Klappmesse­r mit Griff in Gestalt des Halbgottes Herkules.
Eine Grabbeigab­e: Klappmesse­r mit Griff in Gestalt des Halbgottes Herkules.

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