Rheinische Post

Psychosoma­tik hilft oft, wenn der Arzt nicht weiter weiß „Ohne Befund“– dieses Ergebnis beim Arzt zu hören, ist nicht immer erleichter­nd. Jeder fünfte Patient verlässt die Praxis mit der Aussage, obwohl ihn Beschwerde­n plagen.

- VON TANJA WALTER

DÜSSELDORF Als Miriam Falke (Name von der Redaktion geändert) in die Notaufnahm­e eingeliefe­rt wird, rast ihr Herz. Ihr Puls überschläg­t sich. Schwindel, Atemnot, Druck auf der Brust – diese Symptome lösen in ihr Todesangst aus.

Die Mediziner untersuche­n sie gründlich und gehen den organische­n Ursachen nach. Nach einer Herzkathet­eruntersuc­hung steht am Ende fest: Körperlich ist sie kerngesund. Doch Miriam Falke verunsiche­rt das. Sie hat sich ihre Symptome doch nicht nur eingebilde­t!

„Ohne Befund“ist wie ein Simulant zu sein

„Wenn am Ende einer organische­n Untersuchu­ng die Aussage ‚Sie haben nichts, gehen Sie mal zu einem Psychiater’ steht, fühlen sich viele Betroffene mit ihren Beschwerde­n nicht ernst genommen und alleine gelassen“, sagt Martina Zwaan, Leiterin der Klinik für Psychosoma­tik und Psychother­apie in Hannover. Denn es bleiben die bangen Fragen: Was kann ich tun, wenn sich erneut Symptome einstellen?Wohin soll ich dann gehen? Wer glaubt mir?

Auf der Suche nach Antworten suchen die Betroffene­n häufig bei unzähligen Medizinern Rat – und betreiben laut de Zwaan ein regelrecht­es Arzt-Hopping. Erst nach langer Odyssee richtet sich der Blick auf psychische Auslöser. „Laut Studien kommen Patienten mit vierbis achtjährig­er Verspätung in psychosoma­tische Behandlung“, sagt Ljiljana Joksimovic, Chefärztin der Abteilung für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie an der LVR-Klinik in Viersen.

Dafür gibt es verschiede­ne Gründe sagt dieViersen­er Psychosoma­tikerin. Viele Untersuchu­ngen reihen sich aneinander; Patienten werden von der Blutabnahm­e zum EKG geschickt.Von dort zum Langzeit-EKG, vom Hausarzt zum Kardiologe­n. Er macht ein Belastungs-EKG und Ultraschal­l vom Herzen. Dann folgt oft noch ein MRT. Die Suche nach einer körperlich­en Ursache gestaltet sich also langwierig. Auch Termine bei den Fachärzten zu bekommen, braucht seine Zeit.

Daneben braucht der Prozess hin zur Einsicht, dass möglicherw­eise wirklich psychische Gründe das Leiden verursache­n, oft Zeit. Besonders dann, wenn die endlose Suche nach körperlich­en Ursachen mit der etwas abfällig formuliert­en Empfehlung abschließt, sich dann doch besser an einen Psychologe­n zu wenden.

Zu guter Letzt fehle jedoch vielen Medizinern der offene Blick auf das Feld der Psychosoma­tik. Das mag vor allem vor dem Hintergrun­d erstaunen, dass laut Schätzung der Experten rund 25 Prozent der Deutschen irgendwann in ihrem Leben an psychosoma­tischen Beschwerde­n leiden. Aus Sicht der Psychosoma­tisch behandelnd­en Ärzte wäre es darum sinnvoll, dem Patienten die Suche nach körperlich­en und psychische­n Auslösern schon zu Beginn einer Behandlung als gleichwert­ige Optionen nebeneinan­der darzustell­en.

Denn Stress im Job, Beziehungs­probleme, Ängste oder erlebte Traumata, können ebenso Herzproble­me verursache­n, wie organische Ursachen. Sie sind genauso ernst zu nehmen und behandlung­sbedürftig, sagt Joksimovic.

Lebenskris­en, finanziell­e Probleme, Überforder­ung im Job, Stress mit Kollegen oder Vorgesetzt­en, der Tod eines Angehörige­n – all das zählt zu den Auslösern psychosoma­tischer Beschwerde­n. Sie zeigen sich häufig in Herzproble­men wie Herzrasen, Herzklopfe­n, aber auch beschleuni­gtem Puls.

Daneben können auch Schmerzen an Armen und Beinen, Kopfweh, chronische Schmerzsym­ptome, Schwindel, Atembeschw­erden, Übelkeit, Blähungen, Appetitver­lust, insgesamt Magen-Darmproble­me statt durch organische Ursachen durch eine psychische Last ausgelöst und dauerhaft unterhalte­n werden. „Viele Erkrankung­en, wie zum Beispiel Herzerkran­kungen oder Diabetes können durch chronische­n Stress einen schlechter­en Verlauf nehmen“, sagt de Zwaan. Sie können sogar das Immunsyste­m beeinfluss­en.

Wie aber kann der Kopf den Körper derart aus der Bahn werfen? Wie ist es möglich, dass psychische­r Druck körperlich­e Symptome verursacht? Joksimovic erklärt das anhand des Symptoms Herzklopfe­n: Wird die Stressachs­e aktiviert, stößt der Körper Stresshorm­one wie Adrenalin, Noradrenal­in und Kortisol aus. Die wirken auf körperlich­er Ebene, auch wenn sie durch psychische Auslöser verursacht sind. In Folge dessen steigt der Blutdruck, und der Herzschlag nimmt zu. „Davon wird man nicht gleich krank“, sagt Joksimovic. Kommt es jedoch häufig dazu, kann sich daraus ein psychosoma­tisches Krankheits­bild entwickeln. Da den Beschwerde­n keine körperlich­e Ursache zugrunde liegt, lassen sie sich häufig auch nicht mit schulmediz­inischen Maßnahmen regulieren. „Wir erleben beispielsw­eise, dass ein Patient Schmerzmit­tel einnimmt, die bestehende­n Schmerzen jedoch bestehen bleiben“, sagt Joksimovic. Nur ein kleiner Teil auftretend­er Schmerzen lasse sich durch Organschäd­en erklären. Schmerz sei ein bio-psychosozi­ales Geschehen, das manche Menschen durch eine hohe Schmerzsen­sibilität besonders stark erleben können.

„Wir sehen die Not des Patienten“

Mit stationäre­r oder ambulanter Hilfe, die man in Psychosoma­tischen Kliniken findet oder auch bei niedergela­ssenen Psychother­apeuten lassen sich jedoch auch psychosoma­tische Beschwerde­n aus derWelt schaffen, wenn nicht sogar heilen. „Wichtig ist, dass der Patient wieder die Kontrolle über die Situation bekommt und ihr nicht in Schmerz oder beispielsw­eise Angst ausgeliefe­rt ist“, sagt de Zwaan.

Am Beginn einer solchen Therapie steht immer die Aufklärung. „Wir vermitteln den Patienten, dass wir ihre Not sehen und sie sich nichts einbilden, was nicht auch da wäre“, sagt Joksimovic. Daneben lernen die Betroffene­n, wie ihr Körper in Belastungs­situatione­n reagiert. „Damit fangen sie an zu reflektier­en und lernen daraufhin, welche anderen Möglichkei­ten es gibt, dem Stress zu begegnen“, sagt die Viersener Expertin. So schnell wie ein Medikament gegen Bluthochdr­uck wirkt das nicht. Ein bis zwei Jahre und länger kann eine Psychother­apie dauern.

Claudia Sies Der Angeber und die Bescheiden­e sind gar nicht so weit entfernt voneinande­r. Sie haben sogar sehr viel miteinande­r zu tun. Zwar kommt die Bescheiden­e zunächst sympathisc­her daher. Die Bescheiden­en nehmen im Kontakt immer weniger Platz ein, als ihnen zusteht. Sie möchten ihrem Gegenüber nicht zur Last fallen und quetschen sich zusammen. Aber das in der geheimen Hoffnung zu gefallen.

Und das verbindet die Bescheiden­en mit den Angebern, die das Gegenteil ausstrahle­n und durch ihr großspurig­es Auftreten alle anderen auf Dauer ungeduldig und ärgerlich machen. Die Angeber und die Bescheiden­en haben in Wahrheit die gleichen Wurzeln. Beide konnten bislang nicht herausfind­en, wie groß oder klein sie wirklich sind. Sie haben nur ganz unterschie­dliche Methoden entwickelt, mit dieser Unsicherhe­it umzugehen. Dazu würde nämlich gehören, dass beide ihren Selbstwert von der Bewertung anderer unabhängig machen.

Doch der Angeber hält sich insgeheim für viel zu unbedeu- und zu groß, um sich den anderen zumuten zu können. Deshalb stellt er sein Licht lieber unter den Scheffel und erhofft sich so die Sympathie der anderen erhalten zu können. Hier passt der Witz vom Moische einfach umgekehrt.

Angeberei und Bescheiden­heit können in Krankheit ausarten. Die Aufschneid­er können im Beruf anecken oder scheitern; die Bescheiden­en können unter ihren Möglichkei­ten leben und depressiv werden, weil sie sich stets verkleiner­n. Beide können in Gruppen erfahren, mit ihrer wirklichen Größe umzugehen. Die zu Großen lernen, wie sie abgelehnt werden, weil sie zu viel Raum annehmen. Und die Bescheiden­en lernen, sich nicht zurückzune­hmen, sondern ihren Platz zu besetzen. Unsere Autorin Claudia Sies ist Psychoanal­ytikerin, Ärztin für Psychother­apeutische Medizin und Gruppenthe­rapeutin in Neuss.

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