Psychosomatik hilft oft, wenn der Arzt nicht weiter weiß „Ohne Befund“– dieses Ergebnis beim Arzt zu hören, ist nicht immer erleichternd. Jeder fünfte Patient verlässt die Praxis mit der Aussage, obwohl ihn Beschwerden plagen.
DÜSSELDORF Als Miriam Falke (Name von der Redaktion geändert) in die Notaufnahme eingeliefert wird, rast ihr Herz. Ihr Puls überschlägt sich. Schwindel, Atemnot, Druck auf der Brust – diese Symptome lösen in ihr Todesangst aus.
Die Mediziner untersuchen sie gründlich und gehen den organischen Ursachen nach. Nach einer Herzkatheteruntersuchung steht am Ende fest: Körperlich ist sie kerngesund. Doch Miriam Falke verunsichert das. Sie hat sich ihre Symptome doch nicht nur eingebildet!
„Ohne Befund“ist wie ein Simulant zu sein
„Wenn am Ende einer organischen Untersuchung die Aussage ‚Sie haben nichts, gehen Sie mal zu einem Psychiater’ steht, fühlen sich viele Betroffene mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen und alleine gelassen“, sagt Martina Zwaan, Leiterin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Hannover. Denn es bleiben die bangen Fragen: Was kann ich tun, wenn sich erneut Symptome einstellen?Wohin soll ich dann gehen? Wer glaubt mir?
Auf der Suche nach Antworten suchen die Betroffenen häufig bei unzähligen Medizinern Rat – und betreiben laut de Zwaan ein regelrechtes Arzt-Hopping. Erst nach langer Odyssee richtet sich der Blick auf psychische Auslöser. „Laut Studien kommen Patienten mit vierbis achtjähriger Verspätung in psychosomatische Behandlung“, sagt Ljiljana Joksimovic, Chefärztin der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der LVR-Klinik in Viersen.
Dafür gibt es verschiedene Gründe sagt dieViersener Psychosomatikerin. Viele Untersuchungen reihen sich aneinander; Patienten werden von der Blutabnahme zum EKG geschickt.Von dort zum Langzeit-EKG, vom Hausarzt zum Kardiologen. Er macht ein Belastungs-EKG und Ultraschall vom Herzen. Dann folgt oft noch ein MRT. Die Suche nach einer körperlichen Ursache gestaltet sich also langwierig. Auch Termine bei den Fachärzten zu bekommen, braucht seine Zeit.
Daneben braucht der Prozess hin zur Einsicht, dass möglicherweise wirklich psychische Gründe das Leiden verursachen, oft Zeit. Besonders dann, wenn die endlose Suche nach körperlichen Ursachen mit der etwas abfällig formulierten Empfehlung abschließt, sich dann doch besser an einen Psychologen zu wenden.
Zu guter Letzt fehle jedoch vielen Medizinern der offene Blick auf das Feld der Psychosomatik. Das mag vor allem vor dem Hintergrund erstaunen, dass laut Schätzung der Experten rund 25 Prozent der Deutschen irgendwann in ihrem Leben an psychosomatischen Beschwerden leiden. Aus Sicht der Psychosomatisch behandelnden Ärzte wäre es darum sinnvoll, dem Patienten die Suche nach körperlichen und psychischen Auslösern schon zu Beginn einer Behandlung als gleichwertige Optionen nebeneinander darzustellen.
Denn Stress im Job, Beziehungsprobleme, Ängste oder erlebte Traumata, können ebenso Herzprobleme verursachen, wie organische Ursachen. Sie sind genauso ernst zu nehmen und behandlungsbedürftig, sagt Joksimovic.
Lebenskrisen, finanzielle Probleme, Überforderung im Job, Stress mit Kollegen oder Vorgesetzten, der Tod eines Angehörigen – all das zählt zu den Auslösern psychosomatischer Beschwerden. Sie zeigen sich häufig in Herzproblemen wie Herzrasen, Herzklopfen, aber auch beschleunigtem Puls.
Daneben können auch Schmerzen an Armen und Beinen, Kopfweh, chronische Schmerzsymptome, Schwindel, Atembeschwerden, Übelkeit, Blähungen, Appetitverlust, insgesamt Magen-Darmprobleme statt durch organische Ursachen durch eine psychische Last ausgelöst und dauerhaft unterhalten werden. „Viele Erkrankungen, wie zum Beispiel Herzerkrankungen oder Diabetes können durch chronischen Stress einen schlechteren Verlauf nehmen“, sagt de Zwaan. Sie können sogar das Immunsystem beeinflussen.
Wie aber kann der Kopf den Körper derart aus der Bahn werfen? Wie ist es möglich, dass psychischer Druck körperliche Symptome verursacht? Joksimovic erklärt das anhand des Symptoms Herzklopfen: Wird die Stressachse aktiviert, stößt der Körper Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol aus. Die wirken auf körperlicher Ebene, auch wenn sie durch psychische Auslöser verursacht sind. In Folge dessen steigt der Blutdruck, und der Herzschlag nimmt zu. „Davon wird man nicht gleich krank“, sagt Joksimovic. Kommt es jedoch häufig dazu, kann sich daraus ein psychosomatisches Krankheitsbild entwickeln. Da den Beschwerden keine körperliche Ursache zugrunde liegt, lassen sie sich häufig auch nicht mit schulmedizinischen Maßnahmen regulieren. „Wir erleben beispielsweise, dass ein Patient Schmerzmittel einnimmt, die bestehenden Schmerzen jedoch bestehen bleiben“, sagt Joksimovic. Nur ein kleiner Teil auftretender Schmerzen lasse sich durch Organschäden erklären. Schmerz sei ein bio-psychosoziales Geschehen, das manche Menschen durch eine hohe Schmerzsensibilität besonders stark erleben können.
„Wir sehen die Not des Patienten“
Mit stationärer oder ambulanter Hilfe, die man in Psychosomatischen Kliniken findet oder auch bei niedergelassenen Psychotherapeuten lassen sich jedoch auch psychosomatische Beschwerden aus derWelt schaffen, wenn nicht sogar heilen. „Wichtig ist, dass der Patient wieder die Kontrolle über die Situation bekommt und ihr nicht in Schmerz oder beispielsweise Angst ausgeliefert ist“, sagt de Zwaan.
Am Beginn einer solchen Therapie steht immer die Aufklärung. „Wir vermitteln den Patienten, dass wir ihre Not sehen und sie sich nichts einbilden, was nicht auch da wäre“, sagt Joksimovic. Daneben lernen die Betroffenen, wie ihr Körper in Belastungssituationen reagiert. „Damit fangen sie an zu reflektieren und lernen daraufhin, welche anderen Möglichkeiten es gibt, dem Stress zu begegnen“, sagt die Viersener Expertin. So schnell wie ein Medikament gegen Bluthochdruck wirkt das nicht. Ein bis zwei Jahre und länger kann eine Psychotherapie dauern.
Claudia Sies Der Angeber und die Bescheidene sind gar nicht so weit entfernt voneinander. Sie haben sogar sehr viel miteinander zu tun. Zwar kommt die Bescheidene zunächst sympathischer daher. Die Bescheidenen nehmen im Kontakt immer weniger Platz ein, als ihnen zusteht. Sie möchten ihrem Gegenüber nicht zur Last fallen und quetschen sich zusammen. Aber das in der geheimen Hoffnung zu gefallen.
Und das verbindet die Bescheidenen mit den Angebern, die das Gegenteil ausstrahlen und durch ihr großspuriges Auftreten alle anderen auf Dauer ungeduldig und ärgerlich machen. Die Angeber und die Bescheidenen haben in Wahrheit die gleichen Wurzeln. Beide konnten bislang nicht herausfinden, wie groß oder klein sie wirklich sind. Sie haben nur ganz unterschiedliche Methoden entwickelt, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Dazu würde nämlich gehören, dass beide ihren Selbstwert von der Bewertung anderer unabhängig machen.
Doch der Angeber hält sich insgeheim für viel zu unbedeu- und zu groß, um sich den anderen zumuten zu können. Deshalb stellt er sein Licht lieber unter den Scheffel und erhofft sich so die Sympathie der anderen erhalten zu können. Hier passt der Witz vom Moische einfach umgekehrt.
Angeberei und Bescheidenheit können in Krankheit ausarten. Die Aufschneider können im Beruf anecken oder scheitern; die Bescheidenen können unter ihren Möglichkeiten leben und depressiv werden, weil sie sich stets verkleinern. Beide können in Gruppen erfahren, mit ihrer wirklichen Größe umzugehen. Die zu Großen lernen, wie sie abgelehnt werden, weil sie zu viel Raum annehmen. Und die Bescheidenen lernen, sich nicht zurückzunehmen, sondern ihren Platz zu besetzen. Unsere Autorin Claudia Sies ist Psychoanalytikerin, Ärztin für Psychotherapeutische Medizin und Gruppentherapeutin in Neuss.