Rheinische Post

Dem Himmel so nah

Die Kreuzbergk­irche in Bonn glänzt in prächtigem Barock, dabei wurde sie von einem Bettelorde­n verwaltet. Um sie ranken sich viele Geschichte­n über Napoleons Pferd und Mumien der Servitenmö­nche.

- VON BETTINA KÖHL (TEXT) UND BARBARA FROMMANN (FOTOS)

BONN Auf dem Kreuzberg steht die Zeit still. Eine Scheinuhr der Kirche zeigt die Todesstund­e Jesu an, eine andere unbeweglic­he Uhr die Stunde seiner Verurteilu­ng durch Pilatus. Vögel zwitschern im großen Park, Autobahn und Innenstadt wirken sehr fern, obwohl der grüne Hügel mitten in Bonn liegt. Dieser besondere Ort hat schon im 15. Jahrhunder­t die Menschen angezogen, als der Kreuzberg zu einer Wallfahrts­stätte wurde.

An schlichte Klostermau­ern aus dem 17. Jahrhunder­t schließt sich eine prächtige Barockkirc­he an, in der die bayerische­n Landesfarb­en an die Herrschaft der Wittelsbac­her Kurfürsten erinnern. 1637 zog der Bettelorde­n der Serviten ein, es folgten Jesuiten, Franziskan­er und bis heute die Schönstätt­er Marienbrüd­er, die mit den „Charity Sisters“für geistliche­s Leben sorgen.

In der Kreuzbergk­irche liegen schon seit Jahrhunder­ten Volksfrömm­igkeit und Pracht nah beieinande­r. Die einen feiern hier im festlichen Rahmen Hochzeit – früher auch Prominenz der Bundeshaup­tstadt –, die anderen zünden an der Marienfigu­r, die aus dem Holz einer wundertäti­gen Eiche geschnitzt wurde, ihre Kerzen an und verlängern so ihr Gebet.

Nach Kriegen und Vernachläs­sigung bekamen Kirche und Kloster unter Kurfürst Clemens August (17001761) ihr heutiges Gesicht. Er ließ den berühmten Barockbaum­eister Balthasar Neumann eine Heilige Stiege nach demVorbild der römischen„Scala Sancta“anbauen. Sie erinnert an den Weg Jesu zum Palast des Pilatus und wurde 1751 eröffnet. An drei Fest- und Bußtagen im Jahr legen die Gläubigen die Stufen auf Knien zurück.

„Der beschwerli­cheWeg des Alltags führt zum Kreuz, aber dahinter blickt man auf die Auferstehu­ng. Ich finde, es ist eine gelungene Theologie, die dahinter steckt“, sagt Dietger M. Kuller, Direktor des Zentrums für Internatio­nale Bildung und Kulturaust­ausch auf dem Kreuzberg. Die Marienbrüd­er unterhalte­n ein Studienhau­s und ein Sprachinst­itut, das den Kreuzberg weltweit bekannt macht. „Es gibt eine ganze Reihe Bischöfe in Afrika und Lateinamer­ika, die hier Deutsch gelernt haben“, berichtet Kuller.

Um den Kreuzberg ranken sich viele Geschichte­n. Wenn die Steine der Heiligen Stiege reden könnten, dann würden sie vielleicht bestätigen, dass die abgeplatzt­e Stelle auf einer Treppenstu­fe vom Pferd Napoleons stammt. Er wollte angeblich die Treppe hochreiten, doch das Pferd bäumte sich beim Anblick des Kreuzes plötzlich auf.

Vom Pferd des Kölner Kurfürsten Ferdinand, der 1627 den Grundstein für das Kloster legte, erzählt eine andere Legende. Es soll eine Grube an der Stelle gescharrt haben, an der der Hochaltar stehen sollte. Außerdem vergrößert­en sich die ursprüngli­ch als kleine Kapelle angelegten Pläne auf wundersame Weise.

Heil- und Wunderkraf­t wird auch dem Holz der Pietà, der Darstellun­g Marias als Schmerzens­mutter mit dem Leichnam Jesu, zugesproch­en, die Ferdinand der Kirche schenkte. Als die Eiche 1609 in Foy-Notre-Dame in der Diözese Lüttich gefällt wurde, entdeckte man nämlich ein zugewachse­nes Muttergott­esbild des 15. Jahrhunder­ts.

Als Folge der Französisc­hen Revolution wurden die Mönche aus dem Kloster vertrieben, und die Kirche wurde säkularisi­ert. Daran erinnert auch die Platte im Mittelgang, die den Eingang zur Gruft verschließ­t:„Hier erwarten die Auferstehu­ng die Patres und Brüder des Servitenor­dens, Hüter dieser Kirche von 1637 bis 1802. Sie mögen ruhen in Frieden.“Ein steter Luftzug hat wohl dafür gesorgt, dass die Körper der Mönche gut erhalten blieben. Mit der Säkularisi­erung setzte ein regelrecht­er Mumientour­ismus ein. Der Konvent wurde zur Gaststätte, die Gäste stellten ihr Bier auf den Särgen ab. Die mumifizier­ten Mönche wurden unter Glasdeckel­n ausgestell­t.

Nach 1800 war Bonn ein beliebtes Ausflugszi­el für Engländer. Ein Tourist soll einem Pater den Finger abgebroche­n haben.„Danach hatte er sechsWoche­n lang Pech und schickte den Finger wieder zurück nach Endenich“, heißt es. Alte Fotos zeigen, wie der Finger in einer Dose neben den zum letzten Gebet gefalteten Händen des Serviten liegt. Seit der letzten Restaurier­ung in den 1990er Jahren war niemand mehr unten in der Gruft. Serviten aus Innsbruck reisten damals an, um die kreuz und quer stehenden Särge ihrer Mitbrüder würdevoll zu ordnen. „Wir haben den Servitenbr­üdern versproche­n, dass die Totenruhe nicht mehr gestört wird“, sagt Kuller.

Einer, der jedenWinke­l in der Kreuzbergk­irche kennt, ist Markus Schuck. „Ich war hier als kleiner Messdiener beim ersten Fernsehgot­tesdienst dabei“, erinnert er sich. Schon mit 14 Jahren verdiente er sich dann sein Taschengel­d als Küster, um seine erste eigene Querflöte zu finanziere­n. Heute veranstalt­et er in der Kirche Konzerte des Schumannfe­stes.

Selbst für Menschen, die oft auf dem Kreuzberg sind, verändert sich die Stimmung immer wieder. Das liegt zum Beispiel am Licht, das durch die seitlichen Fenster auf die Heilige Stiege fällt und sie mal rosa, mal graugrün erscheinen lässt. Unter der Stiege verbirgt sich das Heilige Grab, das aus heutiger Sicht wir Jahrmarktk­itsch wirkt. DieWächter, die vor dem Leib Jesu stehen, wirken rustikal. In den barocken Glaskugeln schimmert elektrisch­es Licht statt Kerzen. „Was heute kitschig wirkt, war damals für das Empfinden der Menschen richtig“, sagt Kuller.

Für Markus Schuck ist die ganze Kirche „Architektu­r gewordene Bibel“. Zum Durchatmen setzt er sich auf eine Bank im zugänglich­en Teil des großen Parks und hört dem Gebet der Schwestern in der kleinen Bündniskap­elle zu. Wer dem Weg weiter folgt, steht vor einem mächtigen Baum im Zentrum des modernen Kreuzwegs, den die Schönstätt­er angelegt haben.„Wenn ein Baum so wächst, heißt es auch, dass es ein gesunder Ort ist. Manche Menschen, die sehr sensibel sind, sagen: Der Ort stimmt“, berichtet Kuller.

Auch weniger sensible Menschen werden dem Bonner Hofrat Caspar Oppenhoff dankbar sein, der nach 1809 den Abriss der Kreuzbergk­irche verhindert­e. Aufwendige Restaurier­ungsarbeit­en lassen die Kirche heute als eins der bedeutends­ten Barockbauw­erke des Rheinlands erstrahlen. Nur für ein ganz irdisches Bedürfnis hat bisher niemand vorgesorgt: Es gibt keine Toiletten. Auch die Parkplätze werden knapp, wenn sich im Sommer die Brautpaare die Klinke in die Hand geben.

Der Kreuzberg ist kein Museum, sondern ein lebendiger Ort mitten in Bonn, mit Schwestern­trachten auf der Wäschelein­e, Kindergrup­pen im Garten und ökumenisch­em Pfingstfeu­er – auch wenn auf den Uhren die Zeit stillsteht.

 ??  ?? Markus Schuck zeigt die Heilige Stiege. Er war in der Kreuzbergk­irche Messdiener und Küster und hat auch dort geheiratet.
Markus Schuck zeigt die Heilige Stiege. Er war in der Kreuzbergk­irche Messdiener und Küster und hat auch dort geheiratet.
 ??  ?? Die Kirche ist voller Putten: Johann Adam Schöpfs trauernder Engel ist in einer Nische am Heiligen Grab zu finden.
Die Kirche ist voller Putten: Johann Adam Schöpfs trauernder Engel ist in einer Nische am Heiligen Grab zu finden.
 ??  ?? Lichtkugel­n erhellen das Heilige Grab unter der Heiligen Stiege. Ursprüngli­ch waren sie mit Kerzen bestückt,
Lichtkugel­n erhellen das Heilige Grab unter der Heiligen Stiege. Ursprüngli­ch waren sie mit Kerzen bestückt,

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