Spuren eines vergessenen Zeichners
Den Erkrather Marcel Held hat es gepackt – sein Ziel: Das Werk des Düsseldorfer Zeichners Ernst Stege soll endlich bekannt werden.
Was hätten August Macke und Franz Marc wohl noch alles geschaffen, wenn sie nicht schon mit 27 beziehungsweise 36 Jahren dem Ersten Weltkrieg zum Opfer gefallen wären? Noch drängender stellt sich die Frage bei Ernst Stege. Mit spritzigen Zeichnungen, Karikaturen gegen das Wilhelminische Reich und Werbegrafik hatte er in der Düsseldorfer Akademie früh Aufsehen erregt. Doch schon mit 22 war Schluss. Am 20. August 1918 setzte eine französische Kugel seinem hoffnungsvollen Leben, seiner übermütigen Kunst ein Ende.
Wenn demnächst ein Museum an den jungen Mann mit der spitzen Feder erinnert, der auf Fotos gern den Klassenclown gab, ist das vor allem das Verdienst des Erkrather Antiquitätenhändlers Marcel Held (50). Er erzählt, dass ihn eines Tages ein Bekannter auf Ernst Stege aufmerksam machte und ihm das gesamte Werk des Zeichners anbot. Über die Herkunft der Blätter habe dieser Bekannte nichts verraten. Held griff zu und erwarb aus einem Versandantiquariat noch ein Fotoalbum, in dem sich Stege gut gelaunt auf Gruppenfotos in der Kunstakademie zeigt. Weitere Materialien fügten sich Stück für Stück hinzu.
In der Nach-Beltracchi-Ära runzelt man über derlei Geschichten zunächst die Stirn: Will da nicht mal wieder einer mit Fälschungen das große Geld machen? Doch die Bedenken zerstreuen sich rasch. Erstens ist Ernst Stege unbekannt und damit praktisch unverkäuflich. Zweitens greifen die Materialien so überzeugend ineinander, dass an der Urheberschaft kein Zweifel besteht.
Als Marcel Held für unseren Fotografen das in einem Köfferchen mitgebrachte Lebenswerk Ernst Steges samt Zubehör auf einem Tisch des Mutter-Ey-Cafés ausbreitet, wird dieser früh Verstorbene auf einmal wieder lebendig. Motive aus seinen Skizzenbüchern kehren in einer Wandzeichnung wieder, die Stege für den Malkasten anfertigte und die womöglich zutage treten könnten, würde man die darüber liegenden Farbschichten abtragen. Das wäre ein Projekt nach Helds Geschmack. Ebenso würde er gern herausbekommen, wer die Studenten sind, die auf Gruppenfotos der Akademieklasse von ProfessorWilly Spatz mit Ernst Stege posieren.
Steges Lehrer war vor allem für seine großflächigen historisierendenWand- und Ölgemälde bekannt. Betrachtet man dagegen Steges Darstellungen, gewinnt man den Eindruck, dass er genau diese überkom- mene Welt ins Lächerliche ziehen wollte. In seinen Wandbildern tummeln sich Partygäste, bürgerliche Würdenträger stolzieren wie auf Zeichnungen von Heinrich Zille einher, selbst die Werbegrafik etwa für das Warenhaus Leonhard Tietz, heute Kaufhof, weist einen Stich ins Groteske auf.
Auf einem der Blätter reitet ein Uniformierter lachend mit einem Alt-Glas in der Rechten auf einem Hahn – Einladung ins Gasthaus „Im goldenen Hahn“an der Bolkerstraße.Wenn Stege Soldaten auf Pferden reiten lässt, drückt er meist schon in den griesgrämigen Gesichtern aus, was er von KaiserWilhelm und dem Militarismus seiner Zeit hält. Auf anderen Blättern erinnern Motive wie ein lapidar abgehackter Kopf anWilhelm Busch.
Bevor Ernst Stege in den Krieg gegen Frankreich aufbrechen musste, hatte sich sein Leben in Düsseldorf abgespielt. Dort war er aufgewachsen, dort hatte er sich nach dem Auszug aus dem Elternhaus eine Wohnung an der Bolkerstraße gesucht, dort und in der Akademie führte er den Fotografien zufolge ein Leben, in dem er seinen Platz als künstlerisch hochbegabter Schalk gefunden hatte.
Vergeblich hat sich Marcel Held bislang darum bemüht, dass die
Kunstakademie Stege als ihren einstigen Studenten anerkennt. Das sei mit Hinweis auf das verlorengegangene Matrikelverzeichnis von damals abgelehnt worden. Held ärgert sich darüber, da doch die Archivalien für sich sprächen: „Was soll ich denen denn noch bringen?“
Immerhin ist es ihm gelungen, den Anstoß zu einer kleinen Ausstellung zu geben, die das Stadtmuseum demnächst zeigen wird. Sie soll insgesamt 80 bis 100 Objekte in den drei Abteilungen Leben, Fotografie und Zeichnungen umfassen.Weiter hofft Held darauf, dass Ernst Stege eines Tages noch größer herauskommt: der Schelm, der sich auch Stipl nannte. „Für seine Zeit“, so befindet Held, „war er eine richtig coole Socke.“
Vier Jahre nach seinem Tod war Ernst Stege schon ein wenig Ruhm beschieden. Die Kunsthalle zeigte 1922 immerhin 25 Zeichnungen in ihrer Ausstellung „Düsseldorfer Humor“- in Nachbarschaft zu Werken von Andreas Achenbach, der sich über Preußen genauso lustig gemacht hatte wie der junge Stege.