Regenschlacht im Festspielhaus
Der erprobte Salzburgkulturtourist kennt das Phänomen: Er kommt aus dem Festspielhaus und muss schnell den Schirm aufspannen oder laufen, um trocken das „Sternbräu“oder den Peterskeller zu erreichen: Schnürlregen!
Jetzt ist das Wetter im Saal angekommen. Beim Klavierabend von Grigory Sokolov begann es gegen Ende der ersten Hälfte durch die Decke zu regnen. Der Pianist war gerade in den Moll-Wolken einer Haydn-Sonate versunken, als die Wolken über Salzburg ihre Schleusen so abrupt öffneten, dass es ins große Festspielhaus regnete. Das erste Tröpfeln hielt man für das Geräusch von Bonbonpapier, das ein Kretin langsam in der Hand zerknüllte. Dann aber standen Leute auf und stürmten eingenässt heraus. Und Sokolov? Der brachte seinen Haydn ungerührt zu Ende und in Sicherheit.
Als in der Pause der Flügel bearbeitet wurde, dachten alle: Es hat auch den Steinway erwischt. Doch der musste nur nachgestimmt werden. Was das Wasser betraf, reagierten Festspiele und Publikum heiter und professionell: Es gab Handtücher, Sitzkissen, die launige Ansprache eines Beauftragten (auf Englisch: „the guests in the shower area“), und es folgte eine zweite Hälfte mit Schubert und einem Pianisten, den auch ein Meteoriten-Einschlag in fünf Metern Entfernung nicht aus der Ruhe brächte. Selbstverständlich befand sich unter den Zugaben nicht das „Regentropfen-Prélude“: Nass ist nur das Leben, nicht die Kunst.
Wolfram Goertz